Zwischen den Rassen. Heinrich Mann

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Zwischen den Rassen - Heinrich Mann

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sieht er aus!“

      Lola leuchtete. Die Offenbarung, die sie soeben empfangen hatte, war einfach und tief wahr.

      Erneste dachte: „Mit zwölf Jahren schon? . . .“ Sie fasste sich und äußerte:

      „Aber Kind, für ein Mädchen, das bald dreizehn wird, ist das doch zu kindisch. Herr Dietrich ist natürlich ein Mensch wie wir alle.“

      Lola stutzte; war er das? Warum musste sie dann so viel an ihn denken? Immer hatte sie jenen leichten Geruch von saurer Milch in der Nase: so viel dachte sie an Herrn Dietrich. „Ich will ihn mir ganz genau ansehen.“ Gerade heute war Herrn Dietrich sein gelber Strumpf über seinen schwarzen Schuh gerutscht. Lola starrte finster und nachdenklich darauf hin. Ähnliches konnte man auch bei andern Lehrern sehen: aber Herr Dietrich, der so edel war! an den Lola so viel denken musste! Nun bemerkte sie auch, wie Herr Dietrich sich mit Jenny abgab; wie die dicke, freche Jenny, das Kinn auf der geziert ausgespreizten Hand, ihn anschmachtete; wie er errötend wegsah und, nachdem er ein wenig an seinem Kneifer gerückt hatte, ihr zulächelte. Da ward es Lola kalt und zornig zu Sinn; es trieb sie, Herrn Dietrich zu zeigen, dass er für sie durchaus kein Ideal sei. Er stand grade vor ihr; seine rötliche, knochige Hand lag auf ihrem Tisch; und in seiner Manschette konnte sie Haare sehen. Vorsichtig führte sie zwei Finger hinein, erfasste ein Haar, machte „Kieks!“ — und da hatte sie’s. Herr Dietrich zuckte zusammen; dann rief er mit roter, entrüsteter Miene:

      „So etwas tut man nicht!“

      Lola, ziemlich erschrocken über ihre Tat, aber trotzig, betrachtete das Haar.

      „Gib’s her!“ — und Herr Dietrich nahm es ihr weg.

      Als er sie später etwas fragte, antwortete sie nicht, obwohl sie’s wusste. Sie beschloss ihm brieflich ihre Verachtung auszusprechen; den ganzen Nachmittag arbeitete sie daran. „Wenn ich einen Menschen gern habe, verlange ich mehr von ihm als von andern, Sie haben mich sehr enttäuscht,“ wollte sie ihm sagen, und: „Ich bin viel zu stolz, um jemand noch gern zu haben, der eine andere liebt.“ Indes fiel ihr ein, dass Herr Dietrich von ihrer Neigung nichts gewusst habe, und dass ihn darum auch ihre Enttäuschung nichts angehe. Wahrscheinlich würde er ihr mit seiner entrüsteten Miene den Brief zurückgeben und dazu schreien: „So etwas tut man nicht!“

      Sie hielt sich nun für fertig mit der Liebe Dennoch verlor sie den Winter darauf ihr Herz an einen italienischen Leierkastenmann. Sie lag im Fenster und lebte in seinen Augen. Bleich und traurig schmachtete er herauf. Lola sagte:

      „Wie ist er schön! Ich habe noch nie einen schönen Mann gesehen.“

      Die dicke Jenny störte sie diesmal nicht: im Gegenteil, sie fragte, ob Lola seine Bekanntschaft machen wolle, sie begleite sie gern. Lola schrak zurück, sie wusste noch nicht, wovor. Aber am Sonntag wartete sie mit ihrem ganzen Wochengeld. Der Italiener kam, nur war er betrunken und kotbespritzt, fing Streit an und ward verhaftet. Lola warf aufs Geratewohl ihre zehn Mark hinunter und rettete sich.

