Der Dreißigjährige Krieg. Helmut Neuhold
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Der 5. Juni 1619 brachte die so genannte »Sturmpetition« der protestantischen Stände Niederösterreichs zu Ferdinand II. in die Wiener Hofburg. Die etwa 50 Adeligen kamen unter der Führung von Paul Jakob von Starhemberg, eines Angehörigen eines der bedeutendsten österreichischen Adelsgeschlechter, der zum Sprecher des protestantischen Adels bestimmt worden war, zu einer offiziellen Aussprache in den kaiserlichen Palast. Sie forderten religiöse Freiheit und Frieden mit Böhmen. Ein entsprechendes Schriftstück war bereits aufgesetzt und es wurde lange Zeit hitzig verhandelt. Die Situation war bedrohlich und Tätlichkeiten waren zum Greifen nahe. Später kam das Gerücht auf, dass Andreas von Thonradel, der Herr von Ebergassing, den geschockten Ferdinand beim Wams genommen habe, um ihn zur Unterschrift zu zwingen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich Ferdinand dabei bereits als ein weiteres Opfer eines Fenstersturzes sah. Als die Spannung schier unerträglich schien, ritten plötzlich einige Kornette (Kompanien) des Regiments Dampierre unter der Führung von Gilbert de Saint Hilaire in die Hofburg ein. Die Adeligen glaubten daraufhin, die Reiter seien zu ihrer Verhaftung angerückt, mäßigten ihren Zorn und sahen von ihren Handgreiflichkeiten ab. Allein dem Eintreffen von Dampierres Regiment ist es zu verdanken, dass Ferdinand es wagte, die Forderungen der Protestanten abzulehnen, und so blieb die Sturmpetition am Ende ohne Wirkung. Es spricht für Ferdinands Bigotterie, dass er seine Errettung dem Gebet vor einem noch heute existierenden Kruzifix zuschrieb. Dieses Ereignis wurde später zu einem der »Wunder des Hauses Habsburg« stilisiert und in Gemälden und Druckwerken wirkmächtig in Szene gesetzt. Das Kürassierregiment von Dampierre erhielt für seine Dienste eine Auszeichnung und seinem Kommandanten wurde bis 1918 das Privileg zuteil, unangemeldet beim Kaiser vorzusprechen.
Thurn stand mit seinem ständischen Heer am 6. Juni 1619 vor den Toren von Wien. Hier blieb ihm jeder militärische Erfolg versagt, da er weder über ein passendes Belagerungsgerät, noch über die nötige Artillerie verfügte. Überhaupt erwies sich der politisch eloquente Graf nicht gerade als militärisches Genie und dies stellte er auch im weiteren Verlauf des Dreißigjährigen Krieges auf tragische Weise immer wieder unter Beweis. Bezeichnend ist hierbei, dass der böhmische Vorkämpfer Thurn sich niemals die Mühe machte, die böhmische Sprache zu erlernen.
Am 10. Juni 1619 kam es bei Záblat zwischen Bucquoy und dem Grafen von Mansfeld zur Schlacht. Letzterer galt später als der Prototyp eines Söldnerführers und Condottiere (italienische Bezeichnung für einen Söldnerführer und Kriegsunternehmer) des Dreißigjährigen Krieges. Seine militärischen Leistungen entsprachen aber trotz seines persönlichen Heldentums selten den in ihn gesetzten Erwartungen. Berüchtigt wurde er durch sein brutales Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung, flächendeckende Plünderungen und Brandschatzungen. Ein Kuriosum ist, dass er später als einer der unermüdlichsten Vorkämpfer des Protestantismus galt, obwohl er sehr wahrscheinlich. Zeit seines Lebens Katholik geblieben ist (Deschner 2008, Bd. 9, S. 334). Die böhmischen Stände hatten sich seiner Dienste versichert, weil gute Söldnerführer schwer zu bekommen waren und Mansfeld immerhin dem Herzog von Savoyen nicht ganz ohne Erfolg gedient hatte. Er konnte auch am 21. November 1618 das belagerte Pilsen unter seine Kontrolle bringen. Als sich jedoch die Kriegslage in Böhmen kritisch zu gestalten begann, trug Mansfeld dem Herzog von Savoyen erneut seine Dienste an – dieses Mal jedoch erfolglos. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in Böhmen der Schlacht zu stellen.
