Dem Kunden verpflichtet. Ingrid Gerstbach
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Vorwort
Wann immer ich den Begriff »Kreativbranche« höre, bin ich überrascht. Gibt es denn wirklich so etwas wie »unkreative« Unternehmen oder Branchen? Wenn ja, wie haben sie es bis dato geschafft zu überleben? Müssten sie nicht vielmehr im Museum neben den Dinosauriern stehen? Die Welt verändert sich so rasant, dass Unternehmen, die nicht kreativ sind, bereits von Anfang an zum Tode verurteilt sind.
»Innovieren oder sterben« ist nicht nur ein Slogan, sondern die brutale Wahrheit. Kreativität wird zum wichtigsten Wettbewerbsvorteil, den ein Unternehmen haben kann. Unternehmen müssen immer schneller und immer früher mit neuen Ideen und neuem Denken aufwarten. Aber wir haben ein massives Problem: Denn es herrscht nach wie vor die Meinung, dass der kreative Künstler aus einem anderen Stoff geschnitten ist als der normale Mensch. Kreativität wird als etwas Geheimnisvolles gesehen, das schwer zu fassen und nicht erlernbar ist.
Dabei ist Kreativität keine hohe Kunst. Vielmehr geht es darum, dass die Menschen sich wieder zutrauen, ihre eigene Vorstellungskraft zu nutzen. Vielleicht kann nicht jeder Michael Jackson oder Mozart sein, aber jeder kann singen. Wir alle werden kreativ geboren, aber wir verlernen es sehr früh. Dort, wo wir lesen und schreiben lernen, lernen wir nichts weiter als Konformität.
Junge Menschen sprudeln vor Ideen. Aber sobald sie zur Schule gehen, verlieren sie die Freiheit, Dinge zu erkunden, etwas zu riskieren und zu experimentieren. Wir verbringen unsere Kindheit damit, künstliche Fähigkeiten aufzubauen, damit wir zumeist unsinnige Prüfungen bestehen – nicht nur in der Schule, auch im Arbeitsleben. Wir lernen, den Menschen das zu geben, wovon wir glauben, dass sie es von uns erwarten. Wir verbringen unsere Tage in Meetings und reden übers Querdenken und Innovieren. Aber selten machen wir das dann auch tatsächlich.
Ein Unternehmen als ein System, das durch eine routinemäßige Abfolge von Tätigkeiten gekennzeichnet ist, arbeitet gut, wenn es darum geht, in Fabriken einheitliche Objekte zu produzieren. Aber in einer Welt, in der Unternehmen nur existieren, wenn sie von Suchmaschinen gefunden werden, funktioniert dieses System einfach nicht.
Ein Grund dafür, dass im Silicon Valley die wirklich disruptiven Innovationen stattfinden, liegt darin, dass dort vor allem Menschen arbeiten, die nicht systemkonform sind. Mit der Respektlosigkeit der Jugend, die immer noch in ihnen steckt, fordern sie bestehende Strukturen heraus, gehen Risiken ein und kümmern sich nicht darum, was andere Leute denken. Die Welt von heute braucht mehr von diesen Regelbrechern.
Unternehmen wachsen und innovieren also, wenn sie eine bestimmte Fähigkeit von Menschen anzapfen, die jeder von Natur aus mitbringt – die Fähigkeit, kreativ zu sein. Und die Fähigkeit, sich mit anderen Menschen zu verbinden. Empathie bildet in unserer Welt voller Kompliziertheit und Abstraktionen jedoch so etwas wie einen Gegenentwurf.
Empathie ist aber kein neues Phänomen. Der Tante-Emma-Laden hat es noch geschafft, eine persönliche Beziehung zum Kunden aufzubauen, der Supermarkt hat dies verlernt. Stattdessen wird auf Umsätze und Daten geschaut. Es ist oft nicht möglich, Kunden direkt nach ihren Wünschen und Bedürfnissen zu befragen. Um weiter zu wachsen und zu innovieren, müssen Unternehmen aus ihrer Komfortzone hinaustreten und in die Schuhe der (potenziellen) Kunden hineinschlüpfen. Dann eröffnen sie sich neue erfolgreiche Wachstumsmöglichkeiten.
Ich bin der Überzeugung, dass wir gerade am Anfang einer neuen Epoche stehen: des kreativen und empathischen Zeitalters der Menschheit. Wir alle wissen, wie dringend es ein Umdenken braucht – jetzt mehr denn je.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.
Ingrid Gerstbach
»Die Welt ist kompliziert geworden«
Unternehmen funktionieren heutzutage grundlegend anders als noch vor einigen Jahren. Es hat sich viel verändert, Technologien und Menschen haben sich weiterentwickelt. Denken Sie etwa an die 1990er-Jahre, in denen Sie nur entweder telefonieren oder im Internet surfen konnten. Sie konnten entweder mit Ihrem Kunden sprechen oder ihm eine E-Mail senden. Heutzutage ist es ganz selbstverständlich, beides gleichzeitig auf demselben Gerät zu tun. Das ist nur eines von unzähligen Beispielen. Das Problem aber generell ist, dass wir nicht wissen, wie wir mit der neuen Komplexität, die im Zuge der Veränderungen als normaler Nebeneffekt auftritt, fertigwerden können.
Natürlich gab es auch in der Vergangenheit bereits mehr oder weniger komplexe Systeme. Das Geschäftsleben ist von jeher voller Überraschungen, unerwarteter Ereignisse und unvorhersehbarer Zwischenfälle: eine Maschine, die aus unerfindlichen Gründen ausgefallen ist, eine Gesetzesänderung oder auch die unerwartete Nachfrage nach bestimmten Produkten oder Leistungen. Mir geht es aber um die Komplexität in Unternehmen, die sich deutlich verändert hat.
Vor allem in großen Systemen ist fast alles, womit wir im Alltag zu tun haben, sehr kompliziert geworden: Produkte, die wir entwerfen, Jobs, die wir erledigen, und auch Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten. Stärkster Treiber dieses Anstiegs ist sicherlich die informationstechnologische Revolution der letzten Jahrzehnte. Denn Systeme, die früher noch getrennt voneinander gearbeitet haben, werden jetzt miteinander verbunden und dadurch voneinander abhängig. Sie sind per Definition schon komplexer geworden.
Komplexe Unternehmen sind viel schwerer zu managen, als wenn nur einzelne Probleme komplizierter Natur sind. Denn je komplexer etwas ist, desto diffiziler wird es, Vorhersagen über einen möglichen Ausgang zu treffen – komplexe Systeme reagieren einfach unerwartet und unvorhersehbar. Komplexe Unternehmen sind auch viel schwieriger zu verstehen und zu durchdringen, weil vieles jenseits der menschlichen kognitiven Grenzen liegt. Auch ist das Verhalten eines komplexen Systems in der Vergangenheit ein anderes, als es zukünftig sein wird.
Erschwerend kommt hinzu, dass wir zwar wissen, wie komplex die Strukturen sind und dass Unternehmen etwas ändern müssen, aber dieses Wissen allein reicht nun mal nicht. Fraglich ist zudem, ob es bereits das wirtschaftliche Denken der Manager von heute durchdrungen hat. Denn