Das Ende. Mats Strandberg

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Das Ende - Mats Strandberg

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Junge, der gerne malte. Als Tilda und ich aufs Sportgymnasium kamen und ihn eines Tages im Flur sahen, hatte ich ihn schon total vergessen. Alle Mädels redeten davon, wie toll er aussieht mit seinen markanten Wangenknochen, den dichten Augenbrauen, der kleinen Lücke zwischen den Schneidezähnen und seinem Kussmund. Und wir fragten uns, ob ihm selbst überhaupt bewusst war, wie gut er aussah. Amanda formulierte es irgendwann so: »Seine Lippen erinnern an den Geschmack von Regentropfen«, woraufhin Tilda losprusten musste. Doch in diesem Moment fiel mir etwas in ihrem Blick auf, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Als sie herausbekam, dass Simon und ich in der Grundschule für ein paar Monate in dieselbe Klasse gegangen waren, wollten sie alles über ihn wissen. Sie fanden es voll süß, dass er als kleiner Junge eher schüchtern gewesen war. Und Elin fand es cool, dass er zwei Mütter hatte. Ein Mädchen aus seiner Klasse meinte, dass er noch immer ziemlich schüchtern sei, weil er oft schwieg und nachdenklich wirkte, was sie wiederum superanziehend fand. Es ist nämlich so: Wenn ein Typ gut aussieht, findet man plötzlich alles an ihm genial, rätselhaft und spannend.

      Zurück zum Steg. Ich brachte Simon zum Weinen, als er mir erzählte, dass seine Schwester schwanger ist, und ich fragte, in welchem Monat. Zu meiner Verteidigung muss ich allerdings sagen, dass man diese Frage ganz automatisch stellt. Aber ich hätte mich trotzdem zurückhalten sollen, denn derzeit stimmen einen alle denkbaren Antworten traurig. Wer will denn jetzt noch ein Kind in diese Welt setzen? Und welche Frau will wie Simons Schwester schwanger sein, aber ihr Kind nicht mehr zur Welt bringen können?

      Ich sah, wie sehr Simon um seine Fassung rang, aber ich glaube nicht, dass er bemerkt hatte, wie auch ich mit den Tränen kämpfte. Ich fand es verdammt traurig, obwohl es mich eigentlich gar nicht betrifft. Doch da ich selbst nur zu gut weiß, wie es sich anfühlt, traurig zu sein oder Angst zu haben und zugleich gezwungen zu sein, auf die Gefühle anderer einzugehen, wollte ich es Simon nicht zumuten. Stattdessen hätte ich das Gespräch auf etwas anderes lenken sollen. Ach, ich bin darin so verdammt mies und denke viel zu lange darüber nach, was ich tun soll, und plötzlich ist es zu spät.

      Hinterher war ich jedenfalls völlig groggy. Mein Vater hatte sich Sorgen gemacht, weil ich so lange fort gewesen war, aber nicht nur deshalb war ich so müde. Vielmehr lag es daran, dass ich zum ersten Mal seit meinem Krankenhausaufenthalt mit einem anderen Menschen als meinem Vater oder Miranda gesprochen hatte. Irgendwann hatte ich das Gefühl, als wäre jegliche Energie aus meinem Körper gewichen, und ich musste das Gespräch so abrupt beenden, dass es Simon bestimmt wie eine Flucht vorkam. Als ich wieder zu Hause in meinem Bett lag, schlief ich auf der Stelle ein.

      PS: Ich hatte Simon gegenüber erwähnt, dass ich nicht daran glaube, dass irgendwer mein Geschwafel lesen wird. Doch das stimmt nicht ganz. Mittlerweile stelle ich mir dich zunehmend als reales Wesen vor. So, als gäbe es dich wirklich. Denn du bist der einzige Ansprechpartner, zu dem ich ganz ehrlich sein kann.

      Vielleicht tue ich es, weil ich an dich glauben möchte. Auch wenn ich mir etwas vormache und letztlich all die anderen auch, die in der TellUs-App etwas posten. Und wenn schon. Es gibt schließlich Leute, die ihr Leben auf einem Glauben an weitaus merkwürdigere Dinge aufbauen.

      NOCH VIER WOCHEN UND EIN TAG

      NAME: LUCINDA TELLUS# 0 392 811 002 POST 0007

      Die große Neuigkeit des Tages ist, dass die Besatzung der Raumstation ISS zur Erde zurückkehren wird. Nicht einmal die vierhundert Kilometer von uns entfernt liegende Umlaufbahn, in der sich die sechs Astronauten gerade aufhalten, befindet sich in sicherem Abstand. Sie wollen lieber zu Hause sterben.

