Und die Titanic fährt doch. Ulrich Land
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Ich hab‘ Kohldampf, Leute, ich brauch was zu essen!
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Das waren noch andere Zeiten. Ganz andere. Wie wir – tja, wann war das? Drei Tage nach dem Stapellauf und acht Tage vorm Auslauftermin, müsste es also am zweiten gewesen sein, 2. April, ja, im North Channel, Belfast war fast die ganze Zeit in Sichtweite –, wie wir also die offizielle Probefahrt absolvierten. Acht Stunden waren dafür angesetzt, acht Stunden und keine Minute mehr! Kärglich, gradezu lächerlich knapp bemessen fürs Überprüfen von Tausenden von Maschinen, Apparaten, Stationen, Schaltstellen und Knotenpunkten, sowohl einzeln als auch im zuverlässigen Zusammenspiel. Wie wollte man allen Ernstes in acht Stunden das größte Schiff der Welt in allen entscheidenden Details auf Funktionstüchtigkeit, Betriebssicherheit, auf Herz und auf Nieren prüfen?! Ein Witz!
Aber alle waren sich vollkommen sicher, dass Kontrolle und Übergabe so was von reibungslos über die Bühne gehen würden, nachdem ja schon Monate vor der Inbetriebnahme die gesamte Fachpresse euphorische Lobgesänge auf die gigantischen Dimensionen, den Fahr- und Reisekomfort und grade auch auf die den üblichen Standards genügende Sicherheitstechnik angestimmt hatte. Fünfzehn Schotten inklusive zwölf bei einströmendem Wasser automatisch schließender Schutztüren auf dem Tank-Top-Deck trennen den Dampfer in sechzehn wasserdichte Abteilungen – was will man mehr! Immerhin garantiert diese Konstruktion den Zwei-Kammern-Standard, also die Tatsache, dass bei Flutung von zwei nebeneinanderliegenden, in etlichen Fällen sogar von drei nebeneinanderliegenden Rumpfkammern die Schwimmfähigkeit nicht gefährdet ist. Ein Standard, den die Titanic, wie die Konstrukteure gebetsmühlenartig immer wieder beteuerten, um ein Mehrfaches überflügle. Und damit nicht genug: Im Heckbereich würde uns das Wasser selbst dann noch nur bis Oberkante Unterlippe stehn, wenn die hintersten vier Abteilungen vollgelaufen sind. Zumindest würden wir uns etliche Stunden über Wasser halten und Passagiere und Mannschaften geordnet evakuieren können. Sofern nicht auch noch Sturm dazukommt.
Im Übrigen bestehen die Schotten aus dreieinhalb bis sechs Zentimeter dicken Stahlplatten und die Kammerwände und Türsysteme sind auf eine Notfallbelastung von vierzehnhundert Zentnern Druck pro Quadratmeter ausgelegt. Kann doch einfach nur halten! Außerdem, ich meine, wir hatten ja alle dieses grandiose Vorbild vor Augen: unsere Olympic. Fast baugleich und seit einem Dreivierteljahr auf See unterwegs. Und mit allen Wassern gewaschen. Immerhin war sie bereits bei ihren ersten Fahrten vom Pech verfolgt: Zuerst verliert sie ein Schraubenblatt, und dann, letztes Jahr im September, kollidiert sie mit dem Kreuzer Hawke. Die anschließende dreimonatige Reparatur hat ja auch die Fertigstellung der Titanic verzögert. Aber bei all dem zeigte sich doch immer: Die Olympic hält und schwimmt! Also müssen beim Schwesterschiff acht Stunden ja wohl satt und genug sein, um die Controllettis und uns von der Seetauglichkeit des Nachens zu überzeugen.
In Wahrheit war in der Kürze der Zeit, wie gesagt, ein gründliches Austesten der Manövrierfähigkeit, geschweige denn des Verhaltens der Maschinen unter Volllast überhaupt nicht zu machen. Und um mal wenigstens ein Manöver ansatzweise durchzuführen, gab der Alte den Befehl, ein paar wenige Rettungsboote auszuschwingen. Grade man zwei davon wurden sozusagen spaßeshalber mit einer Hand voll Leute besetzt und bis knapp über die Wasseroberfläche abgefiert. Kein Feuerlöschmanöver, kein Bootsmanöver! Warum auch? Man hatte ja die Bootszertifikate der Werft. Musste Sicherheit genug sein. Gut nur, dass die Rettungsboote bei unserer Havarie gestern nicht wirklich zum Einsatz kamen und ihre erste Bewährungsprobe nicht gleich im Ernstfall bestehen mussten.
