Dr. Norden Bestseller Staffel 20 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»Man wird ihr sagen, dass Papa und Bobby schwer erkältet sind. Daran müssen wir uns auch halten, und du darfst zu niemandem etwas anderes sagen.«
»Für blöd brauchst du mich nicht zu halten«, sagte Marilli. »Ich möchte jetzt nur wissen, wer das Papa und uns allen angetan hat.«
Annelore schwieg. Sie ging zum Fenster. Die Nacht wich morgendlicher Dämmerung. Das Bild des Schreckens lag vor ihren Augen. Nein, dachte sie, Papa hat es nicht getan. In letzter Verzweiflung hätte er eher sich selbst umgebracht. Niemals hätte er auch Bobby geopfert. Sie konnte schon wieder klarer denken.
Da sah sie eine schattenhafte Gestalt herumschleichen.
Zuerst dachte sie, es wäre Seppi, aber dann konnte sie erkennen, dass die Gestalt größer, breiter war. Aber dann war sie auch schon wieder, wie ein Geist in Schwarz, verschwunden.
»Ich kann nicht mehr schlafen«, sagte Marilli.
»Dann mache ich einen Kaffee«, erklärte sich Annelore sofort bereit.
»Es riecht überall verbrannt«, klagte Marilli. »Meinst du, dass Papa das noch mal aufbauen wird?«
»Nein«, erwiderte Annelore wortkarg. »Es wird lange dauern, bis die Versicherung zahlt, und um Darlehen wird Papa nicht bitten.« Es wird auch kaum Sinn haben, dachte sie weiter. Alle wollten ihm doch einreden zu verkaufen. Aber warum? Gewiss, es entstand tagsüber einiger Lärm durch die Sägen, aber man brauchte nicht jene Verschmutzung zu fürchten, die andere Industriebetriebe oder gar der Autoverkehr verursachen.
Sie waren hier aufgewachsen und mit den üblichen Geräuschen vertraut, und die Wohnsiedlung, die jetzt seit etwas mehr als einem Jahr fertiggestellt und bewohnt wurde, lag nicht so nahe, dass die Geräusche tatsächlich so sehr stören konnten, wie manche wohl behaupten mochten. Annelore hatte schon viel darüber nachgedacht, besonders, wenn Fritz Kienbaum über solche Beanstandungen mit dem Vater gesprochen hatte.
Kienbaum! Annelore konnte ihn nicht leiden, aber er gehörte nun mal zu den einflussreichen Leuten hier, und er hatte so viel Geld, dass Berthold Marl geradezu ehrfürchtig zu ihm aufblickte.
Viele Gedanken kreisten hinter ihrer glatten Stirn, als sie mit Marilli am Frühstückstisch saß. Die Natur verlangte ihr Recht.
Sie hatten Hunger, da sie am Abend nichts gegessen hatten.
»Ich kann ja von der Schule abgehen und eine Stellung annehmen«, sagte Marilli.
»Nein, das wirst du nicht. Was für eine Stellung denn schon? Es gibt so viele Leute, die eine Stellung suchen.«
»Hausmädchen werden gut bezahlt, schau mal in die Zeitung«, sagte Marilli.
»Als wenn du Talent zum Hausmädchen hättest! Du kannst ja nicht mal dein Zimmer in Ordnung halten«, sagte Annelore. »Ich meine es nicht böse, Marilli, aber den Zahn kannst du dir ziehen lassen.«
»Wenn ich schon so alt wäre wie du, würde ich einen reichen Mann heiraten, der die Karre aus dem Dreck zieht.«
»Und die reichen Männer wachsen auf den Bäumen«, meinte Annelore spöttisch. »Und so schön sind wir nun auch wieder nicht, Marilli.«
»Du schon«, sagte die Jüngere. »Der Kienbaum ist doch so hinter dir her, merkst du denn das nicht?«
Annelore erstarrte. »Würdest du mir so was zumuten?«, fragte sie tonlos.
