Unrast. Olga Tokarczuk
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Flughäfen
Es gibt die großen Flughäfen, die uns mit dem Versprechen der Umsteigemöglichkeiten in Mengen versammeln, sie haben ihre geordneten Verbindungen und Flugpläne im Dienste der Bewegung. Doch auch wenn wir nicht vorhaben, uns in den nächsten paar Tagen fortzubewegen, lohnt es sich, sie näher kennenzulernen.
Früher wurden sie wie die Bahnhöfe an den Stadtrand gelegt, als eine Art Anhang. Aber heute haben sie sich so weit emanzipiert, dass sie ihre ganz eigenständige Identität haben. Bald wird man sagen können, dass es die Städte sind, die als Arbeits- und Schlafstätten Anhängsel der Flughäfen bilden. Denn inzwischen ist ganz klar, dass das wahre Leben in der Bewegung stattfindet.
Warum sollten heutzutage Flughäfen richtigen Städten in irgendetwas nachstehen? Es gibt dort Kunstausstellungen, Konferenzzentren, sie sind Schauplatz für Festivals und Shows. Es gibt Gärten und Promenaden, kulturelle Veranstaltungen werden angeboten. In Schiphol kann man schöne Rembrandtkopien bewundern, auf einem asiatischen Flughafen gibt es ein Religionsmuseum, eine sehr gute Idee. Außerdem haben wir dort Zugang zu guten Hotels und etlichen Bars und Restaurants. Es gibt kleine Läden, Supermärkte und Geschäftspassagen, in denen man sich nicht nur für die Reise versorgen kann, man kann bereits hier alle möglichen Souvenirs kaufen, um am Zielort keine Zeit damit zu verschwenden. Es gibt Fitness Clubs, Massagesalons – klassisch und asiatisch –, Friseure und Anlageberater, Niederlassungen von Banken und Mobiltelefongesellschaften. Wenn die körperlichen Bedürfnisse schließlich gedeckt sind, kann man sich zur geistigen Erbauung in die zahlreichen Kapellen und Meditationsräume begeben. Auf manchen Flughäfen werden für die Reisenden Autorenlesungen geboten. Irgendwo im Rucksack habe ich noch das Programm einer solchen Lesung: »Geschichte und Grundfragen der Reisepsychologie«, »Die Entwicklung der Anatomie im 17. Jahrhundert«.
Alles ist gut organisiert, Laufbänder erleichtern den Wechsel von einem Terminal zum anderen, dann geht es von einem Flughafen zum andern (manche sind mehrere Flugstunden voneinander entfernt!), und ein diskreter Ordnungsdienst sorgt indessen für das reibungslose Funktionieren dieses großen Mechanismus.
Heute sind Flughäfen mehr, als ihr Name sagt, sie bilden eine spezielle Kategorie von Stadtstaaten mit festem Standort, jedoch ständig wechselnder Bevölkerung. Die Flughafenrepubliken, Mitglieder des Internationalen Luftfahrtverbands, haben noch keine Vertretung bei den Vereinten Nationen, aber das wird sicher nicht mehr lange dauern. Sie sind ein Beispiel für ein System, in dem die Innenpolitik weniger wichtig ist als die Verbindungen mit anderen zum Verband gehörenden Flughäfen, denn nur damit können sie ihre Existenz rechtfertigen. Sie sind ein Beispiel für ein extravertiertes System, die Verfassung steht auf jedem Fahrschein gedruckt, und der einzige Personalausweis seiner Bürger ist die Bordkarte.
Die Einwohnerzahl ist stets fluktuierend. Interessanterweise sind bei Nebel und Gewitter immer Bevölkerungszunahmen zu verzeichnen. Damit sich jeder überall und stets wohlfühlen kann, dürfen die Einwohner nicht zu auffällig sein. Manchmal könnte man auf dem Laufband beim Anblick der anderen Reisebrüder und -schwestern den Eindruck haben, dass wir Präparate in Formalin sind, die einander aus ihren Gläsern angucken. Leute, die aus den Bildern in Reiseführern herausgeschnitten worden sind. Unsere Adresse ist der Platz im Flugzeug, beispielsweise 7D oder 16A. Die großen Laufbänder tragen uns in entgegengesetzte Richtungen: Die einen sind in Pelz und Mütze, andere in Hemden mit Palmenmuster und Bermudashorts, manche mit schneegetrübten Augen, andere sonnengebräunt, diese durchdrungen von nördlicher Feuchtigkeit, dem Geruch faulender Blätter und aufgeweichter Erde, jene mit Wüstensand in jeder Ritze ihrer Sandalen. Die einen dunkelhäutig, sonnenverbrannt, versengt, die anderen blendend weiß, fluoreszierend. Kurzgeschorene und solche, die sich nie die Haare schneiden. Große und Breitschultrige wie dieser Mann da, und Kleine, Zerbrechliche, wie jene Frau, die ihm gerade mal bis zur Taille reicht.
