Rost. Jakub Małecki

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Rost - Jakub Małecki

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roten Wangen, die Arme hingen schlaff an ihm herunter, und dann trat er auf das Gleis und schloss die Augen.

2

      Getöse. Alles begann zu beben: der Schrank, die schimmernde Uhr, die Teller in der Kredenz und das Bett, auf dem sie lag. Sie träumte vom ersten und letzten Tag in der Schule. Ein bisschen müde, schläfrig und ein bisschen stolz saß sie da, denn es war schon die zweite Klasse; plötzlich sagt die Lehrerin, sie sollten alle wieder nach Hause gehen, am besten zusammen, sofort. Sie schlug die Augen auf, aber in ihrem Kopf war alles noch verworren, und sie wusste nicht, ob sie gerade die Schule verließ oder bei Familie Nagórny lag. Dann erinnerte sie sich: In der Schule war sie vor ein paar Tagen gewesen, doch jetzt lag sie da, schlief, hatte geschlafen – das Bett, ein bisschen Spucke auf dem Kissen und ein heißer Streifen Sonne auf der entblößten Wade. Und dieser Lärm. Sie drehte sich auf den Rücken, es krachte zum zweiten Mal. Beim dritten Mal lief sie schon: über das große, weiche Federbett, dann durchs Zimmer und die nach Pfannküchelchen duftende Küche, weiter über die Treppe, durchs Gras, quer über den Schatten des Hauses der Nagórnys. Neben dem Brunnen blieb sie stehen und reckte den Hals.

      Gleichmäßig zogen sie über den Himmel, eines neben dem anderen, schön, glänzend. Mindestens ein Dutzend. Aus Kłodawa Richtung Stadt. Sie sah, wie sich von einem ein kleines Komma ablöste. Langsam fiel es herunter und verschwand hinter Bäumen. Es schien den Hof der Familie Drews getroffen zu haben. Sie hielt sich die Ohren zu und wartete. Diesmal war es still. Lange presste sie die Hände gegen den Kopf. Sie hörte nur ihren schnellen Atem.

      Jemand schrie, ein Stück weiter wieherten Pferde. Kurz darauf kamen die Nagórnys angelaufen, wieder krachte es.

      »Na komm«, sagte Frau Nagórna und drückte sie an ihre nach Räucherspeck riechende Schürze. »Alles ist gut.«

      Tosia dachte über diesen Satz nach, der in letzter Zeit so oft wiederholt wurde. Am ersten Schultag hatte man sie nach Hause gejagt, dann hatte ein Bombensplitter den jungen Cabała im Garten getötet, Mama hatte in der Küche zweimal geweint, und Papa hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, und trotzdem hörte sie seit ein paar Tagen überall, alles sei gut. Sie drückte sich enger an den Bauch der Nachbarin.

      Schweigend, unbewegt blickten sie zum Himmel. Herr Nagórny schirmte die Augen mit der Hand ab. Er sagte, sie wollten den Bahnhof bombardieren.

      »Aber den Bahnhof haben sie doch schon am Samstag bombardiert.« Seine Frau strich Tosia über den Hals, ihre Hand war hart und trocken.

      Herr Nagórny antwortete nicht, denn in diesem Moment waren wieder Flugzeuge zu sehen. Sie kamen aus der Stadt zurück, wurden immer größer. Nagórny nahm Tosia hoch und lief mit ihr ins Haus, die Frau ihnen nach. Als sie die Tür schlossen, ging eine Erschütterung durch das Gebäude. Die Küchenwand barst in einer Zickzacklinie, von der Decke senkte sich eine Staubwolke herab. Im Zimmer stürzte der Schrank zu Boden. Holz knirschte, dann wieder Getöse von draußen. In der Stille zwischen den Explosionen hörten sie, wie draußen jemand schrie, der Teufel sei gekommen, man solle beten. Tosia kam zu dem Schluss, es musste Herr Budzikiewicz oder der alte Duszny sein, von dem ihr Vater sagte, er sei verrückt. Noch einmal bebte das Haus, und danach war es still. All das dauerte nur wenige Minuten.

      Mama kam mit Michaś an, unter Tränen, wie bei Mama üblich, und drückte sie gleich – wie konnte ich dich nur hierlassen, Kind – auf der Schwelle an sich, schob sie wieder weg, drückte sie wieder. Kommt, wir müssen Vater finden, ob ihn in der Schmiede nicht was getroffen hat, Jesses Maria, gehen wir.

      Vater stand schon auf der Straße, zusammen mit den anderen. Völlig zugestaubt, und das Pferd wie ein fremdes – statt weiß plötzlich grau. Die meisten Leute schauten zu den Ochyras hinüber, wo die Scheune brannte und Geschrei ertönte. Bugaj sah zum Himmel und lief los. Vater lief auch los, zusammen mit einigen anderen.

