Fürstenkrone 11 – Adelsroman. Viola Larsen
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Was sind das für unheimliche, sonderbare Geräusche? Atemlos lauscht Sabrina. Sie wagt es einfach nicht, auch nur einen einzigen Schritt weiterzugehen, sondern verharrt wie gelähmt auf der Stelle.
Es ist der Wind, hämmern ihre Gedanken. Ganz gewiss ist es der Wind, der das Schloss umtost!
Aber das, was sie vernimmt, klingt ganz anders als stöhnender, heulender Wind. Eine Kette rasselt, ein Krächzen wird hörbar und plötzlich auch das Geräusch gewaltiger schlagender Schwingen.
In diesem Augenblick verlässt Sabrina alle Tapferkeit. Von panischem Schrecken gepackt, jagt sie zurück und flüchtet zur Halle.
Sie dreht das elektrische Licht an und stürzt weiter durch den Speisesaal.
»Wolfhart!«, ruft sie und ist verzweifelt vor Angst und halb ohnmächtig vor Schrecken. »Wolfhart!«
Die Tür zum Gemach des Fürsten öffnet sich. Wolfhart eilt Sabrina entgegen und schließt sie, die wie Espenlaub bebt und zittert, fest und tröstend in seine Arme.
»Mein Moorprinzesschen?«, fragt er sanft, »was hat dich erschreckt? So sprich doch! Was ist geschehen?«
»Im Falkenverschlag«, stößt die zitternd hervor, »muss ein großer Vogel sein! Wolfhart, es war schaurig! Die Kette rasselte, und das Krächzen und Flügelschlagen …« Mitten im Satz bricht sie ab.
Fürst Wolfhart ist erblasst, Fräulein Tabeas Worte fallen ihm ein, die er damals mit einem Lächeln und der Bemerkung abtat, dass es vermutlich der Wind gewesen sei, der die unheimlichen Geräusche verursacht habe. Aber schon hat er sich gefasst und streichelt beruhigend über Sabrinas Haar.
»Es war der Wind, Sabrina, glaube mir! Wie sollte ein großer Vogel in den Falkenverschlag kommen, der seit Jahren leer und verlassen ist und dessen Fenster immer verschlossen sind?«
»Aber es klang genauso, als zerre ein großer gefesselter Vogel an der Kette und breite krächzend seine Schwingen aus.«
»Still, Liebes!«, bittet Fürst Wolfhart herzlich. »Du hast zu lange gearbeitet. Du bist erschöpft und überreizt, das ist alles. Deine lebhafte Fantasie hat dir einen Streich gespielt. Sei ruhig! Bitte, sei ganz, ganz ruhig!«
Aber Sabrina zittert noch immer an allen Gliedern und schmiegt sich schutzsuchend an Fürst Wolfhart.
»Ich habe Angst«, flüstert sie mit bebender Stimme, »schreckliche Angst, Wolfhart.«
»Du brauchst jetzt vor allem Ruhe«, erwidert der Fürst. »Du musst tüchtig schlafen. Bis morgen ist alles wieder gut. Ich werde morgen früh selbst im Falkenverschlag nachsehen. Aber ich werde feststellen, dass alles in bester Ordnung ist, verlasse dich darauf. Trinke jetzt einen Kognak, der beruhigt, wärmt und gibt Kraft.«
Liebevoll geleitet Fürst Wolfhart Sabrina zu einem der tiefen Sessel am Kaminfeuer. Dann eilt er in sein Zimmer und schenkt ihr ein großes Glas Kognak ein, das er ihr bringt.
»Trink, Moorprinzessin!«, bittet er herzlich. »Gleich wird dir besser sein!«
Sabrina kuschelt sich in den tiefen Sessel. Gehorsam leert sie das Glas, aber sie greift dabei nach Wolfharts Hand und hält sie ganz fest.
Fürst Wolfhart plaudert mit ihr, um sie von ihrem Erlebnis abzulenken. Er scherzt wie früher, als sein Moorprinzesschen noch ein kleines Mädchen war, und Sabrina lächelt glücklich. Sie schmiegt ihr Gesichtchen in seine Hand und schließt die Augen.
»Ich will hierbleiben!«, murmelt sie schläfrig. »Hier ist es warm und hell, und hier bist du. Im Turm habe ich heute Angst, verstehst du?«
Die letzten Worte sind kaum mehr verständlich. Die lange, anstrengende Arbeit, der große Schrecken und das Glas Kognak tun ihre Wirkung, und ehe Sabrina sich’s versieht, schläft sie tief und fest.
