Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 2. Kersten Reich

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Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 2 - Kersten Reich

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Die Intensivierung der Nutzung einer gegebenen Zeit. Die Zeit wird insbesondere in der Arbeit »verkürzt« und intensiviert, indem die Arbeitenden mehr in bestimmter Zeit durch schnelleres Arbeiten zu leisten haben. Arbeit wird vor diesem Hintergrund organisiert, indem Zeit und Raum in eine eindeutige Ordnung gebracht werden. Es ist die Wechselwirkung aus Beobachtung und Handlungen, aus Intensivierung der Abläufe, um in gleicher Zeit mehr herzustellen, und aus Techniken, die es ermöglichen, in gleicher Zeit mehr zu produzieren, was die Produktion steigern lässt, um aus vielen einzelnen Bewegungen Muster effektiver Handlungen zu erzeugen. Je mehr dies auf der materiellen Seite gelingt, desto stärker scheinen fast alle Ereignisse beherrschbar zu sein. Wir erschaffen mehr Waren in bestimmter Zeit, wir arbeiten intensiver, lernen mehr, reduzieren Entspannung und Erholung. In der Intensivierung der genutzten Arbeitszeit können mehr Waren in kürzerer Zeit hergestellt werden, der Gewinn kann also gesteigert werden. Dies ist zunächst immer die leichteste Form der Gewinnsteigerung. Sie hat zur Folge, dass die Zeiteinteilung, die Länge des Arbeitstages, die Intensität der körperlichen und geistigen Beanspruchung gesteigert werden, aber die notwendige Erholungszeit der Arbeitskraft und Vorkehrungen zum Schutz der Arbeitssicherheit und Gesundheit kleingehalten werden. Die Arbeit wird durch den Takt der Maschinen gesetzt, der Mensch durch die Abläufe diszipliniert, und ein Überwachungssystem in strikter Hierarchie mit unmittelbaren Konsequenzen bei Nichteinhaltung der erwarteten Normen reguliert das erwartete Tempo. Zeit wird in der Moderne grundlegend in Geschwindigkeit verwandelt und zu einer Politik der Geschwindigkeiten (Virilio 2008); für die Gesundheit der Arbeitenden wirkt diese Richtung oft umfassend schädigend. Auch die Intensität der Nutzung der Böden oder der Produktionsstätten ist nicht auf Nachhaltigkeit, sondern vielmehr auf Abnutzung, Verschmutzung und langfristige Schädigung ausgelegt, denn den intensiven Beanspruchungen stehen in der Regel keine Maßnahmen zur Rekultivierung oder Reparatur gegenüber. Zudem hilft die Serialität der Produktion, Waren in ungeheuren Mengen zu produzieren, deren kurze Nutzung dann zu Müll und weiteren Schädigungen der Umwelt führt. Insgesamt umfasst die Intensivierung sowohl den Menschen als Angriffspunkt einer Generierung von mehr Output in bestimmter Zeit als auch die äußere Natur als Angriffspunkt einer Intensivierung der Ausbeute von Ressourcen und der Verschlechterung der Umweltbedingungen. In der kapitalistischen Buchhaltung gibt es zunächst kein Instrument, das die billige Natur mit Folgekosten in die Kosten-Nutzen-Rechnung einführt. So wie der Arbeitsschutz und ein Kranken- und Gesundheitssystem die Intensivierungslasten der Arbeit auffangen müssen, so müsste ein Umweltsystem regulierend eintreten, um das Ausmaß kapitalistischer Praktiken zu begrenzen. Beides kann nur gegen den Widerstand der Mehrwertproduktion und Kostenvermeidung erreicht werden.

      (2) Die Arbeitsproduktivität kann durch noch schnellere und effektivere Maschinen in Verbindung mit menschlicher Arbeit nochmals eine größere Steigerung der Waren- und Wertzuwächse erzielen. Die Erhöhung der produktiven Zeit durch den Einsatz von Hilfsmitteln, Werkzeugen, Maschinen lässt die gegebene Zeit effektiver nutzen, indem Wergzeuge, Geräte, Maschinen, Computer usw. die Arbeit und teilweise sogar das Lernen (vor allem durch arbeitsteilige Wissensspeicherung) verrichten. Die Verbesserung der Produktivität der genutzten Zeit ist auf längere Sicht noch erfolgreicher als die Intensivierung. Kraft und Schweiß einer intensiven Arbeit werden hier durch die Hardware der festen Moderne ersetzt, was im Rahmen des wissenschaftlich-technologischen Fortschritts zu einem Antrieb für immer neue Erfindungen und Anwendungen in eine Konkurrenz der erreichbaren Geschwindigkeiten führt. Die Beschleunigung bestimmt die Arbeitsabläufe; die Zeitmessungen und Überwachungen der Abläufe werden selbst zu Faktoren der Produktivitätssteuerung. Nicht nur das Zeitkonzept wird ständig an die nimmersatte Erhöhung der Produktivität, die immer bessere Gewinne sichern soll, angepasst, auch der Raum wird hierfür rational konstruiert und instrumentell organisiert. Kurze Wege, produktive Arbeitsketten, Verkürzung des Transports inner- und außerbetrieblich, Ausbau des Transport- und Verkehrswesens bei gleichzeitiger Demonstration des eigenen Raums, der Fabrik, als ein Raum und Gebäude der Herrschaft in monumentaler Architektur. Was jenseits der produzierten Waren aus den Fabriken als Abgas, Verschmutzung, Müll und Verunreinigung herauskommt, das sind alles Kosten, die möglichst nicht in Rechnung gestellt werden sollen, weil sie die Gewinne schmälern. Der wissenschaftlich-technologische Fortschritt steht für ein Anwachsen der Produktivkräfte, was den Output durch menschliche Arbeit unermesslich steigert, was zugleich zu einer Rücksichtslosigkeit im Gebrauch der billigen Natur führt. Wenn die Ölproduktion knapp oder zu teuer wird, dann wird die Erde im Fracking mit Giftstoffen aufgebrochen, um ohne Rücksicht auf Langzeitfolgen alles auszupressen, was abzusaugen ist. Wenn die Produktionsweisen neue Agrarflächen benötigen, dann wird der kostbare Regenwald wider jede Einsicht auf Klimafolgen gerodet. Jede Produktivkrafterhöhung, so lässt sich argumentieren, hat Folgen für den Umgang mit der Natur, der Umwelt, den Ressourcen, die ohne begrenzende Moral oder Regulierung immer zu billig sind.

