Frau Jenny Treibel. Theodor Fontane

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Frau Jenny Treibel - Theodor Fontane

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in der Köpenicker Straße26, dieses „Musterstück von einer Bourgeoise“, diese „furchtbare Frau“? Sie gehört zu der üblen Spezies der Emporkömmlinge, die ihre bescheidene Vergangenheit durch verstärktes Pochen auf den Geldsack, durch doppelten Hochmut gegenüber allen Nichtbesitzenden wettzumachen suchen. Und sie, die berechnend und geizig und nur auf Äußerlichkeiten eingestellt ist, die „immer die Fäden in der Hand hat“, alles bestimmen will in Haus und Familie, die jede eigene Initiative bei dem Schwächling von Sohn lähmt — sie liebt es, das alles zu verbrämen mit einer peinlichen Sentimentalität, die sie in rührseligen Reminiszenzen und Liedchen, in platonischer Sehnsucht nach „einfachen Verhältnissen“ schwelgen lässt; bei jeder Gelegenheit verfügt sie über einen „Flimmer im Auge“, eine „Stehträne“. Sie entspricht dem Typ, von dem oben gesprochen wurde; es kommt ihr nicht darauf an, zu behaupten, dass sie als Gattin des Professors Willibald Schmidt wahrscheinlich glücklicher geworden wäre als an der Seite ihres Treibel, obwohl ihr klar sein muss, dass der, dem sie das sagt, eben jener Professor Schmidt, genau weiß, wie es in Wirklichkeit zugegangen ist, dass die jetzige Kommerzienrätin Treibel mit Villa und Equipage in dem Mädchen aus dem Apfelsinenladen von einst schon vorgebildet war. Und ihr „Herz für das Poetische“ wird denn auch in dem Augenblick zu dem „Kiesel, den die Geldleute hier links haben“, als die Tochter des Mannes, mit dem sie soeben noch in gefühlvollen Erinnerungen sich ergangen hat, durch die Verlobung mit dem Sohn in ihren Bezirk eindringen will. Da ist nichts mehr von Wohlwollen und „Poesie“; über Nacht ist die bisher begönnerte Corinna zu einer „Person“ geworden, ihr Benehmen ein „Skandal“, ist es „das alte Lied von Undank“. Und resolut macht sie sich ans Werk, der peinlichen Verwechslung von Theorie und Wirklichkeit ein Ende zu bereiten.––

      Neben ihr erscheint der Mann, der „Berlinerblaufabrikant mit einem Ratstitel“, dem es nicht gelingen will, Generalkonsul oder „Geheimer“ Kommerzienrat zu werden, obwohl er zu den „geachtetsten Berliner Industriellen“ zählt, zunächst sympathischer, schon weil ihm die falsche Romantik abgeht. Aber auch der alte Treibel, der absolut an den „Ufern der wendischen Spree“ als Vertreter einer neuen Partei mit nebelhaften Zielen „Singer27 oder einen anderen von der Couleur28“, d. h. einen Sozialdemokraten, beiseiteschieben möchte, als „Bürger und Patriot“, und der sich dazu der Hilfe des Leutnants a. D.29 Vogelsang, eines obskuren Ehrenmannes, der in manchem als vorweggenommener Nazi erscheint, bedient, freilich ohne Erfolg — auch der joviale und auch äußerlich nüchterne alte Treibel kann nicht über seinen Schatten springen, bleibt, was er ist. „Und konnte es anders sein? Der gute Treibel, er war doch auch seinerseits das Produkt dreier im Fabrikbetrieb immer reicher gewordenen Generationen, und aller guten Geistes- und Herzensanlagen ungeachtet und trotz seines politischen Gastspiels auf der Bühne Teupitz-Zossen30 — der Bourgeois steckte ihm wie seiner sentimentalen Frau tief im Geblüt.“

