Reden straffen statt Zuhörer strafen. Katja Kerschgens

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Reden straffen statt Zuhörer strafen - Katja Kerschgens Whitebooks

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Reden

      Sie kennen diesen Effekt aus dem Alltag: Sie haben sich beispielsweise ein neues Auto gekauft – in einer recht ungewöhnlichen Farbe. Sie sind sich sicher, dass Sie Ihr Fahrzeug jetzt auf jedem Parkplatz auf Anhieb wiederfinden werden. Denn diese Farbe gibt es doch so gut wie gar nicht auf den Straßen, sind Sie sich sicher. Doch ab dem Tag, an dem Sie dieses Auto besitzen, werden Sie plötzlich jede Menge andere Fahrzeuge mit exakt der gleichen Farbe sehen – wo kommen die alle her? In Wirklichkeit waren die alle vorher schon da. Sie haben sie nur nicht wahrgenommen. Jetzt haben Sie Ihre Wahrnehmungsfilter in Ihrem Gehirn auf diese Farbe fokussiert, weil Sie selbst ein Auto in dieser Farbe besitzen – und plötzlich rückt diese Farbe ganz von allein in Ihren Blick. Genauso können Sie Ihren Fokus ab sofort auf gute Redner lenken: Das wird es Ihnen erleichtern, auch Ihre Reden zu straffen – denn Sie haben jetzt ein Ohr und ein Auge dafür.

      Wenn Sie dieses Buch in Händen halten, hören Sie keinen Redner. Aber sie werden zahlreiche Beispiele aus der Praxis lesen, die Sie inspirieren werden. Das ist natürlich nicht zu vergleichen mit dem Erlebnis, wenn Sie einen Redner live hören. Aber es gibt Ihnen ein erstes Gefühl dafür, was straffe Reden ausmacht. Die Erkenntnisse, die Sie hier beim Lesen gewinnen, können Sie auch bei jeder Rede gewinnen, die Sie hören. So oder so werden Sie ein Gefühl dafür entwickeln, was straffe Reden wirklich ausmacht.

      

      Fangen Sie mit den Floskeln an

      Eine erste, einfache Möglichkeit ist beispielsweise die, dass Sie Ihr Ohr für Floskeln öffnen. Achten Sie ab sofort darauf, wie oft Redner solche überflüssigen Formulierungen benutzen wie:

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      ▪ „Wie mein Vorredner ja bereits darstellte …“

      ▪ „Ich freue mich über Ihr zahlreiches Erscheinen …“

      ▪ „Ich komme nun zu einem weiteren, wichtigen Punkt …“

      ▪ „Darauf werde ich im Laufe meiner Rede noch einmal zurückkommen …“

      ▪ „Ich würde jetzt gerne auf den nächsten Punkt zu sprechen kommen …“

      ▪ „Ich möchte das noch einmal etwas anders formulieren…“

      ▪ „Auch auf die Gefahr, mich zu wiederholen …“

      Stellen Sie sich vor, Sie könnten all diese Floskeln aus der Rede eines solchen Redners streichen – das würde schon enorm zur Straffung beitragen! Dasselbe gilt natürlich für Ihre eigenen Reden.

      Die Wirkung entscheidet

      Noch heute werde ich auf manche Reden angesprochen, die ich vor langer Zeit gehalten habe. Die meisten erinnern sich dabei kaum noch an die Inhalte. Aber sie erinnern sich daran, dass es ihnen Spaß gemacht hat oder dass sie interessiert zugehört haben, dass es sie berührte oder nachdenklich gemacht hat.

      Es ist übrigens kein Qualitätsmerkmal, wenn sich jemand nur wenig daran erinnern kann, was Sie genau gesagt haben. Dieser Effekt ist unserem Gehirn geschuldet, das sich Worte schlechter merken kann als Bilder.

