Wenn Sie wollen. nennen Sie es Führung. Cyrus Achouri
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Die Differenzierung in naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Systemtheorie erscheint mir wenig sinnvoll. Das Unterscheidungskriterium, dass naturwissenschaftliche Systemtheorie von objektiver Messung ausgehe, während sozialwissenschaftliche den Beobachter mit einschließe (Tschacher 2004), entspricht spätestens seit Aufkommen der Quantenphysik nicht einmal mehr dem naturwissenschaftlichen Weltbild. Zudem ist das systemtheoretische Paradigma gerade angetreten, eine für Natur- und Geisteswissenschaften gemeinsame Beschreibung anzubieten.
Interdisziplinarität
In der Folge werden deshalb Themencluster gebildet: von Evolutionsbiologie, Physik, Chaosforschung, Erkenntnistheorie, Philosophie, Kognitionswissenschaften, Entwicklungspsychologie, Coaching/Therapie und kultureller Evolution bis hin zur aktuellen Führungsstillehre und zu systemischem Management. Systemtheorie bündelt durch die interdisziplinäre Vernetzung viele Beobachtungen, auch wenn es sich dabei nur um relativ wenig Merkmale handelt, wie die Merkmale der Verschränktheit aller Systeme, Selbstorganisation und Autonomie oder auch der Koevolution und Kooperation. (Hawking 2009) Systemtheorie kann als gemeinsame Sprache verstanden werden, die sich aus so unterschiedlichen Bereichen wie Physik, Chemie, Biologie, Biochemie oder auch Physiologie herausgebildet hat. (Kriz 2004) Gerade auch Vertreter der »harten« Naturwissenschaften wie Hermann Haken begrüßen die interdisziplinäre Grenzüberschreitung in Systemtheorie und Synergetik. (Haken 2004) Ebenso haben sich Vertreter der Geisteswissenschaften immer wieder für ein interdisziplinäres Verständnis der Systemtheorie ausgesprochen, das angeborene Strukturen, biochemische und neuronale Prozesse, die Physis, die Familie oder auch die ökonomische Situation miteinbezieht. (Kriz 1989; Schiepek 2004)
Wir kommen aus dem Wasser
Evolutionsbiologie als Grundlage
Unsere Kultur und unser menschliches Selbstverständnis lassen sich nicht nur durch die biologischen Ursachen verstehen, zu ihrem Verständnis sind wir auf die Gesamtheit verfügbaren Wissens naturwissenschaftlicher wie geisteswissenschaftlicher Art angewiesen. (Damasio 2007) Wir müssen uns allerdings entscheiden, ob wir die Geschichtlichkeit unseres Daseins anerkennen und damit die Evolutionsbiologie als Grundlage anderer Disziplinen verstehen wollen.
Ein gängiger Einwand gegenüber der Evolutionstheorie betrifft die nach wie vor nicht mögliche lückenlose Beschreibung aller Ursache-Wirkungs-Ketten. In der Systemtheorie wird ein ähnlicher Einwand formuliert, indem darauf hingewiesen wird, dass die angeblich interpretierte Ordnung nicht lückenlos aufzufinden sei und immer nur in Teildisziplinen mit ihren jeweils eigenen Gesetzmäßigkeiten beschrieben werden könne. Diese Haltung vertritt die Systemtheorie jedoch selbst, indem sich Aussagen immer nur im jeweiligen Rahmen auf ein bestimmtes Bezugssystem beziehen lassen. Der Gedanke lässt sich bereits beim Mathematiker René Thom finden. (Miermont 2005)
Übernahme evolutionsbiologischer Begriffe
Interessant ist hierbei auch die Übertragung evolutionsbiologischer Begriffe auf die Ökonomie. Begriffe wie »Knappheit«, »Präferenz«, »Opportunität«, »Kosten« oder auch »Nutzen« werden dabei bivalent verwendet. Allerdings gibt es durchaus widersprüchliche Auffassungen in den Konzepten, da manche Vertreter den ökonomischen Ansatz sogar als »noch umfassender als den evolutionstheoretischen« verstehen (Radnitzky 1987, 117; Radnitzky/Bernholz 1987; Hirschleifer 1986), während andere die Ökonomie im Sinne eines »Lernens von der Natur« als kulturell und evolutionär geschaffen verstehen (Malik 2009; Otto et al. 2006). Diese Auffassung findet in der Bionik, also der Übertragung biologischen Wissens auf die Technik, ihre praktische Anwendung. Ich folge hier dem letzteren Verständnis.
