Fettnäpfchenführer Korea. Jan-Rolf Janowski
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Schnell eine Fahrkarte am Automaten gelöst und schon geht es mit der topmodernen Flughafenbahn ins Zentrum. Am Inlandsflughafen in Gimpo steigt sie um in die normale Seouler U-Bahn; auch modern, aber total überfüllt. Und mit dem Gepäck eigentlich auch keine rechte Freude.
Um möglichst wenig im Weg zu stehen, stellt sich Julia dicht vor eine der Sitzreihen, doch oh Schreck! Der ältere Mann vor ihr zerrt an ihrer Tasche, reißt sie ihr förmlich weg. Sie zerrt zurück, doch der Mann packt sie nun am Arm, will sie zu sich hinunterziehen. Julia ist völlig schockiert, schreit auf, guckt den Mann böse an und wechselt sofort in einen anderen Waggon. Dabei hatte sie gehört, dass Korea so ein sicheres Land sei. Besonders schockiert ist sie aber davon, dass offenbar niemand von dem Vorfall Notiz genommen hat. Zumindest hat niemand eingegriffen, um ihr zu helfen. So schnell ist der gute Eindruck vom Flughafen wieder kaputt, da können die Beamten ihr noch tausend Mal ein Willkommen zusäuseln, wenn das gleich so losgeht! Das ist nun wirklich nicht ihr Land.
Aigu! – Oh weh!
Was Julia hier nicht bedacht hat: Der bei uns meist etwas despektierlich als asiatischer »Kollektivismus« bezeichnete Gemeinschaftssinn der Koreaner, der bei unseren Protagonisten noch mehrfach für Missverständnisse sorgen wird, hat auch seine guten Seiten, denn in Korea fühlen sich alle irgendwie zusammengehörig und füreinander verantwortlich, eben urinara. So war auch in der U-Bahn der ältere Mann natürlich kein Taschendieb und kein Belästiger. Sein Zerren war lediglich eine typische Geste des koreanischen Gebens und Nehmens: Im Gegenzug dafür, dass er als alter Mensch einen Sitzplatz in der überfüllten U-Bahn hat und die schwer bepackte Frau stehen muss, wollte er nur helfen, indem er zumindest ihre Tasche auf seinen Schoß nimmt. In Korea wurde da früher nicht groß gefragt, sondern beherzt zugegriffen. Der Mann wusste nicht, dass die Ausländerin die freundliche Geste falsch deutet. Er hat wohl gedacht, die junge Dame ziert sich aus Respekt vor dem Alter, ihm die Tasche aufzuladen, also wurde er etwas rabiater, um ihr die Entscheidung leichter zu machen.
3
IM MOTEL
GROSSSTADT-TARZAN VERDURSTET IM REGENWALD
Die kleinsten Chilischoten sind die schärfsten
Auch Nico ist inzwischen angekommen. Sein Flug war weniger ereignisreich. Viel mitbekommen hat er ohnehin nicht, denn die Nacht vor dem Abflug hatte er mit seinen Freunden feiernd verbracht, sodass ihm der Schädel noch jetzt ganz schön brummt. An den fauligen Geruch, auf den er eigentlich achten wollte, denkt er auch nicht mehr. Stattdessen steigt er gleich ins Deluxe-Taxi und lässt sich vom englischsprachigen Fahrer in das Viertel bringen, das ihm zuvor die freundliche Dame aus seinem Praktikumsbüro für eine erste Unterkunft empfohlen hat. Dabei muss er das Taxi nicht mal mit ausgestrecktem Arm und Handfläche nach unten heranwinken, wie es ihm sein Vater gesagt hat, denn die Taxen stehen auf dem Flughafen natürlich nur so Schlange. Die Dame aus dem Büro hat den Namen des Viertels auch gleich auf Koreanisch aufgeschrieben, sodass Nico nur auf die Silben zeigen muss: Sin-chon. Sie meinte damit das Universitätsviertel und zum Glück hat sich das der Taxifahrer beim Anblick des jungen Nico auch gleich gedacht.
TAXI IST (NICHT) GLEICH TAXI
Die schwarzen Taxis, Deluxe-Taxi, koreanisch mobeom taeksi, bieten laut übereinstimmender Meinung der Expats in Korea den gleichen Service wie normale Taxis, nur zu deutlich erhöhten Preisen – der Koreaneuling outet sich durch die Wahl eines solchen Taxis sofort als blutiger Anfänger. Die normalen Taxis waren früher metallic-grau, inzwischen werden sie in Seoul einheitlich lehmfarben eingetüncht, wenn sie neu zugelassen werden. Der Wandel wird also in wenigen Jahren vollzogen sein. Ob ein Taxi frei ist oder nicht, sieht man am LED-Display in der Frontscheibe, aber nur wenn man Koreanisch kann: yeyak heißt reserviert, bin cha heißt leeres Auto.
