Ganesha macht die Türe zu. Andreas Brendt

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Ganesha macht die Türe zu - Andreas Brendt

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Try not to hide, what you feel inside.

      G. Wayne Thomas – Open Up Your Heart

       ARAMBOL UND DIEVERRÜCKTEN

      Alles ist schwarz.

      Eine tiefe Dunkelheit füllt den Raum. Meine Augen könnten geöffnet sein oder geschlossen, das macht keinen Unterschied. Ich sehe Nichts. Wunderschönes, weites Nichts. Ich treibe, schwebe, bin leicht und schwerelos. Umgeben von Unendlichkeit.

      Alles ist still.

      Jeder Ton, jede Vibration, jede Bewegung ist verschwunden in den wundersamen Weiten der Finsternis. Frieden, Behaglichkeit, Leere. Ich fühle mich geheimnisvoll geborgen und gleite durch ein Meer aus Dunkelheit. Ohne Aufgabe, ohne Erinnerung, ohne Zeit …

      Aber dann.

      Plötzlich.

      Und.

      Ohne.

      Vorwarnung!

      Ein Vorschlaghammer aus Stahl kracht mit brutaler Wucht auf meine Stirn. Zertrümmert meinen Schädel, vernichtet jede Ruhe und reißt mich mit einem grellen, silbernen Blitz aus der zarten Trance heraus in furchtbaren Schmerz. Ich kauere auf allen Vieren, mein Kopf klebt auf den vergilbten Badezimmerfliesen. Die Atmung scheucht mit kurzen, schnellen Stößen durch meine Brust. Was zur Höll…?

      Mit letzter Kraft hebe ich mein Haupt ein paar Zentimeter an. Meine verklebten Augen versuchen etwas zu erkennen und sehen Blut. Mein Blut.

      Ich stütze den rechten Arm auf, ächze, wische mit dem linken Unterarm über meine Stirn und glotze auf das in den Härchen verschmierte Rot. Scheiße! Unendliche Erschöpfung drückt mich zurück zu Boden, ein Sack aus Blei liegt auf meinen Schultern, ich will einfach liegen bleiben. Zurück in die Dunkelheit.

      Erinnerungen blitzen auf, Zusammenhänge, Fragen, Unverständnis. Der Schädelschmerz ist überwältigend. Das kann alles nicht wahr sein. Ich liege irgendwo in Indien auf dem Fußboden, bin mit der Stirn knallhart auf den Fliesenboden gekracht. Habe vielleicht den Kopf gebrochen. Kacke. Meine Kniescheiben pochen, denn die sind zuerst aufgeschlagen, als der Körper zusammengesackt ist, und mein Schädel schreit um Hilfe. Aber hier ist niemand.

      Eine dicke Kakerlake flitzt die matten Fugen entlang, bleibt stehen, ihre Fühler wackeln, sie krabbelt weiter und verschwindet im Abfluss in der Ecke.

      Vor ein paar Stunden stand alles im Zeichen der wunderbaren letzten Nacht des Jahres. Goa-Wahnsinn, Vollmondparty, Elektro-sound und Silvesterliebe. Dann wurde es komisch. Elend. Übelkeit drang in meinen Leib, und Böses erwachte. Innerhalb von Minuten wich das Leben aus meinem Körper. Hinsetzen, anlehnen, zusammensacken, die Kehle eng, die Augenlider schwer wie Blei. Mir wurde schlecht. Und schlechter. Also aufrappeln, bevor es zu spät war, bevor der heilige Gral (das Bett) unerreichbar würde. Der Weg zurück nahm kein Ende. Als ich den zitternden Schlüssel ins Schloss bugsiert und die Tür aufgestoßen hatte, hing ich direkt über der Schüssel. Gerade noch rechtzeitig. Um mir nicht nur die Eingeweide, sondern auch den letzten Rest meiner geschwächten Seele aus dem Leib zu reihern.

      Dann meldete sich mein Darm. Und wie! Das Brodeln im Magen mutierte urplötzlich zu einem Überdruck, zu einem prall aufgeblasenen Luftballon im gesamten Unterleib, um dann in einer Spritzkacke-Explosion die komplette Schüssel zu verwüsten. Die totale Entleerung. Mein gedemütigter Leib hing reglos auf den Oberschenkeln.

      Als ich mich völlig erledigt und zitternd aufrichtete, wurde alles seltsam schwarz.

      Und – für eine kleine Unendlichkeit – erlösend schön.

