Zu den Klippen von Vanikoro. Jean-Francois de Lapérouse

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Читать онлайн книгу Zu den Klippen von Vanikoro - Jean-Francois de Lapérouse страница 8

Zu den Klippen von Vanikoro - Jean-Francois de Lapérouse Edition Erdmann

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nicht die geringsten wirtschaftlichen Fortschritte. Chile, dessen Erzeugnisse halb Europa ernähren, das mit seiner Wolle allen Fabriken Frankreichs und Englands die benötigten Rohstoffe liefern und das ungeheure Mengen Pökelfleisch exportieren könnte, treibt so gut wie keinen Handel. Vier oder fünf kleine Schiffe, die aus Lima kommen, führen Jahr für Jahr etwas Zucker, Tabak und einige europäische Fabrikwaren ein, die die bedauernswerten Einwohner somit nur aus zweiter oder dritter Hand beziehen und auf denen die in Cádiz, Lima und endlich auch in Chile erhobenen Abgaben lasten. Sie können im Austausch nichts liefern außer Getreide, dessen Preis so elend niedrig ist, dass der Bauer gar nicht daran interessiert ist, mehr zu ernten, ferner Talg, Häute und Holzbretter. Demzufolge ist die chilenische Handelsbilanz stets negativ. Mit dem Gold, das hier gefunden wird, und einigen geringfügigen Tauschobjekten lassen sich die eingeführten Waren, der Zucker, der Mate-Tee, der Tabak, Wollstoffe, Leinen und Batist sowie die im täglichen Leben unentbehrlichen Eisen- und Kurzwaren schlechterdings nicht bezahlen.

      Aus dieser sehr kurzen Darstellung geht deutlich hervor, dass das Königreich Chile nie denjenigen Wohlstand erreicht, den es aufgrund seiner Lage erwarten könnte, wenn Spanien sein bisheriges Wirtschaftssystem nicht abändert und die Einfuhrzölle auf ausländische Waren senkt. Ein geringer Zoll auf Konsumgüter bringt dem Fiskus größeren Profit als ein zu hoher Zoll, der den Konsum auf null reduziert.

      Unglücklicherweise bringt dieses Land etwas Gold hervor. Fast alle Bergbäche enthalten ein wenig von diesem Metall, und würden die Einwohner die Mühe nicht scheuen, es auszuwaschen, so könnten sie täglich einen halben Piaster verdienen. Da es hier jedoch Lebensmittel im Überfluss gibt, fehlt der Anreiz zur Arbeit, und da die Chilenen nicht den geringsten Umgang mit Ausländern haben, lernen sie weder Kunst noch Luxus kennen und verspüren nicht den Antrieb, ihre Untätigkeit zu überwinden. Sie lassen ihre Ländereien unangebaut, und diejenigen unter ihnen sind noch die tätigsten, die mitunter einige Stunden auf Goldsuche gehen. Einen Beruf zu erlernen ist ihnen in den meisten Fällen zu anstrengend. So kommt es, dass selbst die Wohnungen der reichsten Leute keine Möbel enthalten. Die in La Concepción tätigen Arbeiter sind allesamt Ausländer.

      Die Frauen tragen einen Faltenrock aus altmodischem Gold- oder Silberstoff, wie man ihn ehemals in Lyon herstellte. Diese Röcke, die man nur bei Feierlichkeiten trägt, werden in den Familien wie Juwelen vererbt und gelangen so aus dem Besitz der Großmütter in den der Enkelinnen. Die Zahl der Bürgerinnen, die derlei Prachtkleider ihr eigen nennen, ist beschränkt; alle anderen Frauen sind kaum imstande, ihre Blöße zu bedecken.

      Die Faulheit ist, mehr noch als Bigotterie und Aberglauben, daran schuld, dass es in diesem Land eine ungeheure Menge von Mönchen und Nonnen gibt. Erstere genießen weit mehr Freiheiten als anderswo. Da sie nichts zu tun haben und ohne Familienanhang in ehelosem Stand leben, ohne aber der Welt entsagt und sich in eine Zelle zurückgezogen zu haben, gehören sie zu den verdorbensten Menschen in ganz Amerika. Ihr freches Betragen lässt sich mit Worten schlechterdings nicht beschreiben. Ich sah mit eigenen Augen mehrere Mönche, die bis Mitternacht einen Ball besuchten; sie saßen allerdings, von der guten Gesellschaft weit entfernt, bei den Lakaien. Statt die jungen Männer vom Betreten schlechter Häuser abzuhalten, teilen sie ihnen deren genaue Adresse mit. Die einfachen Leute in La Concepción besitzen einen starken Hang zum Stehlen, und die Weiber sind äußerst willfährig. Sie gehören einer degenerierten, mit Indianern vermischten Rasse an. Die Angehörigen der Oberschicht hingegen sind reinblütige Spanier und ungemein höflich und artig. Ich schildere ihr Benehmen am besten, indem ich wiedergebe, was wir in La Concepción erlebt haben.

