Slumlords. Alexander Broicher
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Es duftete appetitlich nach Kuchen, der im Ofen aufgewärmt wird, als ich die Wohnung betrat. Mein Vater nahm mich in Empfang, da er meiner Mutter untersagte, die Tür zu öffnen. Aus Sicherheitsgründen. Hinter mir wurde sofort mit drei schweren Riegeln wieder dicht gemacht. Solche Maßnahmen waren hier schon in den Achtziger Jahren normal. Trotz der Schlösser wirkte meine Mutter blass im Gesicht. Ich drückte sie und überreichte ihr die Blumen. »Alles okay bei dir?«
Sie winkte zu eilig ab. Um mich nicht zu beunruhigen. Das deutlichste Zeichen, dass was faul war. »Mach dir keine Sorgen«, spielte sie es runter. Worauf ich begann, mir Sorgen zu machen.
Mein Vater hatte nur Augen für die Whiskyflasche. Er musterte sie wie edlen Bernstein. Schraubte sie auf und schnüffelte am offenen Hals. Dann sah er mich dankbar an. »Diesen guten Geschmack hat dir bestimmt eine Frau beigebracht, oder?«, mutmaßte er.
»Wie du weißt, habe ich beruflich mit Alkohol zu tun«, erinnerte ich ihn an meine offizielle berufliche Existenz als Teilhaber einer Cocktailbar.
»Hast du denn eine Freundin?« Mein Vater erkundigte sich vordergründig höflich, starrte mich aber an wie bei einem Polizeiverhör. Dieser beschauliche Familienkreis schien mir nicht der passende Rahmen, zuzugestehen, dass ich vor allem Kokshuren und Apartmentnutten bumste.
»Nichts Festes.« So wich ich meinen Eltern genauso aus wie sie mir. Ein Wecker klingelte in der Küche.
»Ah, der Pflaumenstreusel!« Meine Mutter hob es aus dem Sessel. Sie flitzte zum Backofen wie eine 15-Jährige zum ersten Date. Eine schwere Krankheit plagte sie wohl eher nicht. Ich hörte wie sie das Blech auf den Herd packte.
»Ist mit ihr alles in Ordnung?«, flüsterte ich meinem Vater zu.
»Sie hat es wieder ein wenig mit den Nerven. Nimmt aber Tabletten.«
Fast hätte ich ihm aus Fürsorge angeboten, ihr amerikanische Pillen zu besorgen. Die waren hier zwar illegal, aber ich konnte die locker an den Start kriegen. Doch meine Mutter kredenzte mir schon ein warmes Stück von meinem Lieblingskuchen. Mit Sahnehäubchen am Tellerrand, woran man merkte, dass sie früher in einem Café gearbeitet hatte. Essen wollte sie heute nichts. Wegen Magenproblemen.
Draußen ging ein Böller hoch. Ein Kanonenschlag. Wir waren im sechsten Stock, hatten die Fenster geschlossen, aber der Knall kam bei uns an, als wäre das Ding im Badezimmer explodiert. Meine Mutter zuckte vor Schreck zusammen. Mein Vater reagierte nicht. So was gehörte hier zum Alltag wie ein vollgepisster Fahrstuhl.
»Wie geht es Hansi?«, fragte ich nach dem Schulfreund meines alten Herren, der im Block gegenüber wohnte.
»Hat Liebeskummer«, hielt er mich knapp.
»Seine jugoslawische Freundin hat ihn sitzen lassen«, fügte meine Mutter hinzu. Ich war mal wieder erstaunt, dass ein langzeitarbeitsloser Alkoholiker wie Hansi trotzdem immer noch eine abkriegte. Aber menschlich war er schon schwer in Ordnung.
»Dein türkischer Kumpel war neulich mal hier«, teilte mir mein Vater mit.
»Hakan?«
»Genau. Na, der Vogel sieht ja auch nicht gerade gesund aus.«
»Ach, der kifft nur zu viel und geht zu wenig an die frische Luft. Was wollte er denn?«
»Brauchte 20 Euro. Hab ich ihm gegeben.«
Ich nickte und griff in meine Jackentasche. Ich nahm einen Zwanziger aus dem Portemonnaie und legte ihn auf den Tisch. Meine Eltern hatten es nicht dicke, und ich würde es bei Hakan auf die Rechnung schreiben.
»Hat er gesagt, wo er sich rumtreibt?«
Mein Vater schüttelte den Kopf. Und steckte sich den Schein ein.