Zärtlich betrachtet Fürst Wolfhart die Schlafende. Dann zieht er behutsam seine Hand unter ihrem Gesichtchen hervor und bettet ihr Lockenköpfchen auf ein weiches Kissen. Er holt warme Decken aus seinem Zimmer und hüllt Sabrina darin ein.
Lange steht er dann vor ihr, und sein Antlitz ist von tiefem Ernst gezeichnet. Er glaubt nicht an Gespenster und ist überzeugt davon, dass die seltsamen Geräusche im Falkenverschlag eines Tages eine höchst natürliche Erklärung finden werden. Aber er ist doch sehr, sehr nachdenklich geworden. Will dieses seltsame Geschehen im Falkenverschlag, das auch Fräulein Tabea und der alte Sönke früher schon wahrnahmen, nicht doch etwas besagen? Soll es vielleicht bedeuten, dass die Vergangenheit endlich ruhe, dass er selbst vergessen soll, was früher einmal war?
Der Widerschein des Kaminfeuers flackert über Sabrinas zartes, schönes Antlitz, und Fürst Wolfhart kann einem plötzlichen Impuls nicht widerstehen. Er beugt sich über die Schlummernde und küsst sie zart und innig auf die klare Stirn.
»Schlaf!«, flüstert er. »Schlaf, träum und vergiss, was dich eben erschreckte, mein Moorprinzesschen!«
*
In den nächsten Tagen und Wochen versinkt die Heideinsel mehr und mehr in tiefem Schnee.
Fürst Wolfhart führt lange Telefongespräche mit seiner Agentur. Er stellt dabei mit amüsiertem Lächeln fest, wie maßlos verwundert die Herren darüber sind, dass er als Mitwirkende seiner kommenden Tournee eine Solistin in Vorschlag bringt. Aber der Name Marcus Mauri, Sabrinas Vater, ist noch in bester Erinnerung und hat einen guten Klang. Gern erklärt sich die Agentur darum bereit, der Tochter des großen, unvergessenen Geigers unter Fürst von Ravenhills Leitung den Start zu ermöglichen.
Damit ist Sabrinas Zukunftsziel sehr, sehr nahe gerückt. Sie selbst begreift noch gar nicht recht, dass Wolfhart sie tatsächlich mit sich nehmen will und dass sie an seiner Seite und unter seinem Schutz die ersten Schritte in die große Welt wagen soll.
Aber Fürst Wolfharts Entschluss ist gereift und gefestigt. Er ist bereit, Sabrina die künstlerische Laufbahn zu eröffnen, sie zu begleiten und sie behutsam in ihr neues Leben einzuführen.
Am Silvestertag erhält er dann die telefonische Nachricht von seiner Agentur, dass bereits in den ersten Januartagen mit den Proben begonnen werden könne, und gut gelaunt legt er den Hörer auf die Gabel zurück.
»Frischauf, Sabrina!«, ruft er fröhlich. »Die Koffer werden gepackt! Die große Reise in eine neue Welt beginnt!«
*
Über die Dächer und Türme von Paris senkt sich ein wirbelnder Flockenvorhang, dessen transparente Sternenornamente in den Lichtkaskaden der Laternen zauberhaft flimmern und leuchten.
Auch die Fassade des inmitten von Paris gelegenen Konzerthauses wird durch Lichterglanz und Flockenzauber märchenhaft verwandelt.
Ein kleiner gebückter Mann mit schütterem Grauhaar, der einen altmodischen Cut und eine schwarze gestreifte Hose trägt, studiert in der Vorhalle des Konzerthauses aufmerksam die dort ausgehängten Plakate. Er schiebt die randlose Brille hoch, und der Blick seiner runden wasserblauen Augen haftet auf den beiden Namen, die auf diesen Plakaten besonders hervorgehoben sind. Wolfhart Fürst von Ravenhill und Sabrina Mauri. Er nickt zufrieden, wirft einen prüfenden Blick zu der noch geschlossenen Vorverkaufskasse und geht dann langsam, den linken Fuß ein wenig nachziehend, durch die Vorhalle zu einer kleinen Seitentür, die unmittelbar in den Konzertsaal führt.
Der