im Schlaraffenland. Heinrich Mann

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im Schlaraffenland - Heinrich Mann

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man nur uns auf der Bühne vergewaltigen und die Pfaffen nicht? Was haben die vor uns voraus?“

      „Die Religion ist doch eine Sache für sich,“ sagte die schlanke junge Frau, die mit Blosch gekommen war. Einer der Herren bemerkte:

      „Die liebe Unschuld!“

      Andreas wunderte sich nicht mehr, dass man ihn selbst mit dem Ausdruck anredete, da er auch einer Dame an den Kopf geworfen wurde. Übrigens kehrte das Wort immer wieder. Jeder der nur zwei Sätze sprach, war es sich schuldig, es zu gebrauchen. Indes fühlte Andreas die Verpflichtung, für die junge Frau Partei zu nehmen. Auch fürchtete er albern dazustehen, wenn er noch länger schwieg.

      „Die gnädige Frau hat Recht,“ sagte er mit Entschiedenheit. „Die Religion muss aus dem Spiel bleiben,“

      „Kann sein,“ meinte einer zögernd, aber Duschnitzki ergriff eifrig die umschlagende Stimmung.

      „So ist es. Sie haben recht, gnädige Frau und Sie Herr, Herr —“

      „Andreas Zumsee,“ sagte Andreas.

      „Schriftsteller,“ setzte Kaflisch hinzu. Duschnitzki fuhr fort:

      „Heutzutage, bei den Zuständen kann man alles verulken und mit Füßen treten, die Ehre des Bürgertums —“

      „Und unser ruhmreiches Heer!“ rief Süß

      „Die allerhöchsten Personen!“ meinte ein anderer.

      „Den Ruf einer Frau!“ der nächste.

      „Sogar die Börse,“ schlug leise einer vor.

      „Aber den lieben Gott!“ sagte Duschnitzki nachdrücklich. „Das geht nicht!“

      „Das muss die Polizei verbieten!“ schrie Süß. „Es erregt Ärgernis!“

      „Und es ist geschmacklos,“ setzte Duschnitzki geringschätzig hinzu.

      „Stimmt!“ versetzte Kaflisch unter allgemeinem Beifall. „Wir haben das überwunden! Man muss schon ’n bisschen veralteter Würdengreis sein wie der große Mann da hinten.“

      Die Gesellschaft begann zu lachen. Andreas, der den Blicken der anderen folgte, bemerkte am Eingang zum zweiten Salon einen langen Greis mit kleinem lächelnden Vogelkopf. Ein wenig Flaum tanzte auf seinen kahlen Schädel. Er redete emphatisch auf einen großen Kreis von Damen und Herren ein, aus dem er hoch aufragte. Andreas erhaschte abgerissene Worte: „Dunkle Gewalten erheben heute wieder ihr Haupt …“ Er meinte den Greis schon gesehen zu haben.

      „Ist das nicht Waldemar Wennichen?“ fragte er Kaflisch.

      „Natürlich! Sie kennen doch unseren großen Dichter. Wollen wir uns dem Kreise seiner Verehrer anschließen?“

      Kaflisch suchte Andreas loszuwerden. Er hatte gehofft, der junge Mann werde zu lachen geben, was für ihn, seinen Mentor, schmeichelhaft gewesen wäre. Da Andreas augenblicklich sogar Beifall geerntet hatte, langweilte er Kaflisch.

      Der Neuling, aufmerksam und beflissen, nach Doktor Bedieners Weisung von dem hier herrschenden guten Ton zu profitieren, merkte sich, dass man mit Aufklärung nicht prahlen durfte. Während sie ihren Weg fortsetzten, erkundigte er sich bei dem Journalisten, wer jene schlanke junge Frau gewesen sei. Kaflisch erklärte sogleich:

      „Die wird nicht gereicht. Es ist Frau Blosch. Lassen Sie sich Ihre Geschichte mal erzählen, zum Beispiel von Diederich Klempner, der versteht es als Dramatiker.“

      Sie traten an die Wennichensche Gruppe heran.

      „Seien Sie mir gegrüßt, mein Liebling!“ redete Kaflisch einen ernsten Herrn mit tadellosem Frack und schwarzem Vollbart an.

