Fettnäpfchenführer Brasilien. Nina Büttner
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Patrícia wechselt das Thema: »Wir haben dir gar nichts angeboten! Möchtest du etwas? Ein Bier?«
»Tu tens água?« – Hast du Wasser?, macht Linda einen nächsten Anlauf auf Portugiesisch. Dabei zieht sie das s in tens zu einem sch, wie ihre Portugiesischlehrerin es ihr beigebracht hat. Diesmal schmunzelt das Ehepaar.
»Ja, komm ich zeige dir, wo bei uns das Wasser steht«, antwortet Patrícia und geht vor in die Küche.
PORTUGUÊS DO BRASIL
Seit Brasiliens Kolonialisierung haben sich das brasilianische und das europäische Portugiesisch so unterschiedlich entwickelt, dass sich die beiden Varianten stärker voneinander unterscheiden als das amerikanische vom britischen Englisch. In Brasilien haben vor allem der Einfluss des afrikanischen Yoruba und zumindest einige der 1.500 indigenen Sprachen auf brasilianischem Terrain für die Modifizierung der Sprache gesorgt. Mit den europäischen Einwanderern im 19. Jahrhundert kamen dann vornehmlich italienische Nuancen hinzu, und heute sind englische Wörter in aller Munde. Die brasilianische Variante des Portugiesischen ist weltweit mit Abstand die meist gesprochene.
Während sich die Schriftsprache beider Länder auf den ersten Blick nur unwesentlich unterscheidet, finden sich enorme Unterschiede in der gesprochenen Sprache. Neben einigen lexikalischen Eigenheiten (so z. B. das Wort bicha, das in Portugal die Schlange, in der man sich anstellt, bezeichnet; in Brasilien hingegen ist es eine abwertende Bezeichnung für einen Homosexuellen) dürfen Sie sich auf grammatikalische Vereinfachungen in Brasilien freuen:
Die zweite Konjugation fällt im Singular und im Plural weg:Beispiel: Beim Verb falar (sprechen) heißt es statt tu falas (du sprichst), lediglich você fala. Statt tu wird also você verwendet und das Verb wird wie die 3. Person Singular (ela fala – sie spricht) konjugiert. Selbst in den Regionen, in denen tu gebraucht wird, konjugiert man es vereinfacht wie mit você: tu fala. Analog dazu heißt es im Plural statt vós falais (ihr sprecht) vocês falam, was wie die 3. Person Plural (eles falam – sie sprechen) konjugiert wird.
Statt nós (wir) wird häufig der Ausdruck a gente (wörtlich: die Leute) verwendet, was die Vereinfachung mit sich bringt, dass dann das Verb statt in der 1. Person Plural wie in der 3. Person Singular konjugiert wird: Statt nós falamos (wir sprechen), lässt sich sagen: a gente fala.
Am auffälligsten sind die Unterschiede zwischen dem europäischen und brasilianischen Portugiesisch aber in der Aussprache:
Ein l am Ende des Wortes oder nach einem Vokal und vor einem Konsonanten wird wie u ausgesprochen. Brasil spricht sich »Brasiu« und die Bonbons der Marke Halls sprechen sich wie das deutsche Wort »Haus«.
Am Ende eines Wortes klingt das e wie ein i und das o wie ein u. Livre (frei) hört sich wie »livri« an und fogo (Feuer) wie »fogu«.
Ein -de oder -te am Wortende wird wie -dschi bzw. -tschi ausgesprochen. Beispiele: saudade (Sehnsucht) spricht sich also »saudadschi« und noite (Nacht) »noitschi«.
Wo zu viele Konsonanten auf einmal auftreten, werden zusätzliche Vokale gesprochen:
Am Wortende: Hiphop wird »Hipihopi« gesprochen.
Am Wortanfang: Vor den Namen des Hundes Snoopy wird ein i gehaucht, er wird also zu »Isnoopy«.
Zwischen Konsonanten: Das Wort advogado (Rechtsanwalt) wird manchmal »adevogado« ausgesprochen.
Wenn Sie verschiedene Regionen Brasiliens bereisen und sich intensiver mit dem Portugiesischen beschäftigen, werden Ihnen möglicherweise regionale Dialekte auffallen. Die Eigenarten fallen zwar dezenter aus als im Deutschen, auf sie zu achten ist aber dennoch wertvoll, wenn Sie die Menschen verstehen wollen. Beispielsweise ist dem Dialekt nordestino im Nordosten eine typische Satzmelodie eigen, auch werden die Wörter dort breiter gesprochen.