Sie haben auch ihre eigene Musik. Das ist die Symphonie der Flugzeugmotoren, ein paar einfache Klänge, die sich im rhythmusfreien Raum ausbreiten, ein orthodoxer zweimotoriger Chor, düster rußig, rot und schwarz unterlegt, ein Largo, bestehend aus einem einzelnen Akkord, der sich selbst ermüdet. Ein Requiem, das mit dem mächtigen Introitus des Starts beginnt und mit dem zur Landung abklingenden Amen endet.
Reise zu den eigenen Wurzeln
Hostels, die herbergsartigen Unterkünfte, müsste man wegen »Ageism« zur Rechenschaft ziehen, wegen Diskriminierung aufgrund des Alters. Aus irgendwelchen Gründen nehmen sie nur junge Leute als Übernachtungsgäste auf. Sie setzen sich selbst diese Altersgrenzen, doch jemand über vierzig würde die Schwelle mit Sicherheit ohnehin nicht überschreiten. Warum sollen junge Leute solch ein Vorrecht haben? Sind sie rein biologisch nicht schon mit allen Vorzügen ausgestattet?
Nehmen wir zum Beispiel diese Rucksacktouristen, aus denen sich die Mehrheit der Gäste in den Hostels rekrutiert. Männer wie Frauen sind kräftig und groß, haben gesunde helle Haut, selten rauchen sie oder konsumieren andere Schweinereien, höchstens ab und zu mal einen Joint. Sie reisen ökologisch bewusst zu Lande, mit Nachtzügen oder überfüllten Langstreckenbussen. In manchen Ländern können sie auch noch trampen. Abends kommen sie in diesen Hostels an, und beim Essen stellen sie einander Die Drei Reisefragen. Woher bist du? Woher kommst du gerade? Wohin fährst du? Die erste Frage stellt die senkrechte Achse dar, die nächsten beiden die waagrechte. Mit Hilfe dieser Konfiguration können sie eine Art Koordinatensystem erstellen, und wenn es ihnen gelungen ist, einander auf dieser Karte zu platzieren, können sie ruhig schlafen.
Einer, den ich im Zug traf, war wie die meisten auf der Suche nach seinen Wurzeln. Das war eine ziemlich komplizierte Reise. Mütterlicherseits war seine Großmutter russische Jüdin, sein Großvater Pole aus Wilna (sie hatten Russland mit der Armee von Anders verlassen und sich nach dem Krieg in Kanada niedergelassen). Väterlicherseits war sein Großvater Spanier, seine Großmutter Indianerin, den Namen ihres Stammes habe ich vergessen. Er war am Anfang seiner Reise, und das alles schien ihn etwas zu erdrücken.
Reisekosmetika
Heute bietet jede Drogerie, die etwas auf sich hält, ihren Kunden eine spezielle Serie von Kosmetika für die Reise. Manche Ketten stellen ganze Regale dafür bereit. Hier kann man sich mit allem ausstatten, was man für die Reise braucht: Shampoo, Waschmittel in der Tube, um in Hotelwaschbecken die Unterwäsche waschen zu können, zusammenklappbare Zahnbürsten, Sonnenschutzcreme, Insektenspray, Tüchlein mit Schuhcreme (erhältlich in einer breiten Farbpalette), Intimhygiene, Fußcreme, Handcreme. Das Charakteristische daran ist immer die Größe: Es sind Miniaturen, Tübchen und Gläschen, daumengroße Fläschchen, im kleinsten Näh-Set haben drei Nadeln, jeweils drei Meter Faden in fünf verschiedenen Farben, zwei weiße Notknöpfe und eine Sicherheitsnadel Platz. Vor allem der Haarlack in Sprayform wird nützlich sein, der Miniaturbehälter passt in die hohle Hand.
Offensichtlich hält die Kosmetikindustrie das Reisephänomen für eine verkleinerte Kopie des sesshaften Lebens, für seine spielerische, leicht infantile Miniatur.
La mano di Giovanni Battista
Es gibt zu viel Welt. Man müsste sie verkleinern, nicht weiter und größer machen. Man sollte sie wieder in eine kleine Dose stopfen, in ein mobiles Panoptikum, das man nur samstagnachmittags anschauen dürfte, wenn die Tagesarbeit getan, die saubere Wäsche vorbereitet ist, die gestärkten Hemden auf der Stuhllehne hängen, die Böden gescheuert sind und der Streuselkuchen zum Auskühlen auf der Fensterbank steht. Dann würde man durch ein kleines Loch hineinschauen wie in ein Fotoplastikon und jede Einzelheit bestaunen.
Leider