Herzenssache. Leonardo Boff

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Herzenssache - Leonardo Boff

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haben es bei der Demokratie mit einem offenen, sich stets im Aufbau befindlichen Entwurf zu tun, der innerhalb der familiären Beziehungen, der Beziehungen in der Schule, in der Gemeinde, in den Vereinen, in den sozialen Bewegungen, in den Kirchengemeinden seinen Ausgang nimmt und schließlich in die Organisation des Staatswesens mündet.

      Das erste „Tischbein“ oder die erste tragende Säule ist die Partizipation (Teilhabe). Der mit Verstand begabte und freie Mensch möchte nicht einfach Nutznießer eines Prozesses sein, sondern Akteur und Teilnehmender. Er möchte das Brot nicht nur in Empfang nehmen. Er möchte dazu beitragen, dass es gebacken wird. Nur so wird er zum Subjekt und zum Bürger. Diese Teilhabe muss von unten ihren Ausgang nehmen, um niemanden auszuschließen.

      Die zweite tragende Säule ist die Gleichheit. Wir leben in einer Welt der Ungleichheit in jeglicher Hinsicht. Ein jeder von uns ist einzigartig und anders. Doch die wachsende Teilhabe an allem verhindert, dass aus Unterschied Ungleichheit wird, und macht eine zunehmende Gleichheit möglich. Es geht um die Gleichheit aller vor dem Gesetz, um die Anerkennung der Würde einer jeden Person und um die Achtung ihrer Rechte. Diese grundlegende Gleichheit ist das tragende Fundament der sozialen Gerechtigkeit. Mit der Gleichheit geht das einher, was einem jeden angemessen ist und zukommt: der adäquate Anteil, den einer für seine Teilhabe am Aufbau des gesellschaftlichen Ganzen erhält.

      Die dritte tragende Säule ist die Andersheit. Sie ist von Natur aus gegeben. Jedes Lebewesen, jede Seinsform und insbesondere der Mensch (Mann und Frau) sind unterschiedlich. Dies muss als die äußere Erscheinung der je eigenen Möglichkeiten von Einzelnen, Gruppen und Kulturen akzeptiert und respektiert werden. Die Unterschiede sind es, die uns offenbar machen, dass wir in vielfacher Weise Mensch sein können und dass eine jede dieser Formen eben menschlich ist und deshalb Respekt und Akzeptanz verdient. Wir können Mensch sein auf afrikanische Art, auf japanische, chinesische Art, auf die Art der Yanomami-Indianer und auf Brasilianisch: ganz unterschiedlich, aber in gleicher Würde.

      Die vierte Säule ist die Gemeinschaft: Der Mensch verfügt über Subjektivität, über die Fähigkeit zur Kommunikation mit seinem inneren Selbst und der Subjektivität der anderen. Er ist das Subjekt von Werten wie Solidarität, Mitleid, Verteidigung der Wehrlosesten und Dialog mit der Natur sowie mit dem Göttlichen. Hier scheint die Spiritualität als jene Dimension des Bewusstseins auf, die bewirkt, dass wir uns selbst als Teil eines Ganzen und als jene Gesamtheit unveräußerlicher Werte empfinden, die unserem persönlichen und gesellschaftlichen Leben sowie dem Universum insgesamt Sinn verleihen.

      Diese vier „Tischbeine“ gehören stets zusammen und halten so den Tisch im Gleichgewicht, das heißt, sie bilden die tragende Grundlage einer echten Demokratie. Sie erzieht uns dazu, Mitgestalter am Aufbau des Gemeinwohls zu sein; in ihrem Namen lernen wir, unsere individuellen Wünsche hintanzustellen zugunsten der Befriedigung der kollektiven Bedürfnisse.

      Diesen Tisch mit vier Beinen gäbe es nicht, wenn er nicht fest auf dem Erdboden stünde. Deshalb wäre auch die Demokratie nicht vollständig, wenn sie nicht die Natur mit einschließt, die alles erst möglich macht. Sie liefert die physikalische, chemische und ökologische Grundlage, die das Leben und jeden Einzelnen von uns trägt.

