Ganesha macht die Türe zu. Andreas Brendt
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Und Indien ist in. Ein Trend. Wer unlösbare Probleme hat, der wird spirituell, der muss nach Indien. Wer keine hat, der findet sie. Es ist ein Spiel mit dem Feuer oder eine Humormutprobe.
Ich will ehrlich suchen, mich der Tiefe öffnen, aber auch staunen und den Kopf schütteln dürfen. Ich bin gespannt, welche Magie mir in diesem Land begegnen wird. Was es mit mir macht.
Mein Magen rumort, das Herz klopft, denn das wird alles kein Spaziergang. Alles ist möglich und am Ende hoffentlich gut. Also auch zu Hause, denn ich möchte mit einer Veränderung zurückkehren.
In den letzten paar Tausend Jahren wurden unfassbare Methoden entwickelt. Übungen mit Vulkankraft, Atemtechniken, die den Menschen in animalischen Wahnsinn katapultieren. Diese Übungen, allein, mit Partner, in Gruppen sind abgefahren. Manchmal schwierig oder verstörend. Aber es ist befreiend, wenn die Tränen fließen dürfen oder die Fäuste geballt werden, um loszubrüllen. Manchmal wird man mit Trance belohnt, dem Drogenrausch ohne Substanzen, manchmal mit wohltuender Leere.
Und wieder: Was soll das bringen?
UND: Was ist Einbildung und was real?
Zwei Fragen, die mich im Idealfall so sehr interessieren wie weiße Wolken. Manchmal muss man die Zweifel Zweifel sein lassen und trotzdem weiter gehen.
Ich höre das Meer rauschen, die Vögel zwitschern.
Vielleicht kann Indien mir eine Antwort schenken. Vielleicht wird dies eine spirituelle Rei…
»Du fragst dich doch die ganze Zeit, ob du hier noch surfen kannst!«
Ich öffne die Augen. Ole setzt eine Sonnenbrille auf. Er hat mich voll ertappt, der verdammte Gedankenleser.
»Was ist denn das für ein mieser Diss? Ich kontempliere!«
Meditatives Denken. Zuweilen bemerkenswert, weil Intuition und Bauchgefühl mit kühnen Vorschlägen überraschen. Jetzt eine gute Ausrede fürs Abgelenktsein, denn er hat mich erwischt.
»Okay«, beschließt Ole, »ich habe auch keinen Bock mehr zu meditieren. Lass uns ein bisschen durch den Ort spazieren.«
Wir verlassen den Strand und laufen an winzigen Läden, baufälligen Gebäuden, kleinen Geschäften, einem verstaubten Kopierladen und dubiosen Agenten vorbei.
Es gibt kleine Hotels und Restaurants sowie dreckige Hütten mit Plastiktischen und Speisekarten. Dazwischen Wohnhäuser aus Beton, selbsternannte Hostels, Internetcafés, eine Arztpraxis. Ich versuche, mich zu orientieren. Die Hauptstraße besteht aus festem Lehmboden und verläuft parallel zum Meer. Die meisten Gebäude trennen den Strand vom Inland und haben auf der Rückseite die Sonnenliegen für die russischen Pauschaltouristen, eine Strandbar für die Althippies oder Esstische mit Meerblick. Kein Elend, kein Leid, Indien zeigt sich hier in Arambol im leichten Gewand. Ich gehe weiter, blicke in die Shops, laufe an Männern mit hüftlangen Rastalocken vorbei, Pärchen mit Yogamatten unterm Arm und jungen, lauten, testosterongeschwängerten Israelis, denen ich auf der ganzen Welt begegne. Sie wollen nach dem Militärdienst die Welt entdecken und wieder leben. Und sich die Hörner abstoßen.
An einer gigantischen Laterne bleibe ich stehen. Mein Blick folgt ein paar schwarzen Kabeln in die Höhe und trifft auf einen gordischen Knoten von epischem Ausmaß. Das schwarze Knäuel, das sich dort über die Jahrzehnte entwickelt hat, müsste eigentlich auf der Stelle zu Boden krachen und die halbe Häuserwand mitreißen. Alles ist Hunderte Male über- und unter- und umeinander gewickelt. Dutzende Leitungen fliegen in alle Himmelsrichtungen, gehen auf die andere Straßenseite, andere kommen von dort, verschwinden in dem riesigen Wirrwarr, hängen an einem rostigen Nagel oder bieten weiterem Kabelsalat eine Tasse Tee und die Chance, mit dabei zu sein. Ein Unterhemd hat sich darin verfangen, baumelt vor sich hin, und ein Turnschuh hängt an einem Schnürsenkel, vermutlich um den Flugverkehr umzulenken. Das sieht so übertrieben und gleichzeitig nach unendlicher Freiheit aus. Ein Bild für das Bauordnungsamt, weil es vollkommen unmöglich ist, herauszufinden, wer hier wem den Strom klaut, welches Kabel welchen Ursprung hat oder wohin die ganze Sache führt. Wie das Leben.