      Der Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital, den Marx im 19. Jahrhundert vor Augen hatte, erweitert sich im 20. Jahrhundert deutlich um den Gegensatz von Natur und Kapital. Der Siegeszug des Kapitalismus, der ins Anthropozän führt, trägt mindestens drei Gesichter:

      Erstens ermöglicht er weltweit durch seine zunehmende Globalisierung ein Anwachsen der Bevölkerungen, die zwar nicht überall im Wohlstand leben können, aber dennoch als Masse die Grenzen der Erde herausfordern.

      Zweitens hat eine vorrangig auf Gewinnmaximierung orientierte Produktionsweise sowohl alle natürlichen Ressourcen als ausbeutbar deklariert und zugleich wenig darauf geachtet, welche Verschmutzungen, Treibhausgase, Vergiftungen, Müllvermehrungen und andere schädliche Folgen diese Produktion selbst hat.

      Drittens ist die Entwicklung nicht nur für die Gewinner in der Kapitalverwertung erfolgreich, sondern auch für eine Masse an Konsumenten, die ihren Wohlstand und ihre Zufriedenheit mit dem erreichten Lebensstandard verbinden.

      Das neue Zeitalter des Klimawandels, der schwindenden Ressourcen und der von mir in Band 1 beschriebenen Grenzen der Erde, ist als Anthropozän ein Erdzeitalter in der longue durée, die den Hintergrund der heutigen Ereignisgeschichte bildet. Viele denken vielleicht, dass nur die Ereignisgeschichte kapitalistisch geprägt ist. Aber die Analyse kann sehr schnell verdeutlichen, dass die Menschheit kaum eine Chance hat, ihrer eigenen longue durée zu entkommen: Wir können nicht einfach durch eine Revolution den für die meisten Menschen so plausiblen Kreisläufen von Geld und Kauf, von Arbeit und Lohn, von Investition und Gewinn, von Kosten und Nutzen entkommen. Sie sind unserem Verhalten, unseren Erwartungen und Wünschen so sehr eingeschrieben, dass selbst größte Ungerechtigkeiten in der Ereignisgeschichte nicht ausgereicht haben, diesen Hintergrund verändern zu können. Für die Nachhaltigkeit kann sich dies neben dem Problem, ob Menschen ein nachhaltiges Verhalten überhaupt hinreichend entwickeln können, als größtes Problem erweisen, weil diese Kreisläufe eine Triebfeder für die Entgrenzungen der Menschen darstellen.

       Das Anthropozän als Folge des Kapitalismus

      Im ersten Teil des ersten Bandes sind die Grenzen der Erde im Anthropozän hinreichend beschrieben worden. Aber solche Beschreibungen folgen eher naturwissenschaftlichen Analysen der Faktenlage um die Nachhaltigkeit. Einige Forscherinnen argumentieren, dass dies unzureichend ist: Sie wünschen eine Umbenennung des Anthropozäns in ein Kapitalozän, weil heute der Kapitalismus die Erdgeschichte schreibt. Aber ist es sinnvoll von einem »Capitalocene« zu sprechen?

      Wenn Moore und andere (2016) die Argumente zusammenfassen, dann kann die Konstruktion des Anthropozäns mit zahlreichen Inhalten in Richtung Kapitalozän gefüllt werden. Offensichtlich ist eine zunehmende Kapitalisierung aller Märkte, was Auswirkungen bis in die letzten Winkel der Erde hat. Die Strategien der Gewinnmaximierung wirken überall auf der Welt, lokal und global. Sie erzeugen Verwerfungen, die überall auf der Welt zu spüren sind. Und sie bedingen einen Umgang mit der Natur, der in die Nachhaltigkeitskrise führt.

      Durch

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