Dann musste ich aufbrechen. Hatte noch Kundschaft. In einer Unternehmensberatung in Sachsenhausen. Mutter packte mir fast den ganzen Rest des Supermarktkuchens in einen unbenutzten Pizzakarton, den sie wahrscheinlich für genau solche Fälle parat hatte. Ihre Haushaltsorganisation war umsichtiger als die meisten Staatshaushalte aufgestellt. »Ich melde mich die Tage«, versprach ich an der Wohnungstür und drückte meine Mutter. Meinem Vater schüttelte ich die Hand.
Mein SUV stand mit unzerstochenen Reifen nicht aufgebrochen auf der Tankstelle. Er war tatsächlich fahrtüchtig. Ich packte die Schachtel auf den Rücksitz und fuhr zu einer Controllerin, die ihren Geburtstag feierte. Eine aparte Blondine aus dem Rheinland, die ich gerne mal flachlegen würde und die heute 35 wurde, wie mir die Zahl auf der Torte verriet. Die Lady trug einen engen schwarzen Rock, der ihr bis kurz vor die Knie ging. Sie grinste gierig, als ich ihr zwei Gramm überreichte. Ich wollte ihr gerade anbieten, sie als nachträgliches Geschenk zum Essen einzuladen, aber sie ließ mich stehen, um mit den Briefchen eilig aufs Klo zu verschwinden. Wahrscheinlich vögelte sie lieber wohlhabende Bosse von börsennotierten Konzernen? Zum Trost griff ich mir einen Pappteller und packte ihn am Buffet voll mit geräuchertem Lachs, eingelegten Paprikastreifen, gebratenen Auberginen und Baguette mit Kräuterbutter. Ich fraß das Zeugs im Auto, weil ich keinen Bock auf eine Party hatte, auf der nur Yuppies waren und alle blöd rumstanden. Als Nachtisch zog ich eine Line von der schwarzen Member Card eines Nightclubs.
Angeballert fiel mir Hakan ein. Was hatte die Schlampe bei meiner Familie zu suchen? Und sie auch noch anzubetteln! Der Kerl regte mich auf. Vollgefressen mit teuren Häppchen und dem trommelnden Pulver im Hirn, kriegte ich das Kotzen. Dass meine Eltern immer noch in diesem Scheißhaufen lebten. Und die Asozialen gab es da schon immer. In meiner Schulzeit kamen Klassenkameraden mit blauen Flecken oder aufgeplatzten Lippen in die Schule, weil ihnen der dauerbesoffene Vater eine mit der Faust reingehauen oder die hysterische Mutter bei der Ohrfeige mit ihren langen Fingernägeln die Wange blutig gekratzt hatte. Solche Wunden waren damals in der Gegend ein normaler Anblick. Aber es gab auch Eltern, denen es hinterher peinlich war, und dann mussten die Kids vor den Lehrern seltsame Ausreden erzählen. Dass sie mit dem Fahrrad hingefallen waren oder von einer Türkengang verkloppt wurden.
Viele Jahre später las ich, dass häusliche Gewalt gegen Kinder in Unterschichtenfamilien sieben Mal so häufig vorkam wie in bürgerlichen Elternhäusern. Bei den Reichen wurde mit Prügel nur gedroht, während im Ghetto wirklich zugeschlagen wurde. Das war der Unterschied. Plötzlich fiel mir ein, dass mir ein Rentner mal eine geklebt hatte, weil ich mit einem schwarzen Filzstift eine Bushaltestelle beschmierte. Ich muss etwa 13 gewesen sein. Ich schlug ihm als Antwort seine dicke Hornbrille aus dem Gesicht. Sie knallte auf den Bürgersteig und ging kaputt. Dann lief ich weg. Weil ich Schiss hatte, dass meine Eltern die teuren Gläser würden bezahlen müssen.
Jetzt hockte ich in einem Panzer, der mich das Doppelte von dem gekostet hatte, was Vater und Mutter im Jahr als Rente bezogen. Während sie bei Discountern einkauften, um über den Monat zu kommen, stopfte ich mir feines Finger-food rein, ohne dafür einen einzigen Cent zu blechen. Jedes Gramm Kokain, das ich zog, war kostspieliger als die Lieblingshose meiner lieben Mutter. Um eine Stunde eine Apartmentnutte lecken und ficken zu dürfen, legte ich mehr Geld auf den Tisch als an den Geburtstagen der beiden Menschen, die mich auf diese Welt gebracht und großgezogen hatten. Niemals hatten sie auch nur ansatzweise ihre Hand gegen mich erhoben. Ich gehörte zu den privilegierten Kindern in dem