Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 2. Kersten Reich

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Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 2 - Kersten Reich

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wesentliche Basis für die Wirksamkeit der Gewinnmaximierung ist es, dass die Kosten für Verkehr und Verkehrswege, Elektrizität, Wasser, Verwaltung, Militär und Schulen auf den Staat übertragen sind, der sie wiederum durch unterschiedliche Steuern von allen Menschen eintreibt. Obwohl der kapitalistische Unternehmer mehr als andere Menschen von solcher Infrastruktur profitiert, trägt er von Anbeginn an in der Relation nicht den gleichen Kostenanteil wie die Mehrheit der Menschen, womit auch die Nachhaltigkeitskosten im wesentlichen Maße vom Staat auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Der Staat holt sich seine Ausgaben von den Bürgerinnen und Bürgern auf der Basis von Gleichheitsgrundsätzen zurück, obwohl gerade durch solche formale Gleichheit die Ungleichheit der Abgaben untermauert wird. Wenn beispielsweise ein Manager das 1000-Fache eines Arbeitenden verdient, wieso sollte dann nicht auch diese Relation bei der Besteuerung von CO2-Kosten herangezogen werden? Eine solche Denkweise liegt dem kapitalistischen System grundsätzlich fern, weil es auf vermeintlichen Leistungsprinzipien und Gleichheitsgrundsätzen beruht. Allerdings hat niemand bisher nachweisen und begründen können, warum eine Leistung mit hohen Faktoren wie 100 oder 1000 besser als eine andere sein soll und was dies noch mit Gleichheit zu tun haben könnte.

       Das doppelte Nachhaltigkeitsproblem

      Der gegenwärtige Kapitalismus ist vor dem Hintergrund dieser Bedingungen ständig von vielen Veränderungen in allen Lebensbereichen gekennzeichnet. In gewisser Weise kulminieren diese Veränderungen in einem beschleunigten materiellen Wohlstand, wie er insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Industrieländern erfahren werden konnte. Hier wirkt allerdings eine soziale Nachhaltigkeitskrise fort, die sich über die letzten 200 Jahre zwar positiv für die in Lohnarbeit stehenden Menschen verändert hat, aber immer von einer sozialen Ungerechtigkeit begleitet ist. Ungerecht ist, dass die Leistungen der arbeitenden Menschen nicht angemessen entsprechend des geschaffenen Reichtums entlohnt werden. Dabei wirkt die alte, schwere und feste Moderne in vielen Anteilen fort, sie wird aber auch durch eine leichte und flüssige Moderne ersetzt und ergänzt, die in der Globalisierung sichtbar wird und später noch näher analysiert werden soll. Nicht bedachte Folgen fehlender Nachhaltigkeit sowohl im sozialen System als auch gegenüber der Natur und Umwelt sind dem kapitalistischen System grundsätzlich eingeschrieben und auch in seinen Rechten, Regulierungen und Organisationsformen verankert. Deshalb zählt die sozial-ökonomische Nachhaltigkeit auch richtigerweise zu den Säulen der Nachhaltigkeit, auch wenn dies zunächst nur den Status quo der kapitalistischen Verteilungskämpfe charakterisiert und immer durch eine ökologische Betrachtungsweise nicht nur ergänzt, sondern auch kritisch hinterfragt werden muss.

      Graeber (2011) weist darauf hin, dass Geld in der heutigen Gesellschaft immer Schulden miteinschließt. Wie wird auf den Markttransaktionen der menschliche Wunsch nach Reziprozität und gleichem, gerechtem Austausch, nach moralischem und gerechtem Handeln realisiert und kalkuliert? Im Ergebnis wird erkennbar, dass Schulden zunächst in sozialen Beziehungen und Verpflichtungen standen, aber mit der Entwicklung vom klassischen und schweren Kapitalismus in den Neoliberalismus immer mehr der alten Verpflichtungen und Zugehörigkeiten enthoben werden. Das Kosten-Nutzen-Denken in seiner immer dominanter und ignoranter werdenden Form des Vergessens der sozialen Gerechtigkeit und der nachhaltigen Anforderungen ist Ausdruck einer Haltung, die anzeigt, dass der Mensch die wesentlichen Fragen seines Überlebens aus dem Blick verloren hat. In Bezug auf den Klimawandel und dessen Folgen macht es wenig Sinn, die Natur fast ausschließlich aus der Perspektive von Ware-Geld-Beziehungen aufzufassen, denn es geht in der bio-physikalischen Welt nicht um Marktgesetze und Konstruktionen, die bestimmen, wie es den Menschen immer besser gehen soll, wenn gleichzeitig die Natur einseitig überwältigt wird. Der Homo oeconomicus muss verstehen lernen, dass die Natur für die Wirtschaft immer nur ein billiger Gebrauchswert ist, der solange ausgebeutet, verschwendet oder ruiniert wird, bis eine Vernunft oder nicht-ökonomische Justiz oder Moral einsetzen, die um des Überlebens der Menschen und anderen Lebens auf der Erde willen die Privatisierung und Ausbeutung des Planeten beschränken.

