Evolution statt Revolution. Anke Nienkerke-Springer
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All diese Unternehmen denken über ihren Daseinszweck als wirtschaftlich handelnde Geschäftseinheiten hinaus. Sie wollen, pathetisch gesprochen, einen Beitrag leisten, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. |
Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele. Wenn sich die Aktivitäten von Unternehmen gegen den Kunden wenden, wenn es offensichtlich ist, dass es einer Firma vor allem oder gar ausschließlich darum geht, ökonomische Ziele zum Dreh- und Angelpunkt ihres Handelns zu machen, dann sind solche Unternehmen Symbole für eine gänzlich andere Art des Wirtschaftens, bei der nur wenig oder überhaupt nicht auf Nachhaltigkeit geachtet wird. Es bleibt zu hoffen, dass die Kunden auf lange Sicht diejenigen Unternehmen belohnen, die dezidiert einen höheren Unternehmenszweck verfolgen.
Die unternehmerische Lebensaufgabe: fünf Merkmale
Ein Unternehmen, das sich einer unternehmerischen Lebensaufgabe widmet, zeichnet sich durch bestimmte Merkmale aus: Nachhaltigkeit, Sinnstiftung, Fairness, Potenzialentfaltung und Transparenz.
Die fünf Aspekte der unternehmerischen Lebensaufgabe
Das Merkmal »Nachhaltigkeit«
Beginnen wir mit der Nachhaltigkeit. Nachhaltig ausgerichtete Unternehmen fragen nach den Folgen ihres Tuns und beachten ökologische und ethische Standards, bis hin zu den Menschenrechten. Die zu Beginn des ersten Kapitels genannten Unternehmen agieren nachhaltig, indem sie über den Tellerrand ihres täglichen Tuns hinausdenken. Bei VAUDE zum Beispiel gehört die Nachhaltigkeit zu den entscheidenden Unternehmenszielen: »Wir setzen weltweit Zeichen und Standards in Sachen Nachhaltigkeit«, betont Antje von Dewitz in ihrer Vision, VAUDE gibt konsequenterweise einen Nachhaltigkeitsbericht heraus. Im Bericht von 2017 zum Beispiel stehen der Aufbau und die Etablierung einer Vertrauenskultur im Mittelpunkt, die dazu führen soll, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern von gegenseitiger Wertschätzung und einer vertrauensvollen Kommunikation geprägt sind. Das Unternehmen hat eine globale Agenda 2030 und eine ambitionierte Nachhaltigkeitsstrategie mit zehn Zielen definiert und beschreibt klare Maßnahmen, um globale Ziele wie »Keine Armut«, »Kein Hunger«, »Hochwertige Bildung«, »Geschlechtergleichstellung« und »Weniger Ungleichheiten« mit Leben zu füllen. Und die Geschäftsphilosophie bei der Share GmbH baut auf drei Säulen der Nachhaltigkeit auf: Das Unternehmen will sozial, ökologisch und ökonomisch agieren.
Evolutionäre Unternehmen, die auf dem Bestehenden aufbauen wollen, haben per se ein hohes Interesse daran, Ressourcen zu schonen und so einzusetzen, dass sie öfter oder immer wieder genutzt werden können. Sie sind auf den Erhalt von Ressourcen ausgerichtet, um diese auch zukünftig für Anpassungs- und Veränderungsprozesse verwenden zu können.
Das Merkmal »Sinnstiftung«
Den genannten Unternehmen ist ebenfalls gemeinsam, dass sie langfristige Werte schaffen wollen. Sie sind sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst und nehmen diese aktiv wahr. Sie sind sich sicher, dass ein Unternehmen weder Menschen noch Ressourcen noch die Erde durch seine Aktivitäten ausbeuten und zerstören darf. Sie belassen es nicht bei Lippenbekenntnissen und PR-Verlautbarungen in Hochglanzbroschüren, sondern ziehen konkrete Konsequenzen für ihr Handeln, sodass der Sinn ihres Unternehmens zu einem wichtigen oder sogar zu dem wichtigsten Steuerungselement wird.
In evolutionären Unternehmen steht die Frage nach dem Sinn und Zweck ihres Tuns im Fokus. Ein Unternehmen muss, ähnlich wie eine Gesellschaft, das Gemeinsame erkennen, damit es funktioniert. Dabei geht es um die Suche nach dem Sinn, danach, welchem tieferen, auch emotionalen Zweck die Tätigkeiten eines Unternehmens und die Aktivitäten der Mitarbeiter und Führungskräfte dienen.