»Ist das ein Fluxkompensator?«, fragt Ole.
»Möglich. Oder die CIA, denn hier laufen alle Strippen der Welt zusammen.«
Ole schießt ein Foto. Ich bin begeistert, denke wieder, wie wenig es manchmal braucht, während mein Blick die Laterne herabwandert und auf eine dort angeklebte, ähnliche konfuse Zettelwirtschaft trifft. Papierfetzen mit krakeligen Telefonnummern oder verblichene, laminierte Karten, die Angebote anpreisen: Massage, Ayurveda, Tantric Infusion, Geistheilung, Free to Die, Path of Love und immer wieder Yoga. Hatha, Yin, Vinyasa, Jivamukti, Kundalini, Ashtanga.
SUP-Yoga ist nicht dabei. Vielleicht ja eine Marktlücke.
»Das werden wir alles ausprobieren.«
»Singing Bowl Wisdom?« Klangschalen, die uns Weisheit in die Ohren flüstern?
»Ja. Und warte, es kommt noch mehr.«
›Es kommt noch mehr.‹ New Age und Esoterik. Welt der Wunder, Wahnsinn, Religionen. Yoga hat die Massen erobert. Hausfrauen, Manager, Jung und Alt stehen auf einem Bein, auf dem Kopf oder zerren an der verspannten Muskulatur. Was ist Yoga? Ursprünglich war Yoga ein Weg zur Erleuchtung durch innere Einkehr, und die Asanas, die Übungen, kamen erst später hinzu, um die intensiven Meditationen körperlich zu verkraften. Und heute? Entspannungsturnen oder eine hochspirituelle Angelegenheit. »Up to you, my friend«, sagte ein weiser Indonesier einmal zu mir. Die Yogakurse in den Städten könnten unterschiedlicher nicht sein. In manchen wird meditiert, das heilige Om gesungen, in anderen Sport getrieben. Ole war eine Weile bei einem Yogalehrer in Köln, der längere philosophische Exkurse hielt und immer neue Ideen mitbrachte. Irgendwann war es eine Magenreinigung, für die man eine Mullbinde Stück für Stück runterschlucken sollte, bis nur noch ein Zipfel aus dem Mund baumelte. Dann die ganze Sauerei wieder rausziehen. Ole hat es probiert …
Die extremen Yogis schneiden sich das Zungenbändchen durch, um mit der Zunge von innen die Nase zu penetrieren, und in den alten Schriften finden sich Abschnitte, die, um die Endlichkeit des Körpers zu begreifen, den Verzehr von Leichenteilen empfehlen. Ich bleib dann mal beim Sonnengruß.
Und sonst: malen nach Zahlen, hyperventilieren, tanzen. Singen heißt jetzt Chanten. Fasten, schlafen auf dem Nagelbrett, ausflippen, einen Baum umarmen oder in Gebeten die Götter um ihre Gunst bemühen. Die ganze Welt ist unterwegs. Auf der Suche nach dem Glück. Mehr ist es ja nicht. Das verbindet uns, und es ist schön, dass die Wege so verschieden sind. Was heilig ist und was totaler Quatsch, ist eine persönliche Angelegenheit, denn eine Wahrheit gibt es nicht. Natürlich außer meiner, denn naturgegeben halte ich meine Perspektive häufig für die richtige. Dümmer kann ich gar nicht sein, aber es ist schwer, sich das abzugewöhnen. Mystik hilft mir dabei. Etwas, das sich nicht erklären lässt, kann eine schöne Demut schaffen, weil ich eigentlich gar nichts weiß. Nicht eigentlich. Deshalb soll Indien mich verzaubern. Mir Eindrücke verschaffen und Weltbilder zeigen, bis mir nichts mehr bleibt, als über mich zu lachen.
Wir ziehen weiter, Ole zeigt mir, wo es leckeres Curry gibt und wo den besten Obstsalat. Ich beäuge die Etablissements heute kritisch. Natürlich will ich nicht die halbe Welt verteufeln, wegen einer schlechten Erfahrung alles grau sehen und die Krankheitserreger in jeder Ecke – aber ich kann nicht