      Tosia erinnerte sich an die Leute, die in der Scheune schliefen. Sie waren am Morgen desselben Tages von der Landstraße abgebogen. Sie war hinausgelaufen, um zu gucken. Es waren viele Leute gewesen, sie kamen von der Stadt her, sechs Wagen, beladen mit Menschen und mit allem, was man auf einen Wagen laden kann. Vor dem Haus der Ochyras hielten sie, und ein paar sprangen herunter. Derjenige, der am meisten sprach, war sehr jung. Sie sprachen lange mit dem alten Ochyra und sagten, sie müssten sich ausruhen, schlafen, bräuchten ein Dach über dem Kopf; am nächsten Morgen wären sie nicht mehr da, das versprachen sie. Sie seien schon den dritten Tag auf der Flucht vor den Deutschen. Zur Familie in der Nähe von Warschau, dort sei es sicher. Ochyra sagte, sie könnten bleiben, so lange sie wollten. »Man muss sich jetzt helfen, verdammt noch mal.«

      Sie hatten Felle, Decken, Pelze von den Wagen geholt und in der Scheune ausgebreitet. Einer der Männer, ein Alter mit Star im Auge, dankte Ochyra auf Knien. Ochyra kratzte sich am Kopf und schnitt Grimassen, wie es so seine Art war. Es war noch keine Stunde vergangen, da hatten schon fast alle Ankömmlinge geschlafen.

      Jetzt sah Tosia zu, wie das Dach der Scheune einstürzte und Flammen herausschlugen. Das Tor war durch ein großes Stück des qualmenden Strohdachs versperrt. Immer weniger Leute schrien, doch diejenigen, die noch schrien, schienen lauter zu schreien. Wörter konnte Tosia nicht unterscheiden, das waren keine Wörter mehr, das Feuer schoss durch die Löcher im Dach und verbreitete sich nach allen Seiten, der Hühnerstall und die meisten Wagen im Hof brannten schon, es stank nach etwas Scharfem, Süßlichem.

      Sie ging zu Mama und nahm sie bei der Hand. Mama war wie ein Stein, sie sah sie nicht einmal an. Als wieder ein Stück Dach krachend in die Scheune fiel, schmiegte sie sich fester an Tosia.

      Auf dem Hof wurde es immer heißer, die Glut schlug in die Gesichter. Vater stand in der Grätsche am Brunnen, zerrte an der Kette und zog Wasser heraus. Er füllte es in einen anderen Eimer, und Herr Ochyra lief zur Scheune und goss das Wasser direkt ins Feuer, wobei er viel verschüttete. Bugaj und andere versuchten mit Stöcken, das schwere Stück Strohdach wegzuräumen. Frau Ochyra stand hinter ihrem Mann und betete laut.

      Etwas stemmte von innen das verrammelte Tor auf. Niemand schrie mehr. Die dunkle Gestalt eines Menschen schwankte heraus und fiel neben einem der Wagen auf die Knie. Vater ließ die Kette los, es platschte. Herr Ochyra, über den Eimer gebeugt, erstarrte. Die Gestalt schwieg. Sie hielt die Hand an die Stelle, wo das Gesicht sein musste. Sie brannte vollständig, außer den Beinen, die nackt waren. Als die Gestalt den Kopf senkte, sah Tosia, dass etwas abfiel. Gleich darauf noch etwas. Aus dem offenen Mund dampfte es. Bevor Vater angelaufen kam und die Gestalt mit einem großen, von der Leine gezogenen Federbett löschen konnte, lag sie schon flach ausgestreckt am Boden.

      Tosia erfuhr nie, wie die Gestalt hieß, woher sie kam, wie alt sie war und was sie empfand, als sie in der brennenden Scheune aufhörte, ein Mensch zu sein. Nachdem die Scheune gelöscht war, lud man sie zusammen mit den anderen auf einen mit Stroh ausgelegten Leiterwagen. Es waren sechsundzwanzig. Frau Ochyra hatte ein Laken gegeben, damit man sie zudecken konnte. Zusammen mit den Geflüchteten nahm man die Leichen von sechs Einwohnern von Chojny mit, die von den Bomben getötet worden waren, und am nächsten Tag wurden alle auf den Friedhof von Grzegorzew gebracht.

      Vater half sie vergraben. Ochyra, Drews und er, sie waren hingefahren. Er erzählte nur ein Mal davon, an jenem Abend, als er zurückgekehrt war und sich betrank, obwohl er keinen Alkohol mochte. Er saß im Sessel und redete mit sich selbst, Mama schaute auf ihre Hände, sie aßen in der Küche am runden Tisch, ganz leise, kein Löffel klirrte. Den jungen Duszny hatten sie an den Rand des Grabes gelegt, auf der linken Seite. »Wenn man für ihn beten will, muss man dran denken, dass er ganz links liegt, sein Gesicht war zu erkennen, alles, nicht wie bei den anderen. Ganz links, Sabcia, denk dran, ganz am Rand.« Er trank, fuhr sich durchs Haar. Dann sprach er etwas lauter: »So ein geschickter Junge, alles konnte er reparieren, wie alt mag er gewesen sein, Sabcia, was meinst du? Wohl keine fünfundzwanzig, zwanzig vielleicht. Ein hübscher Junge, ein

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