Die großen Reden der Weltgeschichte. Martin Kaufhold

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Die großen Reden der Weltgeschichte - Martin Kaufhold marixwissen

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der Geschichtswissenschaft. Er erklärt zu Beginn des Werkes, wie er an seine Informationen gelangte: „Was aber tatsächlich geschah in dem Kriege, erlaubte ich mir nicht nach Auskünften des ersten besten aufzuschreiben, auch nicht ‚nach meinem Dafürhalten’, sondern bin Selbsterlebtem und Nachrichten von andern mit aller erreichbaren Genauigkeit bis ins einzelne nachgegangen. Mühsam war diese Forschung …“. Wir können also davon ausgehen, dass die Perikles-Rede, die Thukydides in seinem Werk wiedergibt, sorgfältig recherchiert worden ist. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Thukydides selber zugegen war, als Perikles die Gefallenen ehrte. Schließlich schilderte er selber das Begräbnis der Gefallenen als einen alten Brauch der Athener.

      Das Werk des Thukydides über den Peloponnesischen Krieg bemüht sich nicht nur um eine wahrheitsgetreue Wiedergabe der Ereignisse, sondern auch um eine Erklärung der Kräfte, die die Ereignisse bewirkten. Berühmt ist seine Unterscheidung zwischen dem Anlass des Krieges und seiner wahren Ursache: „Den wahrsten Grund freilich, zugleich den meistbeschwiegenen, sehe ich im Wachstum Athens, das die erschreckten Spartaner zum Krieg zwang.“

      Tatsächlich war Athen im 5. Jahrhundert vor Christus zu einer bedeutenden Macht aufgestiegen, und die Rivalität mit Sparta hatte sich verschärft. In den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts hatten die Spartaner und die Athener gemeinsam und schließlich erfolgreich gegen die persischen Invasoren gekämpft. Von diesen Kriegen berichtet Herodot. In den Kriegen mit den Persern hatten sich die Kräfteverhältnisse zwischen Sparta und Athen allmählich verschoben. Das bis dahin dominante Sparta konnte seine Vormacht vor allem auf sein starkes Heer stützen. In den Kämpfen mit den Persern kam aber der neu gebauten Flotte der Athener eine immer größere Bedeutung zu, bis sie schließlich bei Salamis (480 v. Chr.) einen entscheidenden Sieg über die persische Flotte erringen konnte. Nur zwei Jahre später gründeten die Athener ein Städtebündnis auf der Grundlage ihrer Seemacht, aus dem die Mitglieder nicht mehr austreten konnten. Dieser Athenische Seebund stand Perikles vor Augen, als er das Lob der Athener sang. Perikles gilt als einer der großen politischen Figuren der griechischen Geschichte. „Solange er die Stadt in Frieden leitete, führte er sie mit Mäßigung und erhielt ihr ihre Sicherheit, und unter ihm wurde sie groß.“ (Thukydides). Perikles starb nur ein Jahr nachdem er die Rede gehalten hatte, an einer Epidemie, die sich in Athen im Gefolge des Krieges ausbreitete. Die Führung Athens wurde dadurch zum Problem, es kam zu Rivalitäten und Machtkämpfen. Die Stadt wechselte von einer defensiven Strategie zu einer offensiveren Kriegsführung. Diese Strategie führte letztlich zur Niederlage Athens. In ihrer klassischen Phase hatte die attische Polis eine Verfassung entwickelt, die für die Geschichte der politischen Ideen eine enorme Bedeutung erlangte und die bis in die demokratische Gegenwart eine Faszination behalten hat. In der Gefallenenrede des Perikles erhält diese urbane, das menschliche Maß bewahrende Form des Gemeinwesens eine eindrucksvolle ideale Darstellung.

      REDE

      Die meisten, die bisher hier gesprochen haben, rühmen den, der zuerst den alten Bräuchen diese Rede beifügte, weil es schicklich sei, am Grabe der Gefallenen sie zu sprechen. Mich aber würde es genug dünken, Männern, die ihren Wert durch ein Tun erwiesen haben, auch ihre Ehre durch ein Tun zu bezeugen, wie ihr es jetzt bei diesem öffentlichen Begängnis der Totenfeier seht, und nicht den Glauben an vieler Männer Heldentum zu gefährden durch einen einzigen guten oder minder guten Redner. Es ist nämlich schwer, das rechte Maß der Rede zu treffen, wo man auch die Vorstellungen, die jeder sich von der Wahrheit macht, kaum bestätigen kann: denn der wissende und wohlwollende Hörer wird gegenüber dem, was er erwartet und kennt, leicht etwas unvollkommen dargestellt finden, und der unkundige manches übertrieben, aus Neid, wenn er von Dingen hört, die seine Kraft übersteigen. Denn soweit ist Lob erträglich, das anderen gespendet wird, als jeder sich fähig dünkt, wie er’s gehört hat, auch zu handeln; was darüber hinausgeht, wird aus Neid auch nicht mehr geglaubt. Nachdem es aber den Ahnen sich bewährt hat, dass dies so recht sei, muss auch ich dem Brauche folgen und versuchen, jedem von Euch Wunsch und Erwartung zu erfüllen, so gut es geht.

