Dem Kunden verpflichtet. Ingrid Gerstbach
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Komplexe Kontexte: Die Domäne der Emergenz
In einem komplizierten Kontext existiert mindestens eine richtige Lösung bzw. Antwort. In einem komplexen Kontext gibt es jedoch keine eindeutig richtige Antwort. Für ein besseres Verständnis hilft vielleicht dieser Vergleich: Nehmen Sie ein Auto und den Verkehr. Autos sind zwar komplizierte Maschinen, aber ein erfahrener Mechaniker kann sie auseinandernehmen und wieder zusammenbauen, ohne etwas zu verändern. Das Auto ist statisch und letztlich immer die Summe seiner einzelnen Teile. Der Verkehr hingegen ist etwas, das ständig in Bewegung ist. Die Verkehrsteilnehmer ändern sich, das Wetter beeinflusst die Straßen und unterliegt Schwankungen, ein Bauprojekt führt zu Umleitungen etc. Das Ganze ist bei Weitem mehr als die Summe seiner Teile. Dieser Bereich ist der der »unbekannten Unbekannten«. Und es ist jener Bereich, in dem sich heutzutage die meisten Unternehmen befinden.
Denn die Mehrzahl der Situationen und Entscheidungen in Unternehmen ist komplexer Natur. Zahlreiche Unternehmen befinden sich inmitten großer Veränderungen: Ein schlechtes Quartal, ein neues Management, eine Fusion oder Übernahme bedingen gewisse Unvorhersehbarkeiten. In diesem Bereich können Sie meist nur im Nachhinein begreifen, warum sich die Dinge auf diese Art und Weise entwickelt haben. Deswegen ist in dieser Domäne das Experiment von so großer Bedeutung: Es gilt, geduldig zu verstehen, auszuprobieren, zu prüfen, dann zu spüren und im letzten Schritt zu antworten. Einfach vorzupreschen und eine Idee mit Gewalt durchzusetzen, kann allein deswegen schon nicht funktionieren.
Oftmals sind Unternehmen mit speziellen Herausforderungen konfrontiert, die eine Situation in die komplexe Domäne manövrieren. Es bedarf einer schnellen Lösung und der Druck ist enorm. Experten werden angeheuert, und im besten Fall versuchen diese, die Situation nachzuvollziehen und zu simulieren. Keiner der Experten wird in diesem Bereich sofort wissen, welche Antwort funktionieren wird. Stattdessen muss hier aus den zur Verfügung stehenden Informationen eine Lösung entwickelt werden.
Gerade bei Innovationen ist es oft unmöglich, alle Anwendungen und Einsatzbereiche vorherzusagen, die letztlich existieren könnten. Die Nutzer müssen zunächst überhaupt damit beginnen, ein neues Produkt einzusetzen. Erst danach kann ein Unternehmen die aufkommenden Muster unterstützen und erweitern.
Wie in den anderen Kontexten stehen die Führungskräfte in diesem komplexen Bereich vor mehreren Herausforderungen. Von größter Bedeutung ist die Versuchung, wieder in bekannte Managementstile zu fallen. Wie verlockend klingen in solchen Situationen ausfallsichere Businesspläne mit definierten Ergebnissen? Führungskräfte, die nicht verstehen, dass eine komplexe Domäne ein experimentelleres Vorgehen erfordert, werden schnell ungeduldig, da sie scheinbar nicht die Ergebnisse erzielen, die sie anstreben.
Aber nicht nur das: Es ist auch extrem schwierig, Scheitern und Versagen nicht nur zu tolerieren, sondern als Teil eines Lernprozesses zu verstehen. Dabei ist gerade das ein wesentlicher Aspekt des experimentellen Verständnisses. Wenn Sie versuchen, das Unternehmen zu kontrollieren und jeden Schritt vorzugeben, haben Sie nicht die Chance, natürlich auftretende Muster zu entdecken. Führungskräfte, die versuchen, in einem komplexen Kontext Ordnung zu schaffen, werden scheitern, aber diejenigen, die die Möglichkeiten des Ausprobierens begrüßen, die bewusst einen Schritt zurücktreten, Muster geduldig entstehen lassen und dann erst bestimmen, welche davon wünschenswert sind, werden Erfolg haben. Sie werden viele Möglichkeiten für Innovation, Kreativität und neue Geschäftsmodelle erkennen.