Begrifflichkeit und Methode
Etymologisch geht das Wort »System« auf das griechische Wort »Synistánai« (zusammenstellen) zurück. Hierbei ist gemeint, dass Systeme sich nicht rein naturwissenschaftlich-analytisch verstehen lassen, da die Eigenschaften der Teile nicht isoliert betrachtet werden können, sondern nur im Kontext des größeren Ganzen zu begreifen sind.
Die doppelte Bedeutung von »Systemtheorie«
Der aufmerksame Leser wird merken, dass der Begriff »Systemtheorie« hier in zweifacher Weise verwendet wird – und zwar formallogisch durchaus widersprüchlich. Zum einen bezieht er sich auf die ursprüngliche Bedeutung des »Zusammenstellens«, sodass Systemtheorie den roten Faden interdisziplinärer Forschung bildet, im Sinne eines Bauplans, der die Welt zusammenhält. Zum anderen hat die Systemtheorie aber auch eigene Inhalte und Aussagen, ist also gleichsam ein System im System, eine Disziplin unter anderen Disziplinen. Da das Ganze nicht zugleich ein Teil desselben sein kann, schließt sich die doppelte Verwendung des Begriffes im engeren formallogischen Sinne aus. Weil aber die Welt nicht nur formallogisch zu verstehen ist, werden wir diese Ambivalenz im Weiteren nicht auflösen. Ebenfalls wird hier auf eine strenge Unterscheidung zwischen den Begriffen »Führung«, »Management« und »Leadership« verzichtet; ich folge damit der Pragmatik Neubergers (2002). Nicht notwendig für diesen Kontext ist beispielsweise die Unterscheidung von »Führung« mit personaler und interaktionaler Akzentuierung gegenüber »Management« mit strukturellen und institutionellen Schwerpunkten.
Zur Methode
So einfach die Hypothesenbildung sein mag, so schwierig gestaltet sich die Hypothesenprüfung. Wir können dafür mehrere Möglichkeiten in Betracht ziehen (modifiziert nach Vollmer 2002) und uns beispielsweise fragen, was der systemische Führungsansatz leistet, was sich mit ihm erklärt und was er eben nicht imstande ist zu leisten. Welche Vorteile hat er gegenüber den herkömmlichen Theorien und wie steht er zu diesen? Ergeben sich Widersprüche, ist die Theorie komplizierter oder einfacher als andere und wie wirkt sich das auf die Problemlösefähigkeit aus? Da Personalführung und Management vor allem praktische Anwendungsgebiete sind, ist auch zu prüfen, welche Best Practices es in der Führung gibt und ob sie mit systemischem Management in Einklang stehen. Auch die Frage »Cui bono?« wird relevant sein, um Gewinner und Verlierer, Befürworter und Gegner des systemischen Paradigmas transparent werden zu lassen. Ich werde diese Frage am Ende des Buches wieder aufgreifen, um Bilanz zu ziehen.
Wie dieses Buch zu lesen ist
Das Buch setzt – dem Thema entsprechend – auf Ihren Willen und Ihre Fähigkeit der Selbstorganisation, liebe Leser. Sie können es von vorne bis hinten durchlesen oder beliebig einzelne Kapitel herausgreifen. Die Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels werden Ihnen dieses Vorgehen erleichtern. Sie können aber auch mit dem 30-Punkte-Plan systemischer Führung beginnen und nur bei Bedarf die wissenschaftlichen Begründungen nachschlagen. Es ist schließlich Ihr Buch.
2. Wie Leben funktioniert
»Let everything be allowed to do what it naturally does, so that its nature will be satisfied.«
ZHUANGZI
Emergenz
Kollektive Probleme – kollektive Lösungen
Die ökologischen Herausforderungen, wie sie beispielsweise auf dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009 formuliert wurden, wie auch die Weltfinanzkrise, die 2008 ihren Ausgang nahm, sind kollektive Probleme und erfordern eine kollektive