Goettle und die Blutreiter. Olaf Nägele
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Читать онлайн книгу Goettle und die Blutreiter - Olaf Nägele страница 4
»Da ist ja unser Schisshase. Ich hab gleich gesagt, dass er keine Eier hat.«
»Natürlich habe ich Eier. Ich kann das beweisen.«
»Ach so, wie denn? Du wolltest doch einen Film drehen, wie du die Nacht in der Kirche verbringst. Hab ich nicht gekriegt. Weil du nicht drin warst.«
»Ich war in der Kirche, wirklich.«
»Mann, laber nicht. Wir brauchen Beweise.«
»Hat er nicht. Der pisst sich ein, wenn seine Mutter das Licht im Zimmer ausmacht. Buuuhhhuu, dann kommen die Geister und die Monster aus ihren Verstecken.«
»Quatsch, ich habe keine Angst im Dunkeln. Meine Schwester hat mir ihr Handy nicht gegeben, deswegen konnte ich keinen Film drehen. Ich kann es trotzdem beweisen, dass ich heute Nacht in der Basilika war.«
»Hör auf zu lügen, du Großmaul. Glaubst du, du kannst uns verarschen, oder was?«
»Aua. Wenn ihr versprecht, mich in Ruhe zu lassen, zeige ich euch etwas, was ihr noch nie gesehen habt.«
»Hau ihm eine rein, der tickt nicht ganz richtig.«
»Lass ihn los! Okay, zeig uns, was du mitgebracht hast. Wenn das irgendein Scheiß ist, hast du ein Problem.«
»Ich verarsch euch nicht. Hier.«
»Was ist das?«
»Dein Ernst? Du weißt nicht, was das ist? Das ist das Heilige Blut.«
»Krass. Ist das echt Gold und so?«
»Klar, ist das echt … He, Finger weg. Nur gucken.«
»Wer macht hier die Regeln, du kleiner Wichser? Boah, das ist voll schwer das Teil. Was ist das wert? ’ne Million?«
»Das werden wir bald wissen, was das wert ist. Ich kenne ein paar Leute, die sich mit solchen Sachen auskennen.«
»Ey, das ist unbezahlbar. Gib es wieder her. Bitte! Es ist nur … geliehen.«
»Scheiß drauf, geliehen. Es gehört jetzt uns. Und ich verspreche dir, dass wir dich erst mal in Ruhe lassen, okay? Das nenne ich einen fairen Deal. Was meinst du, Bruder?«
»Mehr als fair, Mann.«
»Das geht nicht. Das ist das Heilige Blut. Wir müssen es zurückgeben, sonst wird Gott uns strafen. Ich habe es mitgenommen, weil ich wusste, dass ihr mir nicht glaubt, dass ich heute Nacht in der Basilika war.«
»Machst du Witze? Es gibt keinen Gott. Also gibt es keine Strafe. Wenn hier einer straft, bin ich das. Ist dir das klar?«
»Au … Ich muss es zurückbringen … Gib her … Bitte!«
»Jetzt pass auf, mein Freund. Ich sage es nur einmal. Das Teil gehört jetzt mir! Verpiss dich. Und noch etwas: Wenn du mit irgendjemand darüber redest, bist du ein toter Mann. Das meine ich ernst, ist das klar?«
»Mach keinen Scheiß. Die stecken uns ins Gefängnis.«
»Heul nicht rum und halt’s Maul. Niemand geht ins Gefängnis, solange du die Fresse hältst. Und das würde ich dir echt raten, wenn dir dein Leben lieb ist. Zieh Leine.«
»Ich geh nicht ohne das Heilige Blut. Gib es her!«
»Er scheint es nicht zu begreifen. Okay, Bruder, halt das Teil. Ich muss deutlicher werden …«
Tumult.
Immer wenn sich Stimmen erheben, um den Choral des Widerstands anzustimmen, gibt es Abweichler, die sich nicht der Aufbruchsmelodie beugen wollen. Zu hart, zu zart, zu ideell, zu kommerziell, zu chaotisch, zu geordnet, zu primitiv, zu intellektuell, zu gemäßigt, zu radikal. Es gibt viele Möglichkeiten, seine Ablehnung kundzutun, die primäre Frage ist, ob man gehört wird.
