Hegels "Phänomenologie des Geistes". Ein systematischer Kommentar. Georg W. Bertram

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Hegels

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aus, ist leicht zu sehen, dass Hegel nicht einfach allgemein von Wissenschaft spricht, sondern Wissenschaft in spezifischer Weise versteht: als Philosophie. Die Ausführungen Hegels zur Wissenschaft handeln von Philosophie, präsentieren also Philosophie als Wissenschaft par excellence.

      Wissenschaft in diesem Sinn beginnt damit, dass von Positionen Wissensansprüche erhoben werden und dabei ein bestimmtes Verständnis davon vertreten wird, was Wissen ist. Solche Positionen werden immer in konkreter Weise auf etwas bezogen. Sie sind mit spezifischen historischen Umständen verbunden, mit körperlichen Aktivitäten und Interaktionen von Subjekten innerhalb von Gemeinschaften. Wissenschaft ist dabei, wie erläutert, insofern eine Erscheinung, als die erhobenen Wissensansprüche immer einem kritischen Blick unterworfen werden müssen, was in einem Prozess des immer neuen Überprüfens von Wissensansprüchen geschieht. So kann man die erste positive Angabe verstehen, die Hegel macht und der zufolge »diese Darstellung nur das erscheinende Wissen zum Gegenstande hat« (75/72). Die PhG ist also eine Darstellung davon, wie unterschiedliche Ansprüche, ein Wissen vom Wissen zu haben, an sich selbst scheitern und inwiefern daraus Rückschlüsse für ein angemessenes Wissen vom Wissen gezogen werden können.

      Damit gewinnen wir zugleich ein erstes Verständnis der wiederkehrenden Rede von einem Weg: Es geht Hegel darum, ein Wissen, das sich als Wissen weiß, in angemessener Weise zu entfalten. Dies soll dadurch geleistet werden, dass unterschiedliche Varianten des Wissens vom Wissen als einseitig verständlich gemacht werden, also als solche, die an ihren Wissensansprüchen scheitern. Dadurch sollen sich zunehmend Konturen eines angemessenen Wissens vom Wissen ergeben. Heidegger schreibt sehr treffend, dass der Weg, den Hegel sich vornimmt, nicht als eine Reisebeschreibung durch das »Museum der Gestalten des Bewußtseins«14 zu verstehen ist. Vielmehr geht es um eine sukzessive Befragung von Einseitigkeiten, die ein Wissen vom Wissen verhindern.

      Hegel charakterisiert im Anschluss den Weg, den er sich vornimmt, mit zwei weiteren Formulierungen, die beide auf ihre Weise klärend sind. Er charakterisiert ihn als den »Weg des natürlichen Bewusstseins, das zum wahren Wissen dringt« (75/72), und als »Weg der Verzweiflung« (75/72). Das »natürliche Bewusstsein«, von dem Hegel hier spricht, ist nicht mit der »natürlichen Vorstellung« zu verwechseln, die am Anfang der Einleitung steht. Wie wir gesehen haben, ist die »natürliche Vorstellung« eine solche, die Hegel überhaupt nicht für natürlich hält. Er ist vielmehr der Meinung, dass in dem Projekt der Erkenntniskritik viele unbegründete und überhaupt nicht selbstverständliche Voraussetzungen stecken. Hegels Charakterisierung der Vorstellung als »natürlich« ist also als ironisch zu verstehen. Seine Rede von einem »natürlichen Bewusstsein« ist hingegen nicht ironisch. Sie bezeichnet vielmehr ein einfaches Wissen vom Wissen im Sinne eines Wissensanspruchs, der besonders voraussetzungslos vertreten wird.

      In dieser Erläuterung steckt eine entscheidende These, die Hegel mit vielen seiner Vorläufer teilt: Jedes Bewusstsein ist ein Wissen vom Wissen. Bewusstsein ist immer Selbstbewusstsein. Dies hat bereits Descartes behauptet,15 und alle wesentlichen neuzeitlichen Positionen sind ihm darin gefolgt. Hegel macht damit noch einmal deutlich, dass es ihm nicht darum geht, seinen Vorgängern einfach eine andere Position entgegenzusetzen. Er will vielmehr von gegebenen Positionen ausgehend eine Position entwickeln, die nicht mehr an ihren Wissensansprüchen scheitert. Das natürliche Bewusstsein ist als ein selbstverständlich erhobener Wissensanspruch ein geeigneter Ausgangspunkt, um zu diesem Punkt zu gelangen.

      Auf der Basis des bislang Geklärten lässt sich auch verstehen, was Hegel meint, wenn er von einem »Weg der Verzweiflung« spricht. Es handelt sich um einen Weg, in dem zunehmend die Selbstverständlichkeit, Wissensansprüche zu erheben, verlorengeht. In diesem Sinn verzweifelt das natürliche Bewusstsein. Diese Verzweiflung ist dabei nicht einfach ein theoretisches Geschehen, sondern hat eine existentielle Dimension. In dem Maße, in dem das Erheben von Wissensansprüchen für uns immer selbstverständlich ist und auf selbstverständliche Weise vollzogen wird, sind wir es, die verzweifeln. Die PhG behandelt unterschiedlichste Positionen, denen das Erheben von Wissensansprüchen in der ein oder anderen Weise selbstverständlich ist. Und da sich immer wieder Selbstverständlichkeiten in das Erheben von Wissensansprüchen einschleichen, geht die Verzweiflung immer weiter.