      Schon seit den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts geistern beispielsweise die Studien von Prof. Albert Mehrabian durch die Rhetorikliteratur. Er versuchte damals anhand von Experimenten zu verdeutlichen, dass Widersprüche zwischen dem Inhalt einer Aussage sowie der Stimme und Körpersprache schnell hinsichtlich der letzteren beiden Aspekte interpretiert werden. Sagt also zum Beispiel jemand „Freundschaft“, betont das Wort aber negativ, so vermutet die Versuchsperson, dass es mit der vermeintlichen Freundschaft nicht weit her sein kann. Ähnliches beobachtete Mehrabian auch hinsichtlich Mimik und Gestik. Heraus kam, dass eine Botschaft nur zu sieben Prozent über den Inhalt, aber zu 38 Prozent über die Stimme und zu 55 Prozent über die Körpersprache wirkt.

      Derartige Prozentangaben sind sicherlich strittig. Aber die Gehirnforschung zeigt, dass grundsätzlich etwas dran ist: Das Unterbewusstsein reagiert sehr stark auf optische und akustische Reize und speichert wesentlich mehr davon ab, als unser Bewusstsein mitbekommt. Die Wissenschaft geht sogar davon aus, dass wir zu 95 Prozent aus dem Unterbewusstsein und nur zu fünf Prozent aus dem Wachbewusstsein agieren.4 Das erklärt auch die „Entscheidungen aus dem Bauch heraus“ – streng genommen gibt es keine anderen, denn alles wird vorher mit dem riesigen unbewussten Wissensschatz abgeglichen.

      So, wie Entscheidungen unbewusst gefällt werden, so werden Sie auch als Redner vor allem auf der unbewussten Ebene wahrgenommen. Und ebendort entstehen Gefühle wie Sympathie, Spaß, Neugierde oder Vertrauen.

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      Auch aus einer straffen Rede merken sich die Zuhörer selten die einzelnen Inhalte. Aber das Erlebnis, das mit dieser Rede verbunden wird – das bleibt hängen.

      Und damit kommen wir zu einer der wichtigsten Grundlagen für straffe Reden: Wenn Sie sich verstellen, werden die unterbewussten Alarmglocken Ihrer Zuhörer schrillen. Doch genau das passiert, wenn Sie meinen, es allen recht machen zu müssen.

      Wer es allen recht machen will, macht was falsch

      Stellen Sie sich vor, ein Mann in einem schicken, teuren Anzug geht in einen hippen Snowboardladen – und regt sich dann darüber auf, dass die Ansprache dort nicht so ist, wie er sie von seinem Jaguarhändler gewohnt ist. Wer hat jetzt recht? Oder um es mit Platon zu sagen: „Ich kenne keinen sicheren Weg zum Erfolg, aber einen sicheren Weg zum Misserfolg: Es allen recht machen zu wollen.“ Sie können nicht von allen geliebt werden. Wenn Sie glauben, es immer allen recht machen zu müssen, werden Sie ein unglückliches Leben führen – denn Sie werden versagen.

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      Versuchen Sie gar nicht erst, es allen recht zu machen.

       Wer straffe Reden halten will, stellt sich höchstens die Frage: I Wem würde ich es am liebsten recht machen?

      Normal kann ja jeder

      Leider tappen viele Menschen gerne in die klassische Falle, in die uns übrigens auch wieder unser Unterbewusstsein schickt: Wir wollen normal sein. Bloß nicht auffallen oder aus der Rolle fallen.5 Die Folge sind dann eben auch „normale“ Reden – im wahrsten Sinne, weil sie nicht von der Norm abweichen. Solche Reden versetzen aber niemanden in Begeisterungsstürme. Im Gegenteil: Sie sind langweilig, weil sie eben nicht gegen die Norm verstoßen! Also trauen vielleicht auch Sie sich nicht, ungewöhnliche Reden zu halten, weil sie damit gegen eine (gedachte) Norm verstoßen. Doch im Gedächtnis bleibt das Ungewöhnliche, Überraschende, Schräge. Daher seien Sie mutig – Ihre Zuhörer werden Ihnen bewusst und auch unbewusst danken!

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      „Schön, wenn andere tolle Reden halten – aber wenn ich vor ein Publikum gehe, verkrampfe ich total. Ich weiß irgendwie nicht, was man von mir erwartet. Und wie ich in meine Rolle als Redner komme.“

      

      Diese Reaktion hat viel mit der Angst zu tun, es allen recht machen zu wollen, der Norm zu entsprechen. Doch wie sollen die Zuhörer wissen, wer Sie wirklich sind, wenn Sie es nicht zeigen? Und nur das ist

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