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       Kleidung der Einwohner von La Concepción

      Kaum hatten wir vor dem Dorf Talcahuana Anker geworfen, als mir auch schon ein Dragoner ein Schreiben des stellvertretenden Kommandanten, Herrn Quexada, überbrachte. Er teilte mir mit, man würde uns empfangen, als ob wir Spanier, also Landsleute, seien. Besonders liebenswürdig war der Zusatz, er sei glücklich darüber, dass sich die Befehle, die er erhalten habe, mit seinen Gefühlen wie auch mit der Gesinnung aller Bewohner von La Concepción deckten. Im Ort selbst stiegen wir beim Platzmajor ab, Herrn Sabatero, der uns auch zu einem sehr guten Abendessen einlud. Spätabends fand uns zu Ehren ein großer Ball statt, an dem die vornehmsten Damen der Stadt teilnahmen.

      Herr Duché de Vancy zeichnete die Kleidung dieser Damen, die sich von der in Frankreich üblichen stark unterscheidet. Der Faltenrock enthüllt das halbe Bein und wird von einem weit unterhalb der Taille angebrachten Gürtel zusammengehalten. Dazu tragen die Chileninnen Strümpfe mit roten, blauen und weißen Streifen und Schuhe, die so knapp bemessen sind, dass man nur mit gekrümmten Zehen in sie hineinschlüpfen kann. Die Füße wirken auf diese Weise fast kreisförmig! Sie pudern ihr Haar nicht und flechten es am Hinterkopf in schmale Zöpfe, die auf die Schultern herabfallen. Den Oberkörper bedeckt ein Mieder aus Gold- oder Silberstoff. Darüber schlingt man zwei Mantillen, die eine aus Musselin, die andere aus gefärbter gelber, blauer oder rosa Wolle. Die Wollmantille dient den Frauen von La Concepción als Kopfbedeckung, wenn sie bei kühlem Wetter über die Straße gehen; bei sich zu Hause legen sie sie auf den Schoß. Mit der Mantille aus Musselin wird gespielt, sie wird unablässig hin und her geschoben; bei diesem Spiel zeigen die Damen von La Concepción eine ganz besondere Anmut. Auch sind sie im Allgemeinen hübsch und ausnehmend höflich. In Europa dürfte es keine Hafenstadt geben, in der der Fremde so freundlich aufgenommen wird wie hier.

      Kurz vor dem Abendessen hatten wir den Honoratioren von La Concepción sowie dem Bischof unseren Besuch abgestattet. In der Person dieses Letzteren lernten wir einen Mann kennen, der ungemein viel Geist, die Gabe einer angenehmen Unterhaltung und dazu jene Milde des Charakters besitzt, die man an spanischen Bischöfen nicht selten beobachtet. Er ist ein Kreole aus Peru, war nie in Europa und verdankt seine hohe Würde allein seinen Tugenden. Er versicherte uns unter anderem, dass es dem Gouverneur, Don Antonio O’Higgins, sehr leidtue, uns nicht begrüßen zu können, da er sich derzeit noch zu wichtigen Verhandlungen mit den Indianern im Grenzgebiet aufhalte.

      Die Indianer Chiles sind nicht mehr die Amerikaner von ehedem, denen die Waffen der Europäer Furcht und Schrecken einjagten. Die Pferde haben sich in der unermesslichen Wildnis des inneren Amerika ebenso rapide wie die Rinder und die Schafe vermehrt; mit der Folge, dass sich jene Völkerschaften in wahre Beduinen verwandelt haben, die man in allem denen vergleichen kann, die in den Wüsten Arabiens zu Hause sind. Da sie fast immer zu Pferd sitzen, sind Streifzüge von zweihundert und mehr Meilen für sie kaum mehr als Spazierritte. Mit ihren Herden ziehen sie von einem Ort zum anderen; sie nähren sich vom Fleisch dieser Tiere, von der Milch und bisweilen von deren Blut, auch kleiden sie sich in deren Häute, aus denen sie Helme, Brustharnische und Schilde verfertigen. So hat die Einführung europäischer Haustierrassen auf die Stämme zwischen Santiago und der Magellan-Straße den nachhaltigsten Einfluss ausgeübt. Sie haben ihre alten Bräuche aufgegeben, nähren und kleiden sich anders, kurz, haben heute mehr Ähnlichkeit mit den Tataren oder den Anrainern des Roten Meeres als mit ihren eigenen Vorfahren von vor zweihundert Jahren.

      Es ist leicht einzusehen, dass die Spanier alle Ursache haben, diese Leute zu fürchten. Sie können ihnen nach einem Überfall über so riesige Distanzen nicht nachsetzen. Und ebenso wenig ist es ihnen möglich, die einzelnen Stämme, die vierhundert Meilen weit auseinanderwohnen, daran zu hindern, sich zusammenzurotten und ein Heer von dreißigtausend Mann aufzustellen.

      Herrn O’Higgins ist es jedoch gelungen, sich die Zuneigung dieser Stämme zu erwerben und dadurch der Nation, die ihn aufgenommen hat, einen sehr wesentlichen Dienst zu erweisen. Dazu muss man wissen, dass er irischer Herkunft ist und aus einer Familie stammt, die wegen ihres Glaubens und ihrer Anhänglichkeit an das Haus Stuart verfolgt wurde. Ich muss gestehen, dass ich einen unwiderstehlichen Trieb in mir fühlte, diesen loyalen Kriegsmann, von dem alle nur Gutes erzählten, kennenzulernen. Schon nach einer Stunde Unterhaltung schenkte ich ihm, gleich

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