      Hegel stellt genau in diesem Sinne einen Bezug zum Skeptizismus her, indem er von einem »sich vollbringende[n] Skeptizismus« (75/72) spricht. Der Skeptizismus ist eine Position, die besagt, dass wir nicht zu Wissen gelangen können. Es gibt ihn mindestens in einer antiken und einer neuzeitlichen Variante. Der antike Skeptizismus der pyrrhonischen Schule plädiert auf Basis der These von der Unmöglichkeit des Wissens für eine bestimmte Lebenshaltung. Hegel kommentiert diese Variante des Skeptizismus im Rahmen des Selbstbewusstseinskapitels. Der neuzeitliche Skeptizismus vertritt hingegen die These von der Unmöglichkeit des Wissens im vollen Sinne; so zum Beispiel in der Variante, die David Hume (1711–1776) vor Hegel explizit vertreten hat.16 Hegel knüpft mit seiner Bemerkung in der Einleitung mehr an dieses neuzeitliche Verständnis des Skeptizismus als an seinen antiken Vorläufer an. Dass der Skeptizismus sich vollbringt, heißt so gesehen: Das Verzweifeln an den Selbstverständlichkeiten, die bei Wissensansprüchen im Spiel sind, führt dazu, dass Wissen als eine zunehmend unsichere Sache erscheint. Genau dies aber ist eine grundsätzliche Voraussetzung von Wissen: Wissen ist nur im Durchgang durch den Skeptizismus möglich. Es muss ausgehalten werden, dass Wissen nicht endgültig abgesichert zu werden vermag. Alles Wissen muss so die Herausforderung des Skeptizismus bestehen, und zwar nicht in dem Sinne, dass der Skeptizismus widerlegt wird (wie unter anderem Kant dachte),17 sondern in dem Sinne, dass der Skeptizismus als Herausforderung aller Wissensansprüche zugelassen wird. Der Skeptizismus ist eine Bedrohung unseres Wissens; aber er wäre falsch verstanden, wenn man ihn als allein destruktiv verstünde. Konsequent betrachtet ist der Skeptizismus produktiv. Erst durch den Skeptizismus wird Wissen möglich, das Bestand hat. Hegel verkehrt damit die skeptische Doktrin: Der Skeptizismus ist für ihn eine Theorie von der Möglichkeit des Wissens, die sich gerade aus dem Abbau von Selbstverständlichkeiten ergibt. Wir können jetzt vielleicht besser verstehen, wie Hegel seine Überlegungen zusammenfasst:

      Der sich auf den ganzen Umfang des erscheinenden Bewusstseins richtende Skeptizismus macht dagegen den Geist erst geschickt zu prüfen, was Wahrheit ist, indem er eine Verzweiflung an den sogenannten natürlichen Vorstellungen, Gedanken und Meinungen zustande bringt, welche es gleichgültig ist, eigene oder fremde zu nennen, und mit welchen das Bewusstsein, das geradezu ans Prüfen geht, noch erfüllt und behaftet, dadurch aber in der Tat dessen unfähig ist, was es unternehmen will. (76/73)

      Die bislang nachvollzogenen Überlegungen machen auch verständlich, wie Hegel das Ziel des von ihm projektierten Weges versteht. Er sagt ja sehr deutlich: »Das Ziel aber ist dem Wissen ebenso notwendig als die Reihe des Fortganges gesteckt […].« (77/74) Das Ziel liegt dort, wo der Skeptizismus sich vollbringt, und das heißt: dort, wo Wissen gerade durch die Herausforderungen des Skeptizismus hindurch verständlich wird. Das Ziel liegt also für Hegel nicht dort, wo der Skeptizismus ausgeschaltet wurde, sondern dort, wo er sich gewissermaßen selbst verwirklicht hat.18 Das Ziel kann man in Hegels Sinn also mit folgender Frage auf den Punkt bringen: Wie kann man skeptisch sein, ohne zum Skeptiker zu werden? Die Antwort auf diese Frage kann vorläufig lauten: Man kann dies dadurch sein, dass man sich zu sich selbst immer und durchweg kritisch verhält, ohne sich und die eigenen Ansprüche dabei insgesamt aufzugeben. Wenn man sich in seinem Wissen durchsichtig geworden ist, dann weiß man, dass es einer ständigen kritischen Befragung des Wissens bedarf. Man identifiziert sich in diesem Fall auch mit der kritischen Selbstreflexion und nicht nur mit bestimmten Wissensinhalten, die man auf die ein oder andere Art und Weise erworben hat. Aus diesem Grund bleibt man auch in aller Kritik bei sich selbst. Hegel deutet in diese Richtung, das Ziel des von ihm anvisierten Weges zu verstehen, wenn er sagt:

      Was auf ein natürliches Leben beschränkt ist, vermag durch sich selbst nicht über sein unmittelbares Dasein hinauszugehen; aber es wird durch ein anderes darüber hinausgetrieben, und dies Hinausgerissenwerden ist sein Tod. Das Bewusstsein aber ist für sich selbst sein Begriff, dadurch unmittelbar das Hinausgehen über das Beschränkte, und, da ihm dies Beschränkte angehört, über

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