Sophienlust Staffel 15 – Familienroman. Susanne Svanberg
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Betti begann damit, den Koffer und die Reisetasche auszuräumen und die Sachen in den Schrank zu legen.
Wenig später kehrte Frau Haslinger zurück. Sie schien bemüht, eine gewisse Aufregung niederzukämpfen. Ein wenig atemlos sagte sie zu Evi: »So, du kannst mitkommen. Dein Vati erwartet dich unten im Wohnzimmer.«
»Betti muss auch mit«, verlangte Evi bestimmt.
Betti zögerte, und Frau Haslinger meinte: »Freilich, kommen Sie nur, Frau …«
»Alle sagen Betti zu meiner neuen Mutti«, warf Evi ein, und Betti nickte bestätigend. »Ja, ich bin das so gewohnt. Nennen Sie mich bitte auch so.«
»Gern«, erwiderte Frau Haslinger.
Evi sprang die Treppe hinunter, und Betti schickte sich an, ihr zu folgen, doch Frau Haslinger legte ihr die Hand auf den Arm und hielt sie zurück. »Verlieren Sie nicht die Geduld mit ihm, falls er unfreundlich sein sollte«, bat sie.
Allmählich kamen Betti die Warnungen der Försterin übertrieben vor, doch bald sollte sie Gelegenheit haben, sie beherzigen zu müssen. Sie hatte Evi eingeholt und betrat zusammen mit Frau Haslinger knapp hinter dem Kind den Wohnraum.
»Vati, mein liebster Vati!«, rief Evi und lief auf den Mann zu, der in einem großen Ohrenfauteuil neben dem Fenster saß. Sie kletterte auf seinen Schoß und umarmte und küsste ihn mit überschwänglicher Freude.
Die Försterin räusperte sich. »Das ist Betti, Evis Pflegemutter«, stellte sie die Besucherin kurz vor.
Ein abweisender Blick aus kühlen graublauen Augen traf Betti. Das Gesicht Erich Gleisners lag im Schatten. Trotzdem ließ sich unschwer seine Ähnlichkeit mit Evi erkennen. Früher musste er ein recht gut aussehender Mann gewesen sein mit seinen dichten dunklen Haaren, die schon von vereinzelten grauen Fäden durchzogen waren, und den regelmäßigen Gesichtszügen. Jetzt aber lagen um seinen Mund scharfe Falten, und seine ablehnende Miene zeigte keinerlei Bereitschaft, Betti willkommen zu heißen.
Evi merkte von alldem nichts. Sie war überglücklich, bei ihrem Vati sein zu dürfen, und da sie ihn so lange nicht mehr gesehen hatte, sprudelten die Erlebnisse, die sie in der Zwischenzeit gehabt hatte, in kunterbuntem Durcheinander aus ihrem Mund hervor.
Frau Haslinger bat Betti leise, Platz zu nehmen. Dann verließ sie den Raum.
Betti saß nun auf einem unbequemen Stuhl mit harter gerader Lehne und wünschte sich meilenweit fort. Sie kam sich so überflüssig vor, wusste aber nicht, ob sie weggehen oder bleiben sollte.
Gerade als sie aufstehen wollte, unterbrach Erich Gleisner den Redefluss seiner Tochter und sagte: »Sei einen Augenblick still. Du hast genug Zeit, mir alles der Reihe nach zu erzählen. Zuerst möchte ich deine Pflegemutter begrüßen.« Seine Stimme klang tief und angenehm, aber der Blick, den er Betti zuwarf, war alles andere als freundlich. »Ich freue mich über Ihren Besuch«, sagte er steif und wenig überzeugend. »Leider bin ich nicht in der Lage, aufzustehen und Ihnen die Hand zu geben.« Er deutete auf die Krücken, die neben seinem Fauteuil lehnten.
Betti fühlte sich äußerst unbehaglich. Sie suchte krampfhaft nach ein paar passenden Worten, aber es fielen ihr keine ein. So schwieg sie, kam sich aber lächerlich und töricht vor.