      Die große Industrie erscheint bei den neuen und heutigen Formen der Gewinnmaximierung wie ein schwerer Koloss, der noch in der Autoindustrie, bei der Kohle, bei Stahl und anderen klassischen Waren sein solides Geld verdient, aber nur schwer zu vergleichen ist mit den Gewinnen der Finanz- oder Transaktionsjongleure, der Software-Industrie oder der zahlreichen Dienstleistungsbranchen. Hier wird mit kleiner Crew, mit Cloudworking, Outsourcing, kurzen Herausforderungen, mit SCRUM, Human Resource Management und anderen agilen Tools statt mit langen Projekt- und Planungszeiten das Gewinnvorbild für alle anderen Geschäftszweige gesetzt. So wird der noch vorhandenen soliden Moderne eine »Fettabsaugung«, wie Bauman (2000 b) es nennt, verordnet: verschlanken, verkleinern, auslaufen lassen, schließen und woanders billiger eröffnen, veräußern von Teilen – das alles sind wichtige »Gesundheitsmaßnahmen«.

       Die Ausgangslage: Neoliberal und schwer berechenbar

      Im Zirkel von Zusammenschlüssen und Verkleinerungen erscheinen komplementäre Strategien der Gewinnmaximierung: erst Gewinne durch Zusammenlegung, dann Gewinne durch Verkleinerung, dann wieder Zusammenlegung und so fort. Die beschäftigte Arbeit wird zum Faustpfand einer Gewinnberechnung mit Arbeitsmigration, Leiharbeiten und Scheinselbstständigkeiten, die Spekulation zum großen Geschäftsmodell bei verringerter Arbeitslast. Das Problem aber bleibt, dass die vielen Menschen, die arbeiten, um zu leben, auf das Kapital, das Arbeit scheinbar großzügig als Lohn und Einkommen »gibt«, angewiesen bleiben. Die Herrschaftsverhältnisse haben sich jedoch in Richtung eines wachsenden Kapitals verschoben und sind zugleich flüssiger, abstrakter, undurchschaubarer geworden. Persönlich kann der jeweilige Kapitalist, der hinter undurchsichtigen Firmenkonstruktionen steht, immer weniger ausgemacht werden. Die ihm angedichtete soziale und nachhaltige Verpflichtung für das Allgemeinwohl ist eher Wunsch als Wirklichkeit. Und die staatlichen Bürokratien der regulierenden Moderne, die steuernd im Sinne der Allgemeinheit und des Überlebens in der Nachhaltigkeit wirken könnten, zeigen sich im beschleunigten Kampf selbst als zunehmend vom Kapital abhängig und selten fähig, für einigermaßen gerechte Verteilungen und nachhaltige Zustände zu sorgen. Aus einer liberalen Wirtschaftspolitik in Zeiten der Industrialisierung wurde in den letzten Jahrzehnten eine neoliberale Entfesselung aller Märkte.

      Die neoliberale Verflüssigung hat vor allem die Finanzströme und die Gewinnchancen des Kapitals beschleunigt. Beginnend 1970 – mit der Aufhebung der Währungssicherung durch Goldreserven – entstand ein Papiermarkt der Geldgeschäfte, der seine wirkliche Beschleunigung dann in den digitalen Wertzurechnungen und Echtzeiten des Internets finden konnte (zur Geschichte vgl. Ferguson 2008). Die Digitalisierung ist nur ein äußerer Begriff für eine Vielzahl an algorithmischen Operationen, die Informationen aufbereiten und verarbeiten. So wie die Finanzströme nach eigenen Algorithmen konstruiert und gelenkt werden, so werden auch die Wissensströme im Internet verteilt und in Suchmaschinen aufbereitet. In der Kürze der Zeit, seit dieses System existiert, hat es die Menschheit in völlige Abhängigkeit von fast jeglicher Informationsverarbeitung, der digital aufbereiteten Geldströme und ihrer Verwertbarkeit, des Wissens und seines Einsatzes, gebracht, und es dient immer mehr als virtuelles Gedächtnis der Menschheit. In einer Mischung aus Nachrichten (news) und Täuschungen (fake news), aus lokaler Sprache und Englisch (sowie zunehmend Chinesisch) als überwiegend globaler Sprache, aus Anwendungsfenstern und Programmiersprachen, aus öffentlich zugänglichen und kommerziell erwerbbaren Informationen wächst dieses Netz von Tag zu Tag und macht durch interne Automatisierungsvorgänge, durch Bebilderung und Videos alle Seiten der flüssigen Moderne einsehbar und verständlich, ohne dass man das, was geschieht, umfassend verstanden haben muss. Eine beobachtende Teilnahme ist scheinbar alles, was notwendig ist, eine aktive Teilnahme scheint in dieser Beobachtung bereits eingeschlossen und mitgekauft zu sein.

      Für die meisten Menschen bleibt vor diesem Hintergrund

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