Das rund um das Landesinnere von São Paulo gesprochene caipira fällt durch den fast schon amerikanischen Klang des r auf. In Rio fallen hingegen die vielen Zischlaute auf: Faz (macht) spricht sich »faisch«.
Das s und z am Wortende werden also zu sch, womit das Portugiesisch in Rio de Janeiro gar nicht so weit von dem in Portugal gesprochenen entfernt ist. Diese Verwandtschaft in der Aussprache hat offensichtlich mit der Verlegung der portugiesischen Krone im Jahre 1808 in die damalige Hauptstadt Rio de Janeiro zu tun.
Linda folgt Patrícia in die Küche und sieht gleich den großen Wasserspender. Patrícia füllt ihr ein Glas an einem der zwei Hähne. Linda nimmt sofort einen großen Schluck, kann ihn aber nur unter Schmerzen schlucken, da er eiskalt ist. »Frio« – Kalt, kommentiert sie heiser.
»Du kommst doch aus Deutschland, dir muss es doch so heiß sein hier, da dachte ich, du magst kaltes Wasser«, erklärt sich Patrícia. Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer fällt ihr noch ein: »Ach ja, ihr trinkt ja auch warmes Bier.«
Linda hebt schon an zu protestieren, aber als sie sieht, dass das Thema für Patrícia damit abgehakt ist, setzt sie sich zurück in ihren Sessel, nippt an ihrem Schmelzwasser und verfolgt das bunte und aufgeregte Treiben auf dem Bildschirm.
Die Nachrichten werden immer wichtiger, je weiter die Sendung voranschreitet, hat Linda das Gefühl. Der schon vor jeder einzelnen Werbeunterbrechung angekündigte Beitrag über die erneute Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten Michel Temer wegen Korruptionsvorwürfen beginnt erst jetzt. In Deutschland hatte Linda nur sehr diffus etwas von den politischen Turbulenzen in Brasilien mitbekommen: Es hatte ein Amtsenthebungsverfahren gegen eine Präsidentin gegeben wegen der Haushaltspolitik oder der Wirtschaftskrise oder so etwas, woraufhin dieser Temer ins Amt kam. Inzwischen ist seine kurze Präsidentschaft wieder Geschichte, und es wird offenbar auch gegen ihn ermittelt. So ganz kann Linda dem Beitrag nicht folgen. Als Nächstes scheint es in den brasilianischen Nachrichten um den Gouverneur von Rio de Janeiro und die Olympischen Spiele zu gehen. Linda sieht den Olympischen Park in Barra da Tijuca und den in Deodoro auf dem Bildschirm und eine Animation über Geldtransfers. Korruption scheint das Thema zu sein.
Marcelo schüttelt den Kopf. »Das war alles zu viel. Wirtschaftskrise, Inflation, WM, Olympische Spiele. Alle schauen auf Brasilien, und wir verzapfen so viel Mist.«
»Das war eine demütigende Zeit. Das 1:7 gegen euch Deutsche, unsere Erdölfirma Petrobrás mit ihrem Korruptionsskandal, dann fanden alle das Amtsenthebungsverfahren undemokratisch, unsere Ingenieure wurden als inkompetent abgestempelt, deus me livre« – Gott bewahre, stimmt Patrícia mit ein.
Linda fühlt sich noch nicht so sattelfest in ihrer Meinung und streut ein: »Aber die Großereignisse haben doch viel Infrastruktur mit sich gebracht, oder?«
Marcelo schnalzt skeptisch mit der Zunge.
13 JAHRE ARBEITERPARTEI
Die politische und ökonomische Situation Brasiliens wird derzeit mit Politthrillern und Serien wie House of Cards verglichen, so unglaublich sind die Intrigen. Nachdem die Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) vier Wahlsiege in Folge für sich verbuchte, schaffte es 2016 die konservative Opposition, durch ein Amtsenthebungsverfahren an die Macht zu kommen. Dass Dilma Rousseff aus der PT 2014 wiedergewählt wurde, obwohl durch das Investigationsprogramm Lava-Jato (Autowaschanlage) bereits herausgekommen war, dass ihre Partei in ein korruptes Geflecht mit der staatlich kontrollierten