Gestern Kollege – heute Vorgesetzter. Dagmar Kohlmann-Scheerer
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Lösung: Die Mitarbeiter beteiligen
Mit dem geschilderten Verhalten hat Frau Liehner eine gefahrvolle Klippe umschifft: nämlich die Mitarbeiter zu Schachfiguren zu degradieren, die lediglich ausführen, was von ihnen verlangt wird. So entsteht ein offenes Klima, die Menschen fühlen sich ernst genommen und in den Prozess der Veränderungen mit eingebunden. Die neue Vorgesetzte hat sich (und der Abteilung) Zeit gelassen, in Ruhe über notwendige Veränderungen nachzudenken, und die neuen Vorstellungen reifen lassen. Ein weiterer Gefahrenpunkt wurde somit ebenfalls umgangen: mangelnde Information und fehlende Transparenz. Dies hätte zu Gerüchten und Spekulationen geführt. Die Fantasie der Mitarbeiter wäre regelrecht angespornt worden, sich allerlei Unsinn auszudenken.
Lenken Sie die Energien Ihrer Mitarbeiter auf lohnende Objekte!
Hätte sich Frau Liehner entschieden, ihre Umstrukturierungen von oben herab zu befehlen, dann wäre dies zwangsweise auf Ablehnung gestoßen. Denn die wenigsten Menschen führen gerne Befehle aus, deren Sinn sie nicht erkennen. Frau Liehner kann sich jetzt, nachdem sie die Feuerprobe als neue Chefin bestanden hat, den 40 Prozent sachlichen Aufgaben und den 60 Prozent Führungsaufgaben widmen, die sie erwarten, ohne mit Querschüssen aus ihrer Abteilung rechnen zu müssen.
Fallstrick 2: Ein Mitarbeiter zieht nicht mit
Beispiel: Umgang mit übergangenen Kollegen
Am 1. Juli hat Uwe May die Nachfolge seines ehemaligen Chefs angetreten, der in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet wurde. Er hat sich selbst ein wenig gewundert, dass die Wahl ausgerechnet auf ihn gefallen ist, da er zu den Jüngsten in der Abteilung zählt. Wenn es streng nach der „Rangfolge“ gegangen wäre, hätte sein Kollege Richard den Posten bekommen müssen. Schließlich war Richard als Nachfolger immer mal wieder im Gespräch. Er ist schon 20 Jahre im Unternehmen und Uwe selbst war bei ihm in der Ausbildung. Richard hatte im Stillen fest damit gerechnet, dass er nun endlich befördert wird.
Uwe May macht sich auf den Weg zur offiziellen Ernennung zum Gruppenleiter, sein nächsthöherer Vorgesetzter stellt ihn seinen jetzigen Mitarbeitern vor. Ein klein wenig aufgeregt ist Uwe May schon, aber Gott sei Dank, die meisten nehmen es gelassen zur Kenntnis, man kennt sich ja sich bereits aus früheren Zeiten. Richard verlässt allerdings kommentarlos den Raum.
Voller Vorfreude tritt Uwe May ein wenig später an seinen neuen Arbeitsplatz. Er hat sich entschieden, zunächst seinen Schreibtisch im Großraumbüro zu belassen. So kann er sich schnell einen umfassenden Überblick verschaffen.
Bald stellt sich heraus, dass Richard schwierig wird. Er erkrankt zunächst, dann macht er Dienst nach Vorschrift und liegt ständig auf der Lauer, ob er nicht seinem ehemaligen Kollegen einen Fehler nachweisen kann. Weiter versucht er, Kollegen auf seine Seite zu ziehen, nach dem Motto: „Wollt ihr euch tatsächlich von einem so jungen Spund etwas sagen lassen? Der hat doch kaum Erfahrung.“ Sein Verhalten Uwe May gegenüber ist nicht direkt unfreundlich, aber wenig kooperativ. Deutlich ist spürbar: Das Klima in der Abteilung verschlechtert sich zusehends.
Der typische Fall tritt ein: Ein fauler Apfel in der Kiste steckt die gesunden an. Es entsteht dringender Handlungsbedarf für Uwe May. Was soll er tun?
1 Seinem nächsthöheren Vorgesetzen die Situation schildern und dann ein Gespräch zu dritt führen?
2 Die Sache zunächst auf sich beruhen lassen, damit Richard von alleine die Chance bekommt, sich einzugliedern?
3 Mit Richard reden?
4 Die Mitarbeiter durch neue Herausforderungen motivieren, um so Begeisterung zu wecken, von der sich eventuell auch Richard anstecken lässt?