      Bis es krachte.

      Ich lege mich auf die Seite, bette den dröhnenden Kopf auf den Oberarm, betrachte die rissigen Fugen zwischen den Fliesen und bin dankbar, dass es vorüber ist.

      Ich schließe die Augen. Liegen. Einfach nur liegen. Für immer. Trotzdem will ich nicht blutverschmiert zu Füßen einer dreckigen Toilette verrecken. Ich öffne die Augen, krieche auf allen Vieren zu meinem Bett, ziehe mich hoch, stöhne, verdränge die kurz aufkeimende sinnlose Idee, lebensgefährlich verletzt zu sein, und zwinge mich, obwohl die Wasserflasche zehn Kilo wiegt, zu einer Kopfschmerztablette. Ich sinke mit einem verzweifelten Gedanken auf das Kopfkissen:

      Der 1. Januar 2015.

      Das Jahr kann nur besser werden.

      Meine Augen öffnen sich. Ich atme aus, betrachte den Raum. Sonnenstrahlen schimmern in der Luft, ich spüre das Meer in nicht allzu großer Ferne. Auf dem Kopfkissen kleben Blutflecken. Ole schlummert im Bett neben mir, er ist also zurück. Der Schädelschmerz pocht leise vor sich hin, aber kein Brechreiz bahnt sich an. Nicht mal Übelkeit, und das ist wichtig, denn Übelkeit ist das klassische Symptom der Gehirnerschütterung. Ohne ist ein Schädelbasisbruch unwahrscheinlich. Hoffnung. Ich seufze und spreche ein Gebet zum Universum, denn mit etwas Glück ist der gestrige Überfall auf meinen Verdauungstrakt bereits Geschichte. Alles raus. Mit voller Wucht auch die letzten Scheißmikroorganismen aus dem System katapultiert.

      Das wäre so schön!

      Ich trinke einen Schluck Wasser. Mein Körper ist einverstanden, akzeptiert die rettende Flüssigkeit. Wie wenig es doch braucht. An manchen Tagen reicht es aus, wenn dir nicht kotzübel ist. Dann ist alles tippitoppi und die Welt der reinste Sonnenschein. Ich lese eine halbe Seite in meinem Buch, schlucke noch eine Schmerztablette und schlafe wieder ein.

      Wir marschieren den kleinen, mit Palmen bewachsenen Hügel hinunter. Meine Beine zittern, schlagen sich aber ganz gut, denn Zucker und Koffein des eben eingenommen Notfallmedikaments stützen mich. Ich kenne kein wirksameres Mittel bei Kreislaufproblemen und Übelkeit, bin keinem Zaubertrank dankbarer. Ein flüssiges Gift, das den halben Planeten verführt und mit dem man Toiletten putzen kann, ist an manchen Tagen ein Geschenk des Himmels, um den angeschlagenen Menschen auf Trab zu bringen. Mein Kandidat für den Medizin-Nobelpreis: Coca-Cola.

      Nach einer kurzen Weile betreten wir Oles Lieblingsrestaurant, und ich falle auf einen Stuhl an einem Tisch mit Blick auf den himmelblauen Ozean. Keine Wände, alles offen, ein paar Plastiktische unter einem Dach auf vier Säulen. Zarte Brise und Raum zum Atmen.

      Einige Hundert Meter weiter das Meer entlang, um den kleinen Hügel herum, beginnt Arambol. Vielleicht der verrückteste Ort im vielleicht verrücktesten Bundesstaat (Goa) des vielleicht verrücktesten Lands (Indien) der Erde. Na gut, ob es wirklich so ist, kann ich nicht wissen. Es wäre aber schön. Und das herauszufinden, mag der Sinn dieser Reise sein. Die Durchschlagskraft der hiesigen Bakterien ist in jedem Fall verrückt. Ein Anfang.

      »Äppi nu year, mei frrend! Ju enjoiih a gud night party?«, grinst Riski, während er die Speisekarten überreicht.

      »Happy new year«, sagt Ole mit rauchiger Stimme und: »Yes, it was wonderful«, weil er sich wie zu Hause fühlt, obwohl er erst seit fünf Tagen hier ist. Immerhin viermal so lange wie ich.

      »Woot häppen?«, fragt Riski in meine Richtung.

       »I failed.«

      Der kleine Kellner nickt. ›I fainted‹ wollte ich sagen, ›failed‹ passt aber genauso gut. Vielleicht sogar noch besser.

      »And happy new year«,

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