      „Darf ich die Herren bekannt machen?“ setzte er hastig hinzu. „Herr Schriftsteller Andreas Zumsee, Herr Liebling, Zionist.“

      Indes Andreas sich verbeugte, war Kaflisch schon verschwunden. Andreas stand Herrn Liebling gegenüber, der ihn ernst ansah, ihm kräftig die Hand schüttelte und ohne etwas zu sagen, sich Wennichen wieder zuwandte.

      Da der Dichter in der Fistel sprach, verstand man bei der im Zimmer herrschenden Unruhe nur die Schlagwörter, die er mit einem eigentümlichen Ruck seines langen sehnigen Halses hervorbrachte: „Ehre des Handelsstandes — freche Übergriffe von gewisser Seite — arbeitsame Kaufleute — Abwehr — Errungenschaften der bürgerlichen Revolution…“

      Andreas verbarg ein überlegenes Lächeln. Er hatte im Café Hurra allerlei über das Privatleben des berühmten Dichters erfahren. Wennichen bezog nur noch halbe Honorare, da er seit fünfzig Jahren immer dieselben Romane verfasste, die niemand mehr las. Er hatte Unglück mit seinen Kindern gehabt, seine Frau war ihm nach unzähligen Liebschaften endlich ganz und gar durchgegangen. Er hatte das alles kaum bemerkt. Er sah nichts von den Veränderungen der Zeit seit achtundvierzig, als er sein erstes Buch schrieb von dem braven jungen Kaufmann, der sich Eintritt in die gänzlich verrottete Adelsfamilie erzwingt, deren Tochter er merkwürdigerweise heiratet. Auch heute noch lebte Wennichen unter braven freisinnigen Kaufleuten, die mit übermütigen Junkern und pfäffischen Finsterlingen in edlem, uneigennützigen Kampfe lagen. Der arme Greis dauerte Andreas, dem es Genugtuung bereitete, einen Dichter aus der Nähe beurteilen zu können, den er früher in Gumplach als einen Stern der Literaturgeschichte angestaunt hatte.

      Wennichens Ausfall gegen die Feinde des Lichtes erntete einige Beifallsrufe, doch neben Andreas begann plötzlich Liebling mit wohltönender, kräftiger Baritonstimme zu sprechen. Er sagte:

      „Wollen wir die Freiheit, ich meine die wohlverstandene Freiheit erhalten, so müssen wir das Volk zu regieren wissen. Das Volk ist in seiner Wehr- und Urteilslosigkeit leider stets bereit, sich den verführerischen Werbungen der Reaktionäre zu ergeben. Wir müssen es gegen sich selbst verteidigen, und dies kann nur geschehen mittelst forca, farina, e feste!“

      „Aha! Aus dem Effeff!“ bemerkte ein witziger Herr.

      Man rief lachend durcheinander.

      „Ist das Ihre neue Erfindung, Liebling?“

      „Sie Scherzbold!“

      „Er hat aber recht,“ erklärte jemand, der offenbar italienisch verstand. „Geben wir dem Volke nicht Brot und Feste, so kommen wir selbst früher oder später an den Galgen.“

      „Meine Herren!“ fuhr Liebling fort. „Die eben ausgesprochene Überzeugung ist längst fest in mir begründet. In ernster Überlegung habe ich sie an demjenigen Volke erprobt, das meinem Herzen am nächsten steht. Wenn es mir und Gleichgesinnten je gelingen sollte, dieses Volk in das ihm zugehörige und ihm noch immer gelobte Land heimzuführen, glauben Sie, dass wir es durch Parlamente und Presse unglücklich machen würden? Die europäische Korruption soll von unserem Boden verbannt sein!“

      „Bravo!“ erscholl es einstimmig unter Lachen.

      Man schüttelte dem Redner die Hände. Andreas kam es so vor, als würde Lieblings „Zionismus“ nicht recht ernst genommen, während er ihm doch eine besondere Stellung verschaffte. „Es könnte also nichts schaden, ebenfalls irgendeine Marotte zu haben,“ sagte sich Andreas.

      Indes

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