Um nichts zu überstürzen, wägt Uwe May die verschiedenen Möglichkeiten zunächst in Ruhe gegeneinander ab.
Er verwirft Möglichkeit 1: Die Konfliktsituation würde durch das Gespräch mit dem Chef auf die nächsthöhere Ebene übertragen, und das wäre nicht im Sinne seiner Führungsstrategie. Außerdem würde er dies als eigenes „Versagen“ werten.
An Möglichkeit 2 knabbert er länger. Wie lange soll „auf sich beruhen lassen“ dauern? In der Gruppe hat sich das Klima spürbar verschlechtert. Er muss also etwas tun.
Möglichkeit 3: Richard fragen, warum er sich so verändert hat? Und wenn er dann alles abstreitet? So tut, als ob er sich so benimmt wie immer? Gar nicht verstehen will, was man ihm sagt? Nein, Uwe May entscheidet sich dagegen.
Lösungsansatz
Lösung: Motivation durch neue Herausforderungen
Uwe May wählt Möglichkeit 4: Begeisterung wecken. Den Menschen das Gefühl geben, dass sie gebraucht werden. Motivation durch Herausforderungen, Ziele und neue Aufgaben!
Richard könnte sich wieder wichtig fühlen und hätte so die Chance, seine Enttäuschung zu überwinden. Dadurch, hofft Uwe May, würde sich das Klima dann so verbessern, dass er mit Richard ein persönliches Gespräch über dessen Wünsche und Bedürfnisse führen könnte.
Er entscheidet sich also für die vierte Möglichkeit und trennt sich von einigen vermeintlich wesentlichen Aufgaben, um sie an sein Team zu delegieren. Er nennt Problemstellungen und bittet um Lösungsansätze. Er informiert über Ziele und bespricht einzelne Schritte, er entwickelt eine „Fehlerkultur“, in der die Mitarbeiter die Möglichkeit haben, angstfrei neue Ideen auszuprobieren. Er lässt Experimente zu. Kurz: Die Arbeit macht wieder Spaß!
Damit ist allen geholfen: Uwe May hat durch Delegieren verschiedener Aufgaben mehr Spielraum gewonnen, um seine Mitarbeiter zu führen und zu motivieren. Sein Team sieht neue Horizonte und zeigt Eigeninitiative, was zu guten Leistungen führt.
Fallstrick 3: Neue Besen kehren gut
Beispiel: Überstürzte Veränderungen
Es ist seit langem bekannt, dass Dirk Schneider am 1. Oktober die Leitung des Callcenters übernimmt. Sein Vorgänger wurde ebenfalls befördert, jeder erreichte somit die nächste Stufe der Karriereleiter. Alle haben es als selbstverständlich angesehen, dass Dirk die vakante Position übernimmt.
Dirk freut sich schon riesig auf den 1. Oktober, denn dann kann er endlich die Organisation so gestalten, wie er sich das immer schon vorgestellt hat. Raus aus dem alten Muff, ein flotterer Ton am Telefon ist schon lange nötig! So wie die Schreibtische stehen, findet er das auch nicht optimal – seiner mittendrin –, er ist dann doch schließlich der Chef, da braucht er schon mehr Abstand und einen größeren Arbeitsplatz.
Das Gespräch mit seinem zukünftigen Vorgesetzten hat ihn zwar ein bisschen gewundert, ließ dieser doch leichte Skepsis durchblicken, ob die Gruppe unter Dirks Führung so viel Leistung erbringt wie unter einer „straffen“ Führung von außen: „Es sind doch immerhin gute Kumpel von Ihnen ...“ Na, dem wird er es zeigen – gerade weil es gute Kumpel sind, werden sie alles daransetzen, dass die Abteilung super läuft. Da ist er sich ganz sicher.
Allerdings hat sein bester Freund und engster Mitarbeiter beim abendlichen Kneipenbummel schon verlauten lassen, dass er auf Dirks Loyalität baut, bezüglich Gehalt und so . . .
Überhaupt hat die Gruppe schon durch die Blume zu erkennen gegeben, dass man keine Zweifel daran hat, dass er zukünftig die Interessen der Gruppe (in puncto Spesen, Arbeitsbedingungen usw.) wesentlich besser nach oben vertreten kann.