Rost. Jakub Małecki

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Rost - Jakub Małecki

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ihn, er solle mit ihr zu den Kaninchen und den Wachteln gehen. Es wäre gut, wenn er das alles lernen würde, sagte sie. Sie könne Hilfe gebrauchen. Er wolle doch gern helfen, oder?

      Er wollte nicht, doch er nickte. Wachteln mochte er nicht, Kaninchen konnte er nicht ausstehen. Sie waren riesig, tückisch, einmal hatte ihn eines gebissen. Sie liefen in ihren Holzkäfigen umher, manchmal trampelten sie seltsam, manchmal rissen sie aus. Er verstand nicht, wozu Großmutter sie hielt, wozu sie sie fütterte und überhaupt, wozu das alles gut sein sollte: Wasser auswechseln, Köttel beseitigen, Körner streuen – alles sinnlos. Aber er ging mit, stand neben ihr, sah zu, wie sie es machte, hörte zu, wie sie mit ihnen sprach – wenn auch eher mit sich selbst.

      Plötzlich heulte er los und setzte sich auf den Boden. Großmutter hob ihn auf und brachte ihn ins Haus, die Kaninchen waren plötzlich unwichtig. Sie machte Kakao für ihn, für sich auch, und sie setzten sich aufs Sofa und schalteten den Fernseher ein.

      »Du musst jetzt ganz tapfer sein«, sagte sie nur, und dann schauten sie die Quizsendung an. Szymek trank langsam seinen Kakao, guckte abwechselnd auf den Bildschirm und auf Großmutter und wartete, dass etwas passieren würde, schließlich musste ja etwas passieren. Doch es passierte nichts, weder an jenem Morgen noch an jenem Abend, noch am Tag danach oder in der folgenden Woche. Ein Monat verging, und nichts geschah, es gab nur Großmutter Tosia, Besuch von verschiedenen Onkeln, Tanten, Nachbarn, den Friedhof, die Kaninchen, die Wachteln, den Markt, die Einkäufe in der Stadt, sonst nichts, gar nichts. Manchmal hatte er das Warten satt. Dann konnte er den ganzen Tag weinen, heulen, und nichts half. Er wollte, dass Mama ihn rief, damit er den Holzlöffel ablecken konnte, mit dem sie den Teig für den Schokokuchen rührte. Er wollte, dass Papa ihm erlaubte, am Tisch im Wohnzimmer neben ihm zu sitzen und zuzuschauen, wie er sich mit dem beschäftigte, was die Leute »das ungewöhnlichste Hobby der Welt« nannten; Szymek selbst sah darin nur Zahlenkolonnen.

      Es kam auch vor, dass er keine Kraft mehr hatte und sich fühlte, als gäbe es ihn gar nicht mehr: Er saß vor dem Haus oder in seinem Zimmer, das eigentlich gar nicht sein Zimmer war, denn sein Zimmer war zusammen mit seinen Eltern und allem anderen verschwunden; er saß also in seinem-nicht-seinem Zimmer im Haus der Großmutter, starrte zum Fenster hinaus oder auf den Teppich oder einfach vor sich hin und verschwand; doch bald begriff er, dass er für längere Zeit so nicht verschwinden konnte.

      An jenem Tag ließ Großmutter ihn vor dem Fernseher sitzen und ging zu den Kaninchen zurück. Später rödelte sie im Haus herum, telefonierte, kochte etwas, als fürchtete sie, auch nur einen Moment lang nichts zu tun. Schließlich machte sie sich ans Wäschewaschen, das heißt, sie wollte es, und dann rief sie plötzlich nach Szymek, und als er nicht kam, kam sie selbst.

      »Szymek, warum hast du denn die Spielsachen in der Waschmaschine versteckt?«

      Er schnellte vom Sofa auf, lief ins Bad und öffnete die Waschmaschine. Bestimmt waren sie nicht mehr da, bestimmt waren sie weg, aber nein, sie waren da.

      Sie setzten sich auf die Treppe, Großmutter auf der Seite des Geländers, er an die Wand, und redeten lange. Er sagte ihr, er wolle das nicht mehr so, sie sollten zurückkommen, bitte, er werde auch brav sein. Er sagte auch, warum und vor wem er das Spielzeug versteckt hatte.

      Der Doktor lag in Kleidern da, in den Händen ein zerfleddertes Buch. Seine Beine hingen über das Bett hinaus, das fast die halbe Fläche des Anhängers einnahm – ein ganz normaler Anhänger: Er hatte sich schon lange daran gewöhnt.