Evi benützte die eingetretene Stille, um unbekümmert mit ihrem Bericht fortzufahren. Betti hatte befürchtet, dass sie viel von ihrer Mutter sprechen und damit einen wunden Punkt bei ihrem Vater berühren würde, aber Evi erwähnte ihre Mutter und das Eisenbahnunglück nur kurz. Seit diesem schrecklichen Erlebnis, an das sie nicht mehr denken wollte, hatte sie so viel Schönes erlebt, dass sie ihrem Vati unbedingt davon berichten musste. So erzählte sie von den Kindern von Sophienlust, vom kleinen Peterle und vom Tierheim Waldi & Co.
Im Zimmer wurde es langsam dunkel, doch Evi merkte es nicht. Erst als Frau Haslinger hereinkam und das Licht anknipste, sah sie blinzelnd auf und gähnte herzhaft.
»Es ist schon spät«, sagte die Försterin. »Ich glaube, das Kind muss zu Bett gebracht werden.«
»Ja.« Betti stand auf, um Evi in ihr Zimmer zu führen.
»Nein, erst muss sie noch etwas essen. Ich werde gleich den Tisch decken«, sagte Frau Haslinger.
Aber Evi war inzwischen so schläfrig geworden, dass sie keinen Appetit mehr hatte. Es fielen ihr bereits die Augen zu. Gehorsam ließ sie sich von Betti aus dem Zimmer führen und zu Bett bringen.
Betti wäre am liebsten auch schon schlafen gegangen, doch da klopfte Frau Haslinger leise an die Tür und bat sie mit unterdrückter Stimme, zum Abendessen hinunterzukommen.
Betti war zwar hungrig, aber da sie beim Essen neuerlich mit Herrn Gleisner zusammentreffen musste, hätte sie lieber darauf verzichtet.
Die Mahlzeit verlief dann auch so ungemütlich, wie Betti befürchtet hatte. Frau Haslinger hatte sich mit dem Essen redlich bemüht und den Tisch liebevoll gedeckt, aber diese Mühe hätte sie sich sparen können. Betti litt unter dem Gefühl, sich fremden Menschen aufgedrängt zu haben, obwohl der Förster und seine Frau ihr immer wieder versicherten, wie sehr sie sich über ihren Besuch freuten.
Erich Gleisner schwieg beharrlich, sodass Herr Haslinger schließlich drängte: »Nun sag doch etwas, Erich. Du müsstest dich doch am meisten darüber freuen, dass Evi hier ist.«
Erich Gleisner stocherte lustlos in seinem Essen herum und erwiderte endlich: »O ja, über Evis Besuch freue ich mich sehr.«
Es kam Betti vor, als habe er das Wort Evi besonders betont, aber vielleicht war sie bloß empfindlich? Dass sie selbst Herrn Gleisner unsympathisch war, daran gab es für sie jedoch keinen Zweifel.
Auch Frau Haslinger schien das zu merken. Sie sagte schnell: »Ich finde es großartig von Betti, dass sie extra hierhergefahren ist, um Evi einen Gefallen zu erweisen.«
Erich Gleisner sah mit einem spöttischen Blick zu Betti hinüber. »Wollten Sie wirklich nur Evi einen Gefallen erweisen, oder war auch Neugier mit im Spiel?«, fragte er.
»Neugier?« Betti verstand ihn nicht.
»Möchten Sie noch einen Schluck Wein trinken?«, schaltete sich Herr Haslinger hastig ein.
Betti lehnte dankend ab und half Frau Haslinger den Tisch abzuräumen. Sie atmete auf, als sie den Wohnraum verlassen hatte, und bat die Försterin, das Geschirr abwaschen zu dürfen.
»Nein, das kann ich nicht zulassen. Sie sind doch unser Gast«, meinte die Försterin.
»Aber ich wasche gern ab. Ich tue es lieber, als …« Betti stockte, aber die Försterin erriet, was sie hatte sagen wollen.
»Na, dann wollen wir es uns in der Küche gemütlich machen«, schlug sie vor. »Sie dürfen sich Herrn Gleisners Benehmen nicht zu Herzen nehmen. Er kann seine Freude eben nicht so zeigen.«
»Freude? Er hat mir seine Ablehnung deutlich genug gezeigt. Dabei hatte ich wirklich keine böse Absicht. Evi hat mir leidgetan. Sie hat so oft von ihrem Vater gesprochen …«
»Das kann ich mir vorstellen«, versicherte Frau Haslinger.
»Ich wiederhole mich noch einmal, es war gut und richtig von Ihnen, dass Sie gekommen sind. Das Kind ist glücklich, und auch Erich hat sich