Gedankenspiele über die Gelassenheit. Ilse Helbich
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Ilse Helbich
Gedankenspiele über die
Gelassenheit
Literaturverlag Droschl
Mir fällt eine Anekdote über Kardinal Henry Newman ein, der um etwa 1840 einer der Mitbegründer der Oxford-Bewegung war, von der wir heute höchstens noch den Namen kennen.
Newman, der vom anglikanischen Priester zu einem römisch-katholischen Kardinal geworden war, pflegte sich an den freien Sonntagnachmittagen zusammen mit drei anderen geistlichen Freunden beim Kartenspiel zu erholen.
Bei einer dieser Gelegenheiten brachte einer der Männer die Frage auf, was ein jeder von ihnen nun tun würde, wenn er die Botschaft bekäme, dass er nur noch 24 Stunden zu leben habe.
Der eine rief, er würde sofort, jetzt gleich, hingehen und versuchen, sich endlich, auch auf eigene Kosten mit seinem Bruder auszusöhnen, mit dem er seit Jahrzehnten verfeindet war. Der andere murmelte etwas von einem Versprechen, das er vor langem gegeben und bald darauf allzu gern vergessen habe, aber jetzt, jetzt würde er es sofort einlösen.
Als nun die anderen in Henry Newman drangen, der schweigend dagesessen war und den aufgeregten Freunden zugehört hatte, sagte der nur, er würde am liebsten ihr Kartenspiel fortsetzen.
Dieser Henry Newman muss ein sehr gelassener Mensch gewesen sein.
Dazu eine Gegengeschichte:
Als ich etwa vier Jahre alt war, erkrankte ich an einer schweren Lungenentzündung. Das war vor vielen, vielen Jahren, Antibiotika waren damals noch nicht bekannt und die Heilungsversuche beschränkten sich auf einige sehr volkstümliche Maßnahmen. Unserem Hausarzt fiel nichts mehr ein, und so hatte er einen Spezialisten zugezogen.
Der stand jetzt in seinem schweren, schwarzen Wintermantel an meinem Krankenbett. Der Mann hatte mich nicht untersucht, mit keiner Fingerspitze berührt und über mich hinweg unterhielt er sich ein wenig gelangweilt mit unserem Hausarzt und meinen Eltern.
Dies spielte sich wie in einer anderen Welt ab; ich lag tief drunten in meiner eigenen, und wusste noch klarer als sonst auch, dass ich mich auf die Welt der Erwachsenen ja nicht verlassen durfte. Vater und Mutter und alle anderen Großen waren gefangen in ihren eigenen Meinungen und ihren eigenen Schwierigkeiten, und ein Kind bedeutete für sie höchstens eine Last, und vielleicht auch eine Bedrohung.
Nebenan im Badezimmer wurden Vorkehrungen getroffen; das Dienstmädchen (so sagte man damals) war herbeigerufen worden, füllte jetzt die Badewanne mit fast kochend heißem Wasser, und der daneben gestellte Waschtrog wurde aus der Leitung mit um diese Novemberzeit eiskaltem Wasser gefüllt. Das Nachthemd wurde mir ausgezogen und das Dienstmädchen trug mich ins Bad und setzte mich unter den Augen der beiden Ärzte und meiner Eltern abwechselnd in die jeweiligen Behälter. »So schrei endlich!« rief mein Vater.
Ich konnte nur ahnen, was diese Anderen von mir wollten: Schreien sollte ich, schreien, dann würde meine verklebte Lunge sich lösen und damit wäre der Weg zur Heilung gebahnt. Aber ich durfte nicht schreien und biss meine Zähne zusammen – niemals würde ich mich diesen Anderen ergeben, diesen so anderen Fremden.
Ergebnislos wurde dieser Versuch schließlich beendet – und dennoch wurde ich allmählich wieder gesund.
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