Luis kannte das zu gut. Die letzten Versammlungen der Blutritt-Gegner im »Alibi« hatten immer in einem heillosen Durcheinander geendet, da keine Einigung darüber zu erzielen war, ob und wie die Prozession nachhaltig gestört oder gar verhindert werden konnte. Es gab eine sehr radikale Fraktion, die bereit war, sich durch gewaltsame Aktionen Gehör zu verschaffen. Viktor Zwercher war einer der Wortführer dieses Flügels, und er war es, der mit seinen Sprayaktionen in der Stadt bewies, dass er es ernst meinte.
Für die sanfte Riege um Anong Praves, zu der Luis’ Freundin Charlotte gehörte, standen solche Aktionen nicht zur Debatte. Sie setzte auf Aufklärung, verteilte Flugblätter, errichtete Informationsstände in der Stadt, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. »Überzeugen statt überfallen«, war ihr Motto. Jeden Samstag waren die jungen Frauen im Einsatz, doch nicht viele der Passanten ließen sich durch die Argumentation überzeugen, dass es sich bei dem Blutritt um ein touristisch aufgeblähtes Spektakel handele, bei dem die katholische Kirche versuche, Macht zu demonstrieren, die sie nicht mehr besaß. Der Blutritt-Tourismus gehörte zu Weingarten wie die Pädagogische Hochschule oder die Basilika, die Einwohner hatten sich an den Trubel gewöhnt und sahen in den Besuchern keine Gefährder der Ruhe, sondern eine wichtige Geldquelle der Stadt.
Luis stand ideologisch eher auf Zwerchers Seite, aber er wollte Anong und ihre Anhänger bei Laune halten. Allein Charlotte zuliebe konnte er nicht parteiisch sein, daher blieb er neutral und appellierte stets an den Zusammenhalt der Gruppe. Ungewollt war er in die Rolle des Vermittlers geraten und stand nicht selten zwischen den Fronten.
Anong hielt gerade ein flammendes Plädoyer für ihre Arbeit, sie hatte einen Journalisten überzeugen können, einen Bericht über die Bedenken der Blutritt-Gegner zu schreiben. Sie wurde immer wieder von Zwerchers Leuten unterbrochen.
»Der Schreiberling will dir an die Wäsche. Der sieht dich, dein glänzendes schwarzes Haar und deine dunklen Mandelaugen, stellt sich vor, wie es wäre, mit einer Asiatin ins Bett zu gehen, und wird geil!«, rief Carsten, ein etwas ungepflegt wirkender Hüne, der mit seinem ausgewaschenen Kapuzenpullover, seiner Camouflagehose und den schweren Doc Martens aussah wie ein aus der Zeit gefallener Hausbesetzer.
Anong zischte ihm ein »Fuck you« zu. Sie hatte Luis erklärt, dass sie oft genug mit Problemen wegen ihres asiatischen Aussehens zu kämpfen hatte, dabei war sie geborene Ravensburgerin. Ihre Eltern lebten seit mehr als 25 Jahren in Deutschland, sie selbst hatte deren Heimat Thailand nur auf Urlaubsreisen kennengelernt und konnte mit vielen Gebräuchen nicht viel anfangen. Sie fühlte sich durch und durch als Oberschwäbin und reagierte auf Vorurteile äußerst allergisch. Luis konnte das verstehen.
»Da spricht der blanke Neid aus dir«, sprang Charlotte ihrer Freundin bei. »Keine Haare, keine Mandelaugen, kein Verstand. Klar, dass der Journalist nicht mit dir sprechen will.« Sie strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr und funkelte Carsten zornig an.
»Oh, die Frau Gestütsbesitzerin wird böse«, ätzte ihr Gegenüber und verzog verächtlich den Mund. »Dabei sind es Typen wie dein Vater, die diesen Blutritt-Quatsch möglich machen. Er profitiert sogar davon. Je mehr Teilnehmer kommen, desto mehr Pferde kann er in Pension nehmen. Also halt besser dein vorlautes Maul.«
Charlotte sah ihn wütend an. Luis wusste, dass es viele nicht gern sahen, dass sie bei den Versammlungen der Gegner dabei war. Dabei versuchte sie regelmäßig, ihren Vater, den