Goettle und die Blutreiter. Olaf Nägele
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Goettle und die Blutreiter - Olaf Nägele страница 5
»He, jetzt beruhigt euch«, mischte sich Luis ein. »Es ist gut, wenn sich die Medien mit unseren Argumenten auseinandersetzen. Auf diese Weise erreichen wir mehr Leute. Ich finde es toll, dass Anong Kontakt mit dem Journalisten aufgenommen hat.«
Er lächelte sie an und sie erwiderte es, während um sie herum eine vielstimmige Diskussion einsetzte. Luis sah zu Viktor hinüber, der lässig auf seinem Stuhl fläzte und auf das Display seines Smartphones blickte, fast so, als ginge ihn diese Versammlung nichts an. Luis wunderte sich. Das war so gar nicht die Art des Sprachrohrs der Radikalinskis. Normalerweise war er der lauteste und ungehobelteste Gegner von Anongs »Weichspülern«. Doch an diesem Tag war nichts von seiner üblichen Aggression zu spüren, er wirkte fast unbeteiligt. Vielleicht war er wieder bekifft. Das kam in letzter Zeit hin und wieder vor, aber das machte Viktor eigentlich nur unsympathischer.
»Ruhe jetzt, verdammt noch mal!«, brüllte Luis.
Das Stimmengewirr verstummte. Luis atmete tief durch.
»Mit gegenseitigem Angezicke kommen wir hier nicht weiter. Wir haben nicht mehr viel Zeit. In acht Tagen startet die Prozession, und wenn wir unseren Protest in irgendeiner Art kundtun wollen, müssen jetzt konkrete Schritte eingeleitet werden. Wer also eine Idee hat, die umsetzbar ist, der kann sie jetzt vortragen. Verschont uns bitte mit theoretischen Konstrukten. Die helfen uns im Moment nicht.«
Er ließ seine Worte auf die rund 20 Versammelten wirken. Einige starrten auf die Tischflächen vor sich, andere veränderten ihre Sitzposition, jedoch meldete sich niemand, um einen Vorschlag zu machen.
»Was ist? Hat es euch die Sprache verschlagen? Ihr seid doch sonst so einfallsreich. Oder verlässt euch so kurz vor dem Blutritt der Mut?«
Luis blickte in die Runde. Anong schob ihr Blatt mit Notizen auf der Tischfläche hin und her, Charlotte schmollte, Carsten drehte sich eine Zigarette und Viktor tippte irgendetwas in sein Smartphone. Seine Ignoranz nervte Luis. Er ging auf ihn zu und riss ihm das Telefon aus der Hand. »Vielleicht kannst du auch etwas zu diesem Treffen beitragen, statt zu chatten.«
Viktor erhob sich und baute sich vor Luis auf. Er überragte ihn um einen halben Kopf, aber Luis war ein drahtiger Kerl und kannte keine Angst.
»Gib mir das Handy zurück«, knurrte Viktor. »Und spiel dich hier nicht so auf. Während ihr hier blöd herumlabert, arbeite ich an einer konkreten Lösung.«
Luis ließ die Hand mit dem Handy sinken. »Wie meinst du das?«
Mit einem gezielten Griff brachte Viktor sein Telefon wieder in seinen Besitz. Er wischte das Display mit einem Zipfel seines Hemdes sauber. »Mir geht dieses ganze Geschwurbel dermaßen auf den Sack. Wenn ihr denkt, ihr könntet durch euer sinnloses Geseier irgendetwas bewirken, täuscht ihr euch gewaltig. Wir brauchen einen Plan und ich habe einen Plan.«
Luis trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ach ja, du Dummschwätzer? Und wie sieht dieser ominöse Plan aus?«
Viktor grinste und tätschelte Luis die Wange. »Warte es ab. Du erfährst es früh genug.«
Gewissen.
Es pikst, sticht und beißt wie ein Insekt, das sich von Zweifeln nährt. Seltsam genug, dass sich das gute Gewissen sehr viel seltener spürbar ins Bewusstsein schiebt, fast so, als gehöre es zum Standardrepertoire des Gefühlslebens.