      Zunächst will ich unsrer Vorfahren gedenken … es ist wohl recht und auch geziemend, ihnen in solchem Augenblick die Ehre des Gedächtnisses zu erweisen. Denn die Freiheit dieses Landes haben sie, in der Aufeinanderfolge der Nachwachsenden immer die gleichen Bewohner, mit ihrer Kraft bis jetzt weitergegeben. So sind sie preiswürdig, und noch mehr als sie unsre Väter. Denn diese erwarben zu dem, was sie empfingen, noch unser ganzes Reich, nicht ohne Mühe, und haben es uns Heutigen mitvererbt. Das meiste davon haben jedoch wir selbst hier, die jetzt noch Lebenden, in unseren reifen Jahren ausgebaut und die Stadt in allem so ausgestattet, dass sie zu Krieg und Frieden sich selbst genügen kann. Was davon Kriegstaten sind, durch die Teil um Teil erworben wurde, oder wenn wir selbst oder unsere Väter alles daran gaben, einen fremdländischen oder griechischen Feind, der angriff, entschlossen abzuwehren, das will ich, um nicht weitschweifig von Bekanntem zu reden, beiseitelassen; aber aus welcher Gesinnung wir dazu gelangt sind, mit welcher Verfassung, durch welche Lebensform wir so groß wurden, das will ich darlegen, bevor ich dann zum Preis unserer Gefallenen mich wende … es ist diese Stunde, glaube ich, vielleicht ganz angemessen, dass dies ausgesprochen werde, und von Vorteil, wenn die ganze Menge von Bürgern und Fremden es anhört.

      Die Verfassung, die wir haben, richtet sich nach keinen fremden Gesetzen; viel eher sind wir für sonst jemanden ein Vorbild als von anderen abhängig. Mit Namen heißt sie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf eine große Zahl gestellt ist, Volksherrschaft. Es haben aber nach dem Gesetz, in dem was den einzelnen angeht, alle gleichen Teil, und der Geltung nach hat im öffentlichen Wesen den Vorzug, wer sich irgendwie Ansehen erworben hat, nicht weil er zu einer Gruppe gehört, sondern nach seinem Verdienst – und wiederum wird keiner aus Armut, wenn er für die Stadt etwas leisten könnte, durch die Unscheinbarkeit seines Namens verhindert. Sondern frei leben wir miteinander im Staat und im gegenseitigen Geltenlassen des alltäglichen Treibens, ohne dem Nächsten zu grollen, wenn er einmal seine Laune lebt, und ohne jenes Ärgernis zu nehmen, das zwar keine Strafe und doch kränkend anzusehen ist. Bei soviel Nachsicht im Umgang von Mensch zu Mensch erlauben wir uns doch im Staat, schon aus Furcht, keine Rechtsverletzungen, im Gehorsam gegen die für ein Jahr eingesetzen Beamten und gegen die Gesetze, vornehmlich die, welche zu Nutz und Frommen der Verfolgten bestehen, und gegen die ungeschriebenen, die unwidersprochne Schande bringen.

      Dann haben wir bei unsrer Denkweise auch von der Arbeit die meisten Erholungen geschaffen: Wettspiele und Opfer, die jahraus jahrein bei uns Brauch sind, und die schönsten häuslichen Einrichtungen, deren tägliche Lust das Bittere verscheucht. Und es kommt wegen der Größe der Stadt aus aller Welt alles zu uns herein; so können wir von uns sagen, wir ernten zu grad so vertrautem Genuss wie die Güter, die hier gedeihn, auch die der übrigen Menschen.

      Anders als unsere Gegner sorgen wir auch in Kriegssachen. Unsere Stadt verwehren wir keinem, und durch keine Fremdenvertreibungen missgönnen wir jemandem eine Kenntnis oder einen Anblick, dessen unversteckte Schau einem Feind vielleicht nützen könnte; denn wir trauen weniger auf die Zurüstung und Täuschung als auf unseren eigenen tatenfrohen Mut. Und in der Erziehung bemühen sich die andern mit angestrengter Übung als Kinder schon um Mannheit, wir aber mit unsrer ungebundenen Lebensweise wagen uns trotz allem in ebenbürtige Gefahren. Der Beweis: die Spartaner rücken nicht für sich allein, immer nur mit dem ganzen Bund gegen unser Land aus, während wir, wenn wir selbst das der Gegner heimsuchen, unschwer in der Fremde die Verteidiger ihrer Heimat fast immer im Kampf besiegen. Und auf unsre gesammelte Macht ist noch kein Feind je gestoßen, wegen unsrer gleichzeitigen Sorge für die Flotte und vielfachen Verteilung auf dem Lande. Treffen sie dann irgendwo auf einen Splitter und besiegen einige von uns, so prahlen sie, sie hätten uns alle geworfen, und unterliegen sie: sie seien der Gesamtheit gewichen. Doch hat dieser mehr sorglose als mühselige Wagemut, diese weniger gesetzliche als natürliche Tapferkeit für uns noch den Vorteil, dass wir zukünftige Not nicht vorausleiden, und, ist sie da, doch nicht geringere Kühnheit bewähren als die ewig sich Plagenden, und darin verdient unsre Stadt Bewunderung – und noch in anderem.

      Wir lieben

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