Derzeit scheint es einen wahren Hype um die Frage nach einem höheren Sinn des unternehmerischen Tuns zu geben. Dies geschieht meistens unter dem Label »Purpose«. Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich bei der Strategie vieler Konzernchefs, die sich die Sinnsuche unter dem Modewort »Purpose« auf die Fahnen geschrieben haben, nicht vor allem um den Versuch handelt, dem Zeitgeist zu huldigen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Art der Sinnsuche vor allem dem Mainstream geschuldet ist. Da werden dann, oft mit Unterstützung einer PR-Agentur, flugs ein paar Werte benannt, um die Frage »Was wollen wir mit unserer Arbeit und unserem unternehmerischen Tun erreichen?« zu beantworten. Aus meiner Sicht aber sollte weniger die Frage nach dem Was im Fokus stehen, sondern die Frage nach dem sinnstiftenden Warum.
Die Warum-Frage ist der Treibstoff, der die evolutionäre Entwicklung vorantreibt, weil alle Menschen im Unternehmen, weil alle Führungskräfte und Mitarbeiter den Willen und den Mut haben, nach dem Sinn dessen zu fragen, was sie selbst in ihrem Verantwortungsbereich veranstalten. Zudem wird gefragt und reflektiert, ob sich das Unternehmen noch »auf dem richtigen Weg befindet« und ob die einzelnen unternehmerischen Entscheidungen der Kernbotschaft und der Lebensaufgabe entsprechen, die das Unternehmen verfolgt. Darum führen evolutionäre Unternehmen kontinuierlich Meetings durch, in denen auf Entscheiderebene, auf Führungsebene und auf Mitarbeiterebene intensiv die Frage nach dem Warum des unternehmerischen Tuns diskutiert und immer wieder aufs Neue beantwortet wird. Denn Menschen wollen wissen, dass sie das Richtige richtig tun und auf der richtigen Seite stehen.
Sinnstiftung wird in evolutionären Unternehmen als Halt und Orientierung bietende Führungsaufgabe verstanden. Denn auch die Führungskräfte wollen einen tieferen Sinn in ihrem Tun identifizieren. Zum anderen wollen sie auf die entsprechenden Fragen der Mitarbeiter vorbereitet sein, etwa: »Warum machen wir das, was wir tun?« Solche Fragen werden in Zeiten, in denen vor allem die hoch qualifizierten Mitarbeiter ihre Lebenserfüllung immer seltener im Beruf allein erkennen können, immer öfter gestellt.
Das Merkmal »Fairness«
Evolutionäre Unternehmen mit Persönlichkeit wollen faire Beziehungen zu allen Stakeholdern aufbauen. Primär sind damit faire Beziehungen zu den Kunden und zu den Mitarbeitern gemeint, darüber hinaus aber auch zu den Lieferanten, mithin zu allen Menschen, die an der Wertschöpfungskette beteiligt sind.
Damit nicht genug: Auch die Beziehungen zu den Menschen, die indirekt von den Geschäftsaktivitäten des Unternehmens betroffen sind, und zur Gesellschaft insgesamt rücken in den Blickpunkt. Wer auf diese Art und Weise ganzheitlich denkt und entsprechend agiert, wird sich überdies die ethisch-moralische Frage stellen, welche Konsequenzen das wirtschaftliche Handeln für nachfolgende Generationen oder gar die Welt hat. Die Diskussion dieser Frage stellt die Grundlage all dessen dar, was wir unter dem Stichwort »Fair Trade« diskutieren. Wiederum gilt: Die Tatsache, dass sich die Unternehmensverantwortlichen mit Fair Trade beschäftigen, ist kein hinreichendes Kriterium, es als »evolutionäres Unternehmen mit Persönlichkeit« zu bezeichnen. Maßgebend sind die dahinterstehende Haltung und das Menschenbild:
Wer in der Vergangenheit ethisch-moralische Fragen zu stellen wagte, die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen thematisierte und diskutieren wollte, wie man sich als Unternehmen fair auch gegenüber der Gesellschaft verhalte, wurde nicht selten der Naivität verdächtigt. Ich stelle in meinen Beratungen und Coachings im Topmanagement fest: Immer mehr Menschen, insbesondere Vorstände und Geschäftsführer, sind offen für solche tiefergehenden Fragestellungen