Andreas Goettle ging das Gespräch mit seiner Haushälterin eine Weile nach. Natürlich hatte sie recht. Wenn er nicht zur Anhörung wegen seiner Amtsenthebung erschien, konnte dies als Affront gegen den Erzbischof und Desinteresse an seiner Aufgabe ausgelegt werden. Timmermann war eh nicht gut auf ihn zu sprechen, weil Pfarrer Goettle seinen detektivischen Spürsinn entdeckt und bereits dreimal eingesetzt hatte. Immer wieder war er ermahnt worden, seine Gemeindearbeit nicht zu vernachlässigen, was er seiner Ansicht nach gar nicht getan hatte. Doch unter seinen Schäfchen gab es halt einige, die nicht aufhören wollten zu blöken. Die Beschwerden rissen nicht ab und schließlich fällte der Erzbischof die Entscheidung, Goettle vorerst von seiner Arbeit freizustellen. Selbst als der Kirchenvorstand sich auf Goettles Seite geschlagen und um seine Wiedereinstellung gebeten hatte, zeigte sich Timmermann nicht diskussionsbereit. Immerhin blieb ihm das Wohnrecht im Pfarrhaus erhalten, weil sein Vertreter aus Bad Waldsee nicht bereit war, seine Bleibe aufzugeben.
Andererseits sah Biberachs Ex-Gemeindepfarrer es als seine oberste Pflicht an, dem Kollegen Seegmüller in dieser schweren Stunde beizustehen. Vor allem interessierte ihn, wie es dem Täter gelungen war, die hoch gesicherte Kostbarkeit zu stehlen. Seegmüllers Schilderungen waren wenig aufschlussreich gewesen. In seiner Aufregung hatte er von Schmierfinken, Störenfrieden, Verfolgung und einigem mehr gesprochen und diese Aufzählung ohne kausalen Zusammenhang vorgetragen. Wie konnte es also sein, dass die sonst durch eine Alarmanlage gesicherte Reliquie gestohlen worden war? Hatte die Täterin oder der Täter die Sicherungseinrichtung manipuliert oder gar außer Kraft gesetzt? Wie konnte die Diebin oder der Dieb in die abgeschlossene Kirche gelangen und entkommen? Was wollte die Person mit der Reliquie? Sie verkaufen? Andreas Goettle konnte sich nicht vorstellen, dass dieses Schmuckstück einen Abnehmer finden konnte. Händler, selbst diejenigen, die Marktplätze im Geheimen beherrschten, wären sich der Brisanz des Gegenstands bewusst und würden von dieser heißen Ware die Finger lassen.
»So, da ist sie ja, die Basilika«, riss ihn der Taxifahrer aus den Gedanken. »Zwölf Euro fuffzich. Machen wir fünfzehn.«
Als er den verdutzten Blick seines Fahrgastes sah, konnte der Droschkenlenker ein Grinsen nicht unterdrücken.
»Spaß. Ich habe gedacht, ich hole mir einen Teil der Kirchensteuer wieder.«
»Wenn der Trick öfters fonktioniert, hen Se die bald wieder henna«, erwiderte Andreas Goettle, bezahlte und stieg aus.
Auf dem Münsterplatz herrschte gemächliches Treiben. Einige Passanten schlenderten vorbei, betrachteten die Auslagen der Geschäfte. Einige studierten die Plakate an der Touristeninformation. Über allen wachte die Basilika in ihrer ganzen barocken Pracht. Andreas Goettle ließ sich einen Moment von dem beeindruckenden Anblick gefangen nehmen. Die imposante Klosterkirche auf dem Martinsberg erinnerte ihn daran, dass er ein winziges Rädchen im Getriebe des Weltenlaufs war, gefangen in einer Zeit, in der die Kirche die Menschen mit ihren Botschaften immer seltener erreichte. Als die Basilika erbaut worden war, hatten die Äbte ihre Macht mit dem repräsentativen Gebäude untermauert und die Bevölkerung damit eingeschüchtert. Es war nicht so, dass er sich diese Zeit zurückwünschte. Goettle war sich bewusst, dass im Namen des Herrn nicht nur gerechte Entscheidungen gefällt worden waren. Aber ein wenig mehr Demut könnte der Gesellschaft nicht schaden, dachte er.
Der Geistliche konnte sich nicht gegen die Ergriffenheit beim Anblick des »Schwäbischen St. Peters« wehren. Langsam ging er auf das Gebäude zu, das mit jedem Schritt mehr gegen den Himmel wuchs.
Ein roter Schriftzug an der Mauer zum Aufgang erhaschte seine Aufmerksamkeit. »Bluttritt ist Tierquälerei«, war dort zu lesen.
»Aha, des isch ja interessant«, murmelte Biberachs Gemeindepfarrer und setzte seinen Weg fort.
Sebastian Seegmüller erwartete seinen Gast in seinem Büro. Er sah mitgenommen aus, die Sorgenfalte auf seiner Stirn hatte an Tiefe gewonnen und Goettle schätzte, dass sein Kollege seit dem Zwischenfall wenig Schlaf gefunden hatte. Dennoch hielt es ihn nicht auf seinem Stuhl. Unruhig umkreiste