Chaotische Kontexte: Die Domäne der schnellen Reaktion
In einem chaotischen Kontext ist die Suche nach der richtigen Antwort wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen: schlicht und ergreifend sinnlos. Denn die Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung sind unmöglich zu bestimmen, weil sie sich ständig verschieben und keine überschaubaren Muster existieren – es herrschen nur Turbulenzen. Die Ereignisse vom 11. September 2001 fallen in diese Kategorie. Willkommen im Reich des Chaos.
In der chaotischen Domäne besteht die unmittelbare Aufgabe eines Managers nicht darin, Muster zu entdecken, sondern darin, das Feuer auf dem Dach zu löschen. Zunächst muss gehandelt werden, um eine gewisse Ordnung wiederherzustellen. Erst dann kann sich der Fokus darauf richten, wo Stabilität vorhanden ist und wo sie eindeutig fehlt. Danach wird darauf reagiert, und zwar so, dass die Situation von Chaos zu Komplexität transformiert wird. Dort, wo auftauchende Muster als solche identifiziert werden, können sowohl zukünftige Krisen verhindert als auch neue Möglichkeiten erkannt werden. Kommunikation ist in dieser Situation nicht nur der direkte Weg, sondern der einzig mögliche. Zu kommunizieren ist zwingend notwendig.
Leider beruhen die meisten Führungsrezepte auf Beispielen eines guten Krisenmanagements. Das ist ein Fehler, nicht nur weil chaotische Situationen glücklicherweise selten sind. Obwohl die Ereignisse vom 11. September nicht unmittelbar nachvollziehbar waren, erforderten die Anschläge ein entschlossenes Handeln. Der damalige Bürgermeister von New York, Rudy Giuliani, zeigte unter chaotischen Bedingungen außergewöhnliches Geschick, indem er Richtlinien erließ und Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung ergriff. In seiner Rolle als Bürgermeister wurde er jedoch häufig für genau diesen Top-down-Führungsstil kritisiert, der sich während der Ausnahmesituation als so enorm effektiv erwies. Auch nachdem sich eine gewisse Ruhe wieder eingestellt hatte, wurde Giuliani kritisiert, weil er vorgeschlagen hatte, Wahlen zu verschieben, damit er Ordnung und Stabilität aufrechterhalten könne. In der Tat besteht eine besondere Gefahr für Führungskräfte nach einer Krise darin, dass einige von ihnen weniger erfolgreich werden, wenn sich der Kontext verschiebt, weil sie nicht in der Lage sind, den Stil zu wechseln und anzupassen.
Darüber hinaus können Manager, die in chaotischen Kontexten sehr erfolgreich sind, ein übersteigertes Selbstbild entwickeln und in der eigenen Wahrnehmung zum Helden werden. Wenn sie aber tatsächlich zu einer Legende werden, wird das Managen schwieriger, weil ein Kreis bewundernder Unterstützer sie von den wirklichen Informationen bewusst und unbewusst abschneidet.
Dennoch ist die chaotische Domäne fast immer der beste Ort für Führungskräfte, um Innovationen voranzutreiben. Die Menschen sind in diesen Situationen offener für Neuerungen und Veränderungen als in anderen Kontexten. Eine ausgezeichnete Technik besteht darin, Chaos und Innovation parallel zu managen: In dem Moment, in dem Sie in eine Krise geraten, ernennen Sie einen zuverlässigen Manager oder ein Krisenteam, um das Problem zu lösen. Zur gleichen Zeit stellen Sie ein weiteres Team zusammen, das sich darauf konzentriert, die Dinge anzustoßen und anders zu machen. Wenn Sie warten, bis die Krise vorbei ist, ist die Chance vertan.
Führung über Kontexte
Eine gute Führung erfordert vor allem Offenheit für Veränderungen auf individueller Ebene. Erfolgreiche Führungskräfte wissen nicht nur, wie sie den Kontext, in dem sie gerade arbeiten, identifizieren, sondern auch, wie sie ihr Verhalten und ihre Entscheidungen so ändern, dass ihr Verhalten diesem Kontext entspricht. Sie bereiten ihre Mitarbeiter auch darauf vor, die verschiedenen Kontexte und die Bedingungen für den Übergang zwischen ihnen zu verstehen.
Universitäten, aber auch Unternehmen bilden ihre Führungskräfte dazu aus, in gelenkten und geordneten Bereichen zu arbeiten (einfach und kompliziert), aber die meisten Manager benötigen heute andere Fähigkeiten, da sie in ungeordneten Kontexten (komplex und chaotisch) arbeiten. Angesichts der heutigen Komplexität reichen auch Intuition, Intellekt und Charisma nicht mehr aus. Es bedarf vielmehr neuer Instrumente und Ansätze, um Unternehmen