      Alle Seinsformen sind aufgrund der Tatsache, dass sie einen Wert in sich, unabhängig von ihrem Nutzen für uns, besitzen, Träger von Rechten. Sie verdienen es, weiter zu existieren, und an uns ist es, sie zu respektieren und als unsere Mitbewohner zu begreifen. Sie werden in eine gesellschaftlich-kosmische Demokratie ohne Grenzen mit integriert sein.

      Der Mensch streckt sich in all diese Richtungen aus und verwirklicht sich so innerhalb der Geschichte und in seinem konkreten Leben im Lauf eines Prozesses, der keine Grenzen kennt.

      Der Übergang von den höheren Primaten zu uns Menschen ist geheimnisvoll und evolutionsgeschichtlich schwer zu rekonstruieren. Doch es gibt Hinweise darauf, dass sich vor sieben Millionen Jahren ausgehend von einem gemeinsamen Vorfahren langsam und schrittweise die Trennung zwischen höheren Affenarten und den Hominiden vollzogen hat.

      Ethnobiologen und Archäologen weisen uns auf ein einzigartiges Faktum hin. Wenn unsere Vorfahren, die Anthropoiden, auszogen, um Früchte und Samen zu sammeln oder zu jagen und zu fischen, aßen sie nicht jeder für sich. Sie nahmen die Nahrungsmittel und brachten sie zur Gruppe, der sie angehörten. Und dort praktizierten sie Tischgemeinschaft, das heißt: Sie teilten die Lebensmittel miteinander und aßen sie in Gemeinschaft. Diese Tischgemeinschaft ermöglichte den Sprung vom Dasein als Tier in Richtung Menschsein. Dieser kleine Schritt macht schließlich einen entscheidenden Unterschied aus.

      Was uns damals zu Menschen machte, das macht uns auch noch heute zu Menschen. Und wenn diese Tischgemeinschaft nicht vorhanden ist, dann werden wir inhuman, grausam und erbarmungslos. Ist dies nicht – Gott sei’s geklagt – genau die Situation der heutigen Menschheit? Auf der einen Seite gibt es wenige, die praktisch unbegrenzten Zugang zu jeglicher Art von Nahrung haben, und auf der anderen Seite fast eine Milliarde Menschen, die hungern.

      Ein produktives Element der Menschheit, das eng mit der Tischgemeinschaft verknüpft ist, ist die Kochkunst, das heißt die Zubereitung der Nahrungsmittel. Dies beschrieb sehr schön der berühmte Anthropologe Claude Lévi-Strauss, der auch lange Zeit in Brasilien gearbeitet hat. In seinem Buch Das Rohe und das Gekochte zeigt er, dass das Kochen eine wahrhaft universale menschliche Aktivität ist. So wie es keine Gesellschaft ohne Sprache gibt, so gibt es auch keine Gesellschaft, die nicht wenigstens einige ihrer Nahrungsmittel kocht. Die Küche „bezeichnet nicht nur den Übergang von der Natur zur Kultur: Mittels ihrer und durch sie hindurch definiert sich das menschliche Dasein mit all seinen Eigenschaften, sogar solchen, die – wie die Sterblichkeit – am unbestreitbarsten natürlich scheinen könnten“ (Lévi-Strauss 1971, 217).

      Vor 500.000 Jahren lernte der Mensch, Feuer zu machen und es zu beherrschen. Und er begann, die Speisen zu kochen. Das „Herdfeuer“ unterscheidet den Menschen von anderen hoch entwickelten Säugetieren. Der Übergang vom Rohen zum Gekochten wird als einer der Faktoren des Übergangs vom Tier zum zivilisierten Menschen betrachtet. Mit dem Feuer entstand die für jedes Volk, jede Kultur und jede Region typische Kochkunst.

      Es ging dabei niemals nur darum, die Speisen einfach zu kochen, sondern vielmehr darum, ihnen Geschmack zu verleihen. Die verschiedenen „Küchen“ lassen kulturelle Bräuche entstehen, die bei uns oftmals mit bestimmten Festen verbunden sind. Das gilt für den Truthahn zu Weihnachten (in Deutschland eher die Weihnachtsgans), die Schokoladeeier zu Ostern, das Schweinefleisch zu Neujahr,

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