»Wieso nicht? Er sieht doch ganz propper aus, und es ist immer noch besser, als in Armut zu leben.«
»Solche Einstellung hätte ich von dir nicht erwartet«, fauchte Annelore ihre Schwester an.
»War ja nur ein dummer Scherz, Anne«, wurde sie zugleich beschwichtigt. »Ich wollte nur mal wissen, wie du reagierst. Vielleicht hat sich Papa doch etwas davon versprochen, dass Kienbaum bei uns einheiratet.«
Annelore wurde blass. »Das traust du Papa zu?«, fragte sie tonlos.
Marilli zuckte die Schultern. »Meine Güte, Eltern erhoffen sich für ihre Töchter immer eine gute Partie, und wir haben sehr konservative Eltern, Anne. Fauch mich nicht gleich wieder an. Wir haben liebe Eltern, und wir haben sie ja auch lieb, aber irgendwie sind sie im Althergebrachten doch zu sehr verwurzelt. Papa kann mit dem technischen Fortschritt einfach nicht Schritt halten, dazu fehlt uns das Geld. Sag nicht, dass ich zu jung bin, um da mitzureden. Ich denke schon über so was nach, und der Ulli hat auch einen Durchblick. Sein Vater ist schließlich Baustoffhändler. Der weiß, was gebraucht wird, und wie es läuft.«
»Und sie sind schnell reich geworden«, sagte Annelore bitter.
»Meine Güte, verdreh doch nicht die Tatsachen. Ullis Vater ist clever, das gehört heutzutage dazu, wenn man am Drücker bleiben will. Der fällt auch nicht auf solche Schwindler rein wie Papa.«
»Papa ist zu gutmütig und so seriös, dass er das bei anderen auch voraussetzt«, sagte Annelore.
»Und zahlt immer drauf. Meine Güte …«
»Das sagst du jetzt schon zum dritten Mal, Marilli«, fiel ihr Annelore ins Wort. »Reden wir nicht mehr von dem, was nicht mehr zu ändern ist.«
»Jetzt fehlt nur noch, dass sie uns anhängen, das Feuer selbst gelegt zu haben«, ereiferte sich Marilli. Und da kroch ein Frösteln durch Annelores Körper.
»Jedenfalls wird die Versicherung nicht sobald zahlen«, sagte sie tonlos.
*
Das war auch Berthold Marls erster Gedanke, als er am Morgen erwachte. Bobby war schon von seinem Stöhnen geweckt worden, und er wusste gar nicht, wo er sich befand und meinte, einen bösen Traum gehabt zu haben. Aber es war Wirklichkeit, das wurde ihm jäh bewusst, als er den Kopfverband beim Vater sah.
»Bobby, was ist?«, murmelte der Kranke.
»Ich bin schon wieder okay, Papa. Reg dich nicht auf.«
»Wir sind am Ende. Was ist mit dem Haus?«
»Es steht.«
»Und die Mädchen, Kasper und Burgl?«
»Nichts passiert«, erwiderte Bobby rau.
»Wer ist es gewesen?«
»Ich weiß es nicht, Papa.«
»Du musst dich darum kümmern. Zum Teufel, warum kann ich mich nicht rühren?«
»Weil du allerhand abbekommen hast. Aber Mama darf das nicht erfahren.«
Der Neunzehnjährige wuchs über sich hinaus. Ganz ruhig und besonnen war er jetzt. »Ich geh jetzt nach Hause, Papa. Es muss ja allerhand geregelt werden.«
»Die paar tausend Euro, die wir noch haben, werden nicht lange reichen, Bobby.«
»Mach dir jetzt darüber keine Gedanken, Papa.«
»Sprich doch mal mit Kienbaum. Jetzt, wo alles weg ist, braucht ja nichts mehr abgerissen zu werden.«
»Was meinst du,