      Die Trennung von dieser Liebe war hart. Wochenlang zuckte Lola schmerzlich zusammen, pfiff jemand auf der Straße eine von des Italieners Arien. Bei der Ankündigung der Oper, aus der sie stammten, geriet Lola in Erregung und verlangte hin. Sogar die Begleitung der Ratte nahm sie mit in den Kauf. Auf ihrem Balkonplatz bekam sie Herzklopfen; aber wie sie sich den Leierkastenmann vor Augen rufen wollte, bemerkte sie, dass sein Bild unauffindbar war, und dass nur die Klänge und Gebärden von dort drüben sie erfüllten und bewegten. Ihr schien es der erste Theaterbesuch; und alles mutete sie wie eigene tiefe Erinnerungen an. Woran sie jemals ahnungsvoll gerührt hatte, das war hier aufgeschlossen und entzaubert. Der letzte Duft schöner Blumen, Namen, Gesichter schien hier herausgepresst. Die Worte klangen alle voller und sinnreicher, die Dinge hatten höhere Farben, die Mienen erglänzten inniger. Hier wiederholte sich, hätte man meinen sollen, das Leben Lolas in stärkerem Licht: als habe sie dort auf der Bühne ihr eigenes Herz, höher schlagend, vor Augen. Alles, wofür man sonst keine Verwendung wusste, konnte hier spielen. Man konnte sich ganz geben, wie man war; denn die Menschen hielten endlich das, was man sich von ihnen versprach. Der Held dieser Oper war so edel, wie Herr Dietrich hätte bleiben sollen, und so schön wie der Italiener, ohne sich dabei zu betrinken.

      Bei der Heimkehr war es Lola, als habe sie nun ein Zauberwort erfahren: Schauspielerin, und sei dadurch erlöst und mit sich selbst bekannt gemacht.

      „Wie sonderbar!“ dachte sie im Bett und starrte zur dunklen Decke hinauf; „das also bin ich!“ Erneste rührte sich, und Lola hätte sie fast, in rascher Regung, aufgeweckt und ihr Schicksal Erneste offenbart. Noch hielt sie zurück; sie hatte sich erst selbst an seine Erkenntnis zu gewöhnen. Beim Aufwachen aber erschütterte sie sogleich ein großer Jubel; sie machte sich schnell fertig und lief zu Erneste, gerade so herzhaft und ohne Arg, wie damals, als sie mit der Nachricht kam, der Frühling sehe aus wie Herr Dietrich.

      „Erneste!“ rief Lola, „weißt du, was ich werden will? Schauspielerin!“

      „Auch gut,“ erwiderte Erneste und befestigte gelassen den Papierdeckel auf einem Glas mit Eingemachtem. Lola erklärte freudig:

      „Gestern im Theater habe ich es gemerkt, und jetzt weiß ich es ganz genau.“

      „Dummes Kind; trinke lieber deinen Kakao.“

      „Warum, dumm? Ich glaube, dass ich Talent habe.“

      „Das glaube ich auch: du rezitierst sehr niedlich; deswegen verfällt aber doch kein verständiges Mädchen auf solches dumme Zeug. Möchtest du wohl einen Löffel Gichtbeerenkompott?“

      Verwirrt ließ Lola sich den Löffel in den Mund schieben.

      „Nun geh, Kind,“ sagte Erneste, und Lola ging, den Kopf gesenkt. Vor der Tür zum Frühstückszimmer richtete sie sich auf und kehrte nach der Speisekammer zurück.

      „Erneste!“

      Lola war blass, ihre Stimme hatte gezittert; Erneste sah sie sprachlos an.

      „Erneste, du hast so getan, als ob es Scherz wäre. Es ist mir aber ganz ernst.“

      „Umso schlimmer,“ sagte Erneste, polternd vor Schrecken. „Geh ins Klassenzimmer und erwarte, welche Strafarbeit ich dir aufgeben werde!“

      „Ich will alle Strafarbeiten machen, die du mir aufgibst, Erneste. Aber ich bin fest entschlossen, Schauspielerin zu werden.“

      Lola redete das wie ein Diktat; irgendeine Macht weihte sie zum Sprechen.

      „Es ist das erste Mal, dass ich so zu dir spreche, Erneste: daraus kannst du ersehen, wie wichtig dies ist,“ sagte sie sanft, mit feuchten Augen; denn Erneste tat ihr leid. Erneste war auf einen Holzschemel gefallen; ihre von Fruchtsaft blauen Finger lagen wie tote kleine Soldaten durcheinander im Schoß; ihr Gesicht war ganz lang und über alle Maßen verstört.

      „Was kannst du denn auch dagegen haben,“ meinte Lola, „wenn ich es nun einmal als meinen Beruf erkannt habe.“

      Da aber kam alles wieder zu Leben an Erneste; sie sprang auf.

      „Dein Beruf? Eine unanständige Person zu werden, das soll dein Beruf sein? Dazu habe ich dich durch sieben Jahre auf Gottes Wegen erhalten? Du weißt nicht, was du redest: das ist das einzige, was mir noch Hoffnung lässt. Jenny, mein Kind, sie weiß nicht, was sie redet; schweige um Gotteswillen über das was du gehört hast!“

      Lola wandte

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