Es gibt jedenfalls kein Vertun: Ein ausgewachsenes Rettungsmanöver mit der gesamten Besatzung auf offener See wäre absolut unerlässlich gewesen. Wie bei andern Schiffen dieser Größenordnung auch hätte eine Seeerprobung von vier bis sechs Tagen angestanden. Und nicht so ein Acht-Stunden-Durchmarsch im Hochgalopp. Und eigentlich hätten, schon um den üblichen Gepflogenheiten Genüge zu tun, Harland & Wolff vor der Übergabe und White Star vor der Übernahme unangekündigte, mindestens stichprobenartige Zusatzprüfungen durchführen müssen, um den Leuten – vom ersten Ingenieur bis zum letzten Schweißer – auf die Finger zu gucken. Aber nichts da. Handelte sich schließlich um das Nonplusultra der Schiffsbaukunst.
Und ich hab‘ damals ja auch die Schnauze nicht aufgemacht. Auch ich war todsicher, dass die Titanic todsicher ist. Und wie‘s aussieht, nach dem Klatsch vor den Eisberg, stimmt‘s ja auch. Zumindest gibt es zunächst mal, zunächst mal keinen Grund, vom Gegenteil auszugehn. Selbst nach dieser schweren Frontalkollision liegt sie ja noch einigermaßen im Wasser, dümpelt zwar wie eine kopflastige Weihnachtsgans, aber kommt vorwärts.
Ich war mir jedenfalls an diesem 2. April todsicher. Bis zu jenem Zeitpunkt, als wir – aber das war dann schon nach dem offiziellen Teil der Prüfung; Smith, Ismay und die andern hohen Herren waren schon abgezogen, um ihr wohlverdientes Arbeitsessen einzunehmen –, als Lightoller, Andrews und ich uns noch einmal in den Schiffsbauch begaben. Und Andrews als Chefkonstrukteur wies uns mit stolzgeschwellter Brust darauf hin, dass man es sich sogar habe leisten können, mittschiffs und vorschiffs teilweise auf Vollschotten zu verzichten. Was selbstredend eine nicht unerhebliche Kostenersparnis eingebracht habe.
»Da vorne zum Beispiel«, schwärmte er, »vor allem die Schotten zwischen den Kesselräumen mussten nicht ganz bis oben zum Hauptdeck hochgezogen werden. Und sind trotzdem sicher! Und grade für die Erste-Klasse-Passagiere – im Kabinentrakt, der Empfangshalle und ihrem Speisesaal – konnten wir auf diese Weise erreichen, dass sie nicht am weit ausholenden Defilieren gehindert werden.«
Lightoller und ich nickten begeistert. Und Andrews war in seinem Element. Er lotste uns zu den Frachträumen ganz unten zwischen Vorpiek und Kesselraum 6 und zeigte uns, dass nachträglich – also über die ursprünglichen Baupläne hinaus – unter Frachtraum 2 und 3, direkt überm Doppelboden, ein Betriebsgang eingezogen worden war, der sogenannte Heizertunnel.
»Eine gravierende Verbesserung gegenüber der Olympic«, wie Andrews betonte, »denn so können die Heizer, die Kohlenzieher, die Schmierer, was für Dreckspatzen auch immer, von den Passagieren ungesehen von ihren Logis im Vorschiff zum Einsatzort in den Kesselräumen gelangen. Und vor allem zurück. Schmuddelig, wie sie sind.«
»Aber«, fragte Lightoller erstaunt, »aber geht der Heizertunnel dann nicht durch mindestens zwei Rumpfkammern? Wie vereinbart sich das denn dann mit der Abschottung?«
Andrews winkte lässig ab und verwies darauf, dass der ganze Bugbereich ja eh so stabil sei, dass im Falle eines Falles mehrere Abteilungen gleichzeitig ordentlich Wasser schlucken könnten, ohne dass das Schiff davon Magenschmerzen bekäme.
Als ich nach dem nun also doch noch lang gewordenen Tag von Bord ging, verspürte ich trotzdem ein diffuses Grummeln in der Magengegend. Verzicht auf Vollschotten in zentralen Bereichen des Rumpfes? Ein Heizertunnel, der nicht bündig ans Schottenverschlusssystem gekoppelt war?
Es ließ mir keine Ruhe, und als ich mir zwei Tage später ein Herz fasste und Smith darauf ansprach, bedeutete mir dieser, er wisse selbstverständlich um diesen Umstand. Aber die Abnahme sei ja nun durch, ohne Beanstandungen, und er habe jüngst noch mal diesen Artikel nachgelesen, dort stehe es schwarz auf weiß: Die Titanic sei unsinkbar. Also. Oder wolle er, Murdoch, es den Erste-Klasse-Reisenden zumuten, dass ihnen bei jedem Schichtwechsel die schweißverklebten, schwarzverrußten Leiber der Heizer übern Weg laufen, wenn diese nach getaner Tat zu ihren Kojen zurückkriechen!
Ich zeigte mich beruhigt. Ob ich wirklich beruhigt war, weiß ich nicht genau. Jedenfalls schwieg ich. Und irgendwann bei der ganzen Aufregung um den bevorstehenden Aufbruch zur Jungfernfahrt vergaß ich die Sache wohl auch. Schob