Das gegnerische Aufeinandertreffen bei Záblat stellte die erste wirklich bedeutende Schlacht des Dreißigjährigen Krieges dar. Das Dorf Záblat befindet sich in der Nähe von Budweis und ist damit nicht allzu weit von der österreichischen Grenze entfernt. Mansfeld wollte nach Budweis marschieren und wurde von Bucquoy zur Schlacht genötigt. Obwohl der Kampf nicht lange andauerte, verlor Mansfeld etwa 1.500 Mann und seinen gesamten Tross. Die Truppen der böhmischen Stände waren in der Folge gezwungen, die Belagerung von Budweis abzubrechen und der Graf musste sich vorerst von seinem Schock erholen und blieb einige Zeit militärisch inaktiv. Als Reaktion auf die verlorene Schlacht soll er seine Dienste sogar dem Kaiser angetragen haben.
Die böhmischen Stände brachen nach der Niederlage von Záblat ihren ohnehin wenig aussichtsreichen Versuch einer Belagerung Wiens ab. Die Truppen waren schlecht ausgerüstet und verfügten nicht über fähige Befehlshaber. Dennoch waren die böhmischen Standesherren weiterhin siegesgewiss und setzten ihren Kurs konsequent fort. Am 19. August 1619 wurde Ferdinand II. als böhmischer König durch die Stände für abgesetzt erklärt. Am darauffolgenden Tag schlossen die Stände eine Angriffsallianz mit Gábor Bethlen, dem Fürsten Siebenbürgens. Dieser wurde am 25. August durch den Landtag von Neusohl (Banská Bystrica) zum König von Ungarn gewählt. Dieser umstrittenen Königswahl folgten jedoch einige weitere nach, denen noch eine weitaus größere Bedeutung zukam.
Man schrieb den 27. August 1619, als um die Mittagszeit in Prag das Donnern der Kanonen widerhallte. Die Stände hatten dem Land einen neuen König gegeben – es war Friedrich V. von der Pfalz. Bereits einen Tag später wählten in Frankfurt die Kurfürsten einen neuen Kaiser für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation – Ferdinand II. Der neue böhmische König Friedrich V. traf erst am 31. Oktober 1619 mit großem Gefolge aus seiner pfälzischen Heimat in Prag ein. Seine offizielle Krönung zum König fand am 4. November im St. Veits-Dom statt. Die Kathedrale wurde nur wenige Wochen später von den Calvinisten aufs Schlimmste verwüstet, wobei eine große Anzahl bedeutender sakraler Kunstwerke vernichtet wurde. Der neue König hatte große Probleme mit der europäischen Anerkennung seiner Herrschaft, denn viele Fürsten nahmen eine abwartende Haltung ein oder gingen gar auf Distanz zu ihm.
Die Krönungszeremonie für Kaiser Ferdinand II. wurde knapp zwei Wochen nach der Wahl, am 9. September 1619, in hochherrschaftlicher Weise in Frankfurt vollzogen. In der Titulatur des deutschen Kaisers findet sich der Passus vom so genannten »immer Mehrer des Reiches«. Diese Apostrophierung ist aus dem lateinischen semper Augustus abgeleitet und basiert auf der fälschlichen Ableitung von Augustus von dem lateinischen Verb augere, das »vermehren«, »vergrößern« bedeutet. Der »immer Mehrer« hatte entsprechend der lateinischen Etymologie die Pflicht, die Rechte des Reiches nach außen hin zu schützen, etwa, indem er Gebietsverluste verhinderte. Ferdinand II. und sein Sohn wurden dieser Pflicht in keiner Weise gerecht, denn wie kaum ein Herrscher vor ihnen trugen sie durch ihre Politik zur Verkleinerung und Entmachtung des Reiches bei.
Am 8. Oktober 1619 schlossen Kaiser Ferdinand II. und Herzog Maximilian I. den so genannten »Münchener Vertrag«, in dem Herzog Maximilian von Bayern versprach, den Kaiser gegen die rebellischen Böhmen und ihren neuen König zu unterstützen. Ferdinand II. sagte daraufhin im Geheimen die Übertragung der Kurwürde der Pfalz an Bayern zu. Unterstützung hatte der Kaiser auch dringend nötig, denn am 14. Oktober kam es zur Schlacht bei Preßburg. Gábor Bethlen konnte den kaiserlichen Truppen unter Rudolf von Tiefenbach eine schwere Niederlage bereiten und die Stadt einnehmen. Der Siebenbürge stellte jetzt auch eine durchaus ernst zu nehmende Bedrohung für die Kaiserstadt Wien dar.
Als Thurn mit seinem böhmischen Ständeheer erneut gegen Wien vorrückte, entfachten sich zwischen ihm und den Truppen von Karl von Bucquoy erbitterte Kämpfe, die vom 24. bis zum 26. Oktober andauerten und derer sich Karl von Bucquoys Truppen schließlich erwehren konnten. Thurn blieb jedoch trotz aller militärischen Misserfolge weiterhin hartnäckig. Immerhin konnte er auf ein Bündnis mit den protestantischen Ständen Niederösterreichs zählen. Am 26. November 1619 versuchte er erneut, die Stadt