Als das Taxi ihn am U-Bahnhof Sinchon abgesetzt hat, fühlt sich Nico wie erschlagen: Eine sechsspurige Straße kreuzt sich mit einer achtspurigen, an allen Ecken Hochhäuser und ein Haufen Menschen, die er schon durch den reinen Umstand, dass er stillsteht, zu behindern scheint. Wo er asiatisches Marktgewusel erwartet hat, umweht ihn an den Glitzerfassaden ein Duft von Seife, Waffeln und Hamburgern.
Weil Nico etwas Geld sparen will, geht er die erste Nacht nicht wie von Papa empfohlen in ein nahes Luxushotel, dessen Schild schon aus der Ferne sichtbar ist, sondern er will ein Motel ausprobieren. Diese seien laut dem Online-Artikel, den er vor einiger Zeit überflogen hat, sauber, preiswert, modern – kurzum die perfekte Alternative zu den überteuerten Bettenburgen Seouls. Als er auf der Straße nach »Motel« fragt, schauen ihn jedoch alle verständnislos an. Ein Mädchen springt sogar mit deutlich angewidertem Blick zur Seite.
Nach etwas Suchen findet er endlich eines. Doch beim Betreten überkommt ihn ein leichter Schauer: Die Rezeption ist eingebunkert hinter einer Milchglasscheibe, in die eine winzige Durchreiche eingelassen ist. Eine ältere Frau schaut nur kurz durch das Loch und fragt trocken: »Alone?«, was Nico bejaht. Sodann zeigt die Dame mit ihren Fingern eine Vier. Nico versteht zunächst nicht recht, doch als sie auf einen Zettel »40.000 Won« schreibt, kapiert auch er, dass es offenbar im Vorhinein ans Bezahlen geht.
Dafür bekommt er dann auch einen Schlüssel und einen schicken Kulturbeutel überreicht, in dem zu seinem Erstaunen neben einer Zahnbürste und einem Einwegrasierer auch Kondome und Gleitcreme enthalten sind …
Im Zimmer angekommen der nächste Schock: Das Bad mit riesiger runder Whirlpool-Badewanne ist nur durch eine Glasscheibe vom Schlafbereich abgetrennt. Je mehr er sich umschaut, desto unheimlicher wird ihm das Ganze. Wie er sich so auf seinem Bett mit Massagefunktion hinlegt, wird ihm klar, wo er hier gelandet ist. Und offenbar hat er ein Zimmer mit thematischer Ausrichtung »Urwald« erwischt. Mitten im Raum überragt eine künstliche Palme alles und einige Bambusstangen dienen als Kleiderhaken. Auch die Kuscheltiere, die in allen Ecken des Zimmers lauern und einen wahren Streichelzoo ergeben, huch, was macht denn der Pinguin im Regenwald, irritieren Nico zunächst ein wenig. Was mit der starken Liane, die quer durchs Zimmer hängt, von den Vorbenutzern schon so alles angestellt worden sein mag, möchte Nico sich dann gar nicht mehr ausmalen.
Na ja, bei dem Preis beschwert man sich besser nicht. Apropos Preis, da kommt er ins Grübeln. Wie viel sind 40.000 Won denn eigentlich? Am Rechner, der natürlich auch im Zimmer steht, schnell ins Internet gegangen und geschaut: aktueller Wechselkurs 1.300 Won und ein paar Zerquetschte, also knapp 31 Euro für ein großes Zimmer mit riesigem Fernseher und kostenlosem Internet. Durchaus in Ordnung. Länger als nötig will er diesen Computer aber auch nicht benutzen, denn was er so in der Favoritenleiste und auf dem Desktop an Seiten und Dateien entdeckt, lässt ihn über die hygienische Beschaffenheit der Tastatur ins Grübeln kommen.
HIGH-SPEED-WELTMEISTER
In allen Messungen der Internetgeschwindigkeit liegt Südkorea regelmäßig ganz weit vorne – meist auf Platz eins. Als in Deutschland noch viele Haushalte gar nicht am Netz waren oder mit Modem surften, war in Korea bereits flächendeckend Breitband verlegt. Die Spitzenposition hat man einem ambitionierten Plan der Regierung Kim Dae-jung zu verdanken. Dem Friedensnobelpreisträger, der im Ausland eher für seine Aussöhnung mit Nordkorea und seinen Kampf für Demokratisierung bekannt ist, galt das Internet als möglicher Ausweg aus der Asienkrise