      Wie steht es nun mit den Gegenspielern des Paares? Corinna Schmidt, mit ihren 25 nach den Begriffen der Zeit schon nahe am „späten Mädchen“, aber klug und eine „aparte31“ Person, hat den „Hang nach Wohlleben, der jetzt alle Welt beherrscht“, sie kennt die kleinen Verhältnisse zu gut, um dafür zu schwärmen und sie hat ihr „bestimmtes Ziel“, nämlich aus diesen Verhältnissen herauszukommen — um dann freilich, nicht zuletzt unter dem Einfluss der braven, von Fontane prächtig gezeichneten Wirtschafterin und Schutzmannswitwe Schmolke, einzusehen, dass dieses Ziel durch eine erzwungene Ehe mit der „Suse“ Leopold Treibel nicht zu erreichen ist und, wenn auch mit einiger Resignation, den Vetter und Jugendkameraden, den Oberlehrer Marcell Wedderkopp, zu heiraten. Der eigentliche Gegenspieler Jenny Treibels aber ist der Vater Willibald Schmidt, Professor am Großen Kurfürsten-Gymnasium. Mit ihm hat schon das „halbwachsen Ding mit kastanienbraunen Locken“ seinen Mutwillen getrieben, um dem Lehramtskandidaten mit den bescheidenen Aussichten dann den ungleich mehr versprechenden Treibel vorzuziehen; mit ihm spielt die bald 60jährige nach vierzig Jahren noch das alte Spiel, bis es gilt, Farbe zu bekennen, bis aus dem Jonglieren mit Gefühlen in ihrem ureigensten Bezirk Wirklichkeit zu werden droht. Da ist ihre Demaskierung eine vollständige. Angesichts der brutalen Art und Weise aber wie die „alte Freundin“ diese Demaskierung vornimmt, wie sie die bourgeoise Devise „Gold ist Trumpf und weiter nichts“ gegen ihn und die Tochter kehrt, wie sie die Kluft zwischen den Treibelschen Millionen und einem Gymnasialprofessor aufreißt, bricht Schmidt in die Worte aus: „Corinna, wenn ich nicht Professor wäre, so würd ich am Ende Sozialdemokrat.“ Und die hinzukommende Schmolke, die nur das Letzte gehört hat, bestätigt: „Ja, das hat Schmolke auch immer gesagt.“ Dabei hatte der selige Schmolke im 1. Garderegiment in Potsdam gedient. Hier ist ohne Zweifel der Höhepunkt des Romans. Denn wie aufreizend mussten Herrschaft und Gebaren dieser Bourgeoisie erst auf die Arbeiter wirken, wenn sogar der loyale Schulmann und der altgediente Unteroffizier, beide doch „Säulen“ des preußischen Staates, zu einer solchen Erkenntnis kamen! Sie bleibt freilich theoretisch; Schmidt zieht die Konsequenzen nicht, kann sie nicht ziehen. Denn er ist und bleibt der Professor Schmidt, dessen Vater ein mit dem Roten Adler-Orden vierter Güte geschmückter Rechnungsrat war, und der selbst mit seinen altphilologischen Interessen dem wirklichen Leben viel zu fern steht, im alten Troja und Mykenä mehr zu Hause ist als in Berlin. Und so wenig er sonst mit Schmidt, dem Freund „großer Sätze“, gemeinsam bat — ähnlich war es wohl auch mit Fontane. Auch seiner Er- und Verbitterung über die „Treibelei“ aller Art, über die brutale bourgeoise Oberhebung, die er mit ansah und die auch ihm, mindestens gelegentlich, zu verstehen gab, dass er nur ein Habenichts war, ist in diesem Ausbruch Schmidts beschlossen. Auch er wäre wohl „am Ende“ Sozialdemokrat geworden — wenn, ja wenn er eben nicht Fontane gewesen wäre, der Fontane der Balladen und der „Wanderungen“, des Friedrich-, Seydlitz-, Louis Ferdinand- usw. Kultes, auch er in seiner Weise eine Säule, ein altgedienter Fahnenträger des alten Preußen, auch wenn er es dann und wann „entsetzlich“ fand — und wenn er weiter nicht jeder entschiedenen Stellungnahme so abhold, wenn er nicht so ausgesprochen „für Frieden und Kompromisse“ gewesen wäre, und sei es auf Kosten besserer, innerer Erkenntnis, ein so abgesagter Feind der peinlichen Menschen, die alles zur „Gesinnungssache“ machten, im Leben. Eben: wenn…

      Ch. Coler

      I.

      An einem der letzten Maitage, das Wetter war schon sommerlich, bog ein zurückgeschlagener Landauer vom Spittelmarkt her in die Kur- und dann in die Adlerstraße32 ein und hielt gleich danach vor einem, trotz seiner Front von nur fünf Fenstern, ziemlich ansehnlichen, im Übrigen aber altmodischen Hause, dem ein neuer, gelbbrauner Ölfarbenanstrich wohl etwas mehr Sauberkeit, aber keine Spur von gesteigerter Schönheit gegeben hatte, beinahe das Gegenteil. Im Fond des Wagens saßen zwei Damen mit einem Bologneserhündchen, das sich der hell und warm scheinenden Sonne zu freuen schien. Die links sitzende Dame von etwa dreißig, augenscheinlich eine Erzieherin oder Gesellschafterin, öffnete von ihrem Platz aus zunächst den Wagenschlag und war dann der anderen, mit Geschmack und Sorglichkeit gekleideten und trotz ihrer hohen Fünfzig noch sehr gut aussehenden Dame beim Aussteigen behilflich. Gleich danach aber nahm die Gesellschafterin ihren Platz wieder ein, während die ältere Dame auf eine Vortreppe zuschritt und nach Passieren derselben in den Hausflur eintrat. Von diesem aus stieg sie, so schnell ihre Korpulenz es zuließ, eine Holzstiege mit abgelaufenen Stufen hinauf, unten von sehr wenig Licht, weiter oben aber von einer schweren Luft umgeben, die man füglich als eine Doppelluft bezeichnen konnte. Gerade der Stelle gegenüber, wo die Treppe mündete, befand sich eine Entreetür33 mit Guckloch, und neben diesem ein grünes, knitteriges Blechschild, darauf „Professor Willibald Schmidt“ ziemlich undeutlich zu lesen war. Die ein wenig asthmatische Dame fühlte zunächst das Bedürfnis, sich auszuruhen, und musterte bei der Gelegenheit den ihr übrigens von langer Zeit her bekannten Vorflur, der vier gelbgestrichene Wände mit etlichen Haken und Riegeln und dazwischen einen hölzernen Halbmond zum Bürsten und Ausklopfen der Röcke zeigte. Dazu wehte, der ganzen Atmosphäre auch hier den Charakter gebend, von einem nach hinten zu führenden Korridor her ein sonderbarer Küchengeruch heran, der, wenn nicht alles täuschte, nur auf Rührkartoffeln und Karbonade34 gedeutet werden konnte, beides mit Seifenwrasen untermischt. „Also kleine Wäsche,“ sagte die von dem

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