      Cut.

      Interview mit einer Frau aus Linköping, die während der Ausschreitungen nach dem Fußballspiel zusammengeschlagen wurde. Sie saß mit einem zugeschwollenen Auge bei sich zu Hause am Küchentisch und sagte, dass sie sich nun nicht mehr trauen würde, ihre Wohnung zu verlassen. »Vermutlich werde ich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag hier drinnen bleiben.« In den meisten Städten (inklusive unserer eigenen) wurden alle Public Viewings abgesagt und die Fans müssen sich die beiden letzten Spiele zu Hause anschauen. Im Fernsehstudio diskutierten sogar mehrere Experten darüber, ob man die Spiele ganz abblasen sollte, doch dann würde es höchstwahrscheinlich noch viel heftigere Aufstände geben.

      Cut.

      Demnächst findet eine internationale Wohltätigkeitsgala statt, bei der jede Menge Popstars auftreten und die live aus Buenos Aires, Johannesburg, New York, Paris, Tel Aviv und Tokio übertragen wird. Vom Erlös organisiert das Rote Kreuz eine große Lebensmittelsammlung und stellt alles Notwendige für Bedürftige bereit. Doch die Zynikerin in mir kann nicht anders, als sich zu fragen, ob die Künstler nicht hauptsächlich daran teilnehmen, um noch ein letztes Mal im Rampenlicht zu stehen. Die Aufzeichnungen von der Gala werden ebenfalls archiviert. Vielleicht kommst du ja in ein paar Millionen Jahren hierher und gräbst sie wieder aus. Ich bin gespannt, wie das Ganze in deinen Ohren (hast du überhaupt welche?) klingen wird.

      Cut.

      Und nun zu mir. Ich bin nach gestern immer noch müde, was mir ehrlich gesagt höllische Angst einjagt, weil es sich genauso anfühlt wie damals, als ich von meiner Krankheit erfuhr. Ansonsten ist alles okay. Muss ja.

      SIMON

      Ich wache von lauter Musik in der Wohnung auf. Es klingt nach einem von Stinas Songs und schwedischer Rockmusik aus den Achtzigern.

      Als ich nach meinem Handy auf dem Fußboden greife, sehe ich, dass es schon fast elf Uhr ist.

      Morgen sind es noch genau vier Wochen.

      Ich setze mich im Bett auf und versuche mich daran zu erinnern, was ich geträumt habe. Doch meine Erinnerungen sind dünn wie Spinnweben und lassen sich nicht einfangen, ohne dabei zu zerreißen. In einem meiner Träume tauchte Johannes auf. Wir haben das Eiswürfelspiel gespielt, aber er hatte den Mund voller Glassplitter, was aus irgendeinem Grund meine Schuld war.

      Ich stehe auf und stoße im Flur fast mit Stina zusammen, die mir mit einem Haufen Kleidungsstücke entgegenkommt.

      »Hej mein Lieber«, begrüßt sie mich. »Hast du mich erschreckt.«

      »Was hast du denn vor?«

      »Ich räume Judettes Sachen weg, damit Emma morgen ihr Zimmer beziehen kann.«

      »Und Judette schläft dann bei dir?«

      Stina wird feuerrot im Gesicht.

      »Ja«, antwortet sie. »Wird schon gehen.«

      Ich schaue ihr hinterher, bis sie im Schlafzimmer verschwindet.

      Als Judette einmal einen über den Durst getrunken hatte, sagte sie, dass Stina und sie sowohl die schönsten als auch die schrecklichsten Erfahrungen miteinander teilten. Das Jahr vor der Scheidung zählte definitiv zu den schrecklichsten. Stinas selbstzerstörerische Hoffnung trug dazu bei, dass sie noch fordernder wurde, was ihr selbst jedoch kaum bewusst war. Für alle anderen hingegen war es nur allzu offensichtlich. Und Judette entfernte sich von ihr. Stina bettelte und klammerte sich an sie und sie versuchte, die Beziehung irgendwie zu kitten. Doch Judette zog sich immer weiter zurück. Und so setzte sich die Spirale fort.

      Doch sie erlebten auch schöne Zeiten miteinander. Gestern musste ich noch lange an Lucindas Worte denken. Dass sie es bei uns zu Hause lustig gefunden hatte.

      Ich gehe in Emmas Zimmer. Schraube eine der goldenen Zierkugeln vom Bettgestell ab und linse in den kleinen Hohlraum darunter.

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