      Am liebsten wäre er eingeschlafen, ohnmächtig geworden oder hätte sich zu Tode gesoffen. Seit der Beerdigung von Eliza und Telek hatte er kein einziges Mal getrunken, obwohl er es heute eigentlich hätte tun können, heute war sein Geburtstag. Fünfundsechzig, alles Gute, danke. Er dachte daran, zum Laden zu gehen, aber wozu. Hołowczyc würde sicher schon warten, aber Hołowczyc wartete ja immer, er hatte nichts mehr im Leben außer dem Warten vor dem Laden.

      Er würde noch etwas liegenbleiben, vielleicht noch ein wenig lesen, er kannte jeden Absatz auswendig, seit mehreren Jahren verschlang er rund um die Uhr immer dasselbe Buch, dieses verdammte, schöne, gefährliche, wunderbare, unscheinbare und herrliche Buch, mit dem alles begonnen hatte.

      Wieder einmal dachte er, wäre nicht dieses Buch, wäre da nicht sein idiotischer Wunschtraum gewesen, nach Berlin zu fahren, vielleicht würden Eliza und Telek noch leben. Er hätte am selben Tag fahren sollen, als sie … Nein, das war unmöglich, absurd, unsinnig, unmöglich, doch hatte er sich nicht schon längst an Unmögliches gewöhnt? Egal, was er sich selbst zu erklären versuchte – mitten in einer schlaflosen Nacht würde ihn doch wieder das Gefühl heimsuchen: Szymeks Eltern waren durch ihn verunglückt. Er legte das Buch auf den Boden und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Was wäre gewesen, dachte er, wenn er an jenem Tag nach Berlin gefahren wäre, wenn er sich den einzigen Wunsch erfüllt hätte, den er jemals hatte, wenn er dieses eine Mal etwas anderes getan hätte als das, was getan werden musste.

      Er dachte darüber nach, wer er damals hätte werden können, und darüber, wer er vor langer Zeit geworden war. Er war nicht immer der Doktor gewesen. Früher hieß er Michał, und niemand nannte ihn anders. Michał, und die Mutter benutzte sogar die Koseform Michaś, ein paar Mädels übrigens auch. Jetzt war er nur noch der Doktor, wegen jenes einen, verdammten Abends.

      An der Tür klopfte es.

      Er erhob sich, setzte die Brille auf und öffnete.

      Tosia.

      Wohl zum ersten Mal seit dem Unfall. Ungeduldig stand sie vor ihm, als hätte er sie schon durch etwas verärgert. Doch das hatte er nicht.

      »Kommst du rein?« Er trat zur Seite und machte ihr Platz. Und sprach sie gleich an, etwas leiser: »Wie geht’s dir denn? Kann ich dir irgendwie helfen?«

      Sie sagte nichts und sah ihn nur an, mit diesem typischen Blick, den er gut kannte.

      »Was machst du?«, fragte sie.

      »Was soll ich schon machen?«

      Wieder Stille und dieser Blick, dem er am liebsten ausgewichen wäre.

      »Du musst mit mir in die Stadt fahren.«

      »Jetzt?«

      »Ich muss eine Waschmaschine kaufen.«

      Ein paar hundert Meter vom Unfallort entfernt fuhren sie auf die Umgehungsstraße, so wie sie jetzt immer aus Chojny wegfahren würden: ein paar hundert Meter vom Unfallort. Hinter der Überführung bogen sie ab in die Stadt. Erst als sie an der Tankstelle vorbeikamen, begann sie zu reden.

      »Er hat Angst, dass der Allmächtige ihm die Spielsachen wegnimmt.«

      »Wie bitte?«

      »Szymek hat Angst. Weil er ihm die Eltern genommen hat, hat er Angst, dass er ihm auch die Spielsachen wegnimmt. Und er hat sie in der Waschmaschine versteckt. Was soll ich machen, ich werd ihn ja nicht zwingen, sie wegzuräumen. Soll er sie einfach da lassen.«

      Sie fuhren an der Einfahrt zum Wood-Mizer vorbei, am Rondell bogen sie rechts ab. Hinter dem Militärfriedhof schaute er sie an und sagte:

      »Verdammt, Tosia, wenn ich dir nur irgendwie …«

      Sie winkte ab, als wollte sie ihn loswerden, die Situation loswerden, vielleicht

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