Hausgemeinschaft mit dem Tod. Franziska Steinhauer

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Hausgemeinschaft mit dem Tod - Franziska Steinhauer Mord und Nachschlag

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von einer Sekunde auf die andere war es mit der gelösten Stimmung vorbei – genau in dem Moment, als sie den »Hundemann« hinter sich ließen.

      Das Handy unter seinem Kopfkissen vibrierte.

      Rasch zog er es hervor und floh auf den Flur hinaus.

      »Ja, Sven Lundquist!«

      »Torre Samuelsson. Wir haben die Leiche eines Kindes gefunden. Simone Paulsson. Zwölf Jahre alt. Die Mutter hatte sie am frühen Abend vermisst gemeldet.«

      »Wo?«

      »Einkaufszentrum in Eriksberg, in der Nähe des Carolinen-Carrés. Der Kerl hat sie in einen Einkaufswagen gelegt, wie ein Stück Käse!«, schnaubte der Kollege zornig.

      Schnell schlüpfte der Hauptkommissar in seine Hose, ein Hemd und einen warmen Pullover.

      »Lars? Wir müssen los. Leiche eines 12-jährigen Mädchens!«

      Am anderen Ende der Leitung war lautes Stöhnen zu hören.

      »Mehr weiß ich auch noch nicht. Aber sie war als vermisst gelistet – einen Namen gibt es also schon. Simone Paulsson.«

      »Okay. Ich bin gleich bei dir.«

      Lundquist kochte sich einen Kaffee. Die Entdeckung eines getöteten Kindes war immer eine äußerst emotionale Belastung für die ermittelnden Beamten. Das Opfer war in diesen Fällen völlig schutzlos, unschuldig und ausgeliefert. Für Lars war es das erste Mal seit der Geburt seines eigenen Kindes, dass er mit solch einem Fall konfrontiert wurde. Der Freund würde schnell feststellen, wie das den Blick auf den Fall veränderte, ihn zu einer persönlichen Angelegenheit werden ließ.

      Sven fror.

      Morgen würde die Presse sicher wieder über das Böse spekulieren, dem Täter einen Namen für die Ewigkeit verleihen, wie einen Orden.

      »Das Böse!«, knurrte er. »Das verwenden die Reporter immer dann, wenn ihnen unfassbar erscheint, worüber sie berichten müssen. Unerklärliche Gewalt und Grausamkeit. So, als sei man schicksalhaft ausgeliefert. Vielleicht wissen sie ja nicht, dass sie damit den Täter im Grunde zum willenlosen Opfer des Bösen machen – praktisch unschuldig schuldig.« Und damit auch vor Gericht nicht schuldfähig, setzte er verbittert in Gedanken hinzu.

      Eriksberg. Ein schöner Stadtteil. Zumindest für die, die in den Häuserzeilen wohnten, deren Fenster den Blick auf den Hafen freigaben. Bunte, moderne Fassade, halbhohe Wohnblocks. Meeresfeeling zum Frühstück auf dem Balkon. Die Mieter in den dahinterliegenden Häusern hatten weniger Glück. Sie rochen zwar das Meer, was mal mehr, mal weniger angenehm sein mochte, aber konnten es nicht sehen.

      »Hoffentlich kriegen wir den Kerl schnell!«, murmelte er über der dampfenden Flüssigkeit, trat ans Fenster und sah in die Dunkelheit hinaus.

      Es regnete.

      Schon wieder. Oder etwa immer noch?

      Wenig später sprang er auf den Beifahrersitz eines Familienvans und Lars brauste los.

      »Britta und Ole kommen ins Büro und recherchieren den Hintergrund der Familie«, erklärte Sven. »Oft gibt es in diesen Fällen ein privates Motiv. Bernt hört sich am Tatort um. Es geht nicht immer um Missbrauch oder Vergewaltigung«, setzte er hinzu und fragte sich, ob er damit nicht in erster Linie sich selbst beruhigen wollte.

      Lars grunzte nur unwillig.

      »Ärger?«

      »Der Kleine hat ein bisschen Fieber und quengelt.«

      Dann schwieg er.

      Stierte durch die Scheibe auf die nasse Straße.

      Der Scheibenwischer quietsche.

      Trotz der frühen Stunde hatten sich schon viele Schaulustige hinter der polizeilichen Absperrung versammelt. Einige schwiegen betroffen. Andere tuschelten aufgeregt, stellten erste Mutmaßungen an. Wieder andere ergingen sich stimmgewaltig in allgemeinen Tiraden über den Zustand der schwedischen Gesellschaft im 21. Jahrhundert, den Verfall von Sitte und Anstand.

      Sven kannte das alles von früheren Tatorten.

      »Voyeure!«, knurrte er grimmig.

      Er hielt Ausschau nach Torre Samuelsson.

      »Hier! Ich bin Torre«, winkte ein schlanker, hochgewachsener Kollege verhalten und führte sie hinter einen aufgespannten Sichtschutz.

      »Tja – ungewöhnliche Auffindesituation. Wir haben das Tuch gespannt, um die Gaffer nicht auf ihre Kosten kommen zu lassen. Die fotografieren hier sonst alles mit ihren Handys und stellen die Bilder und Videos sofort ins Netz. Eigentlich sollte man die alle wegen Behinderung der polizeilichen Ermittlungen einsperren!« Torres Gesicht, schmal und vor Erregung gerötet, zeigte deutliche Spuren des Schreckens.

      »Wo liegt das Kind?«

      »Komm!«

      Torre führte sie in eine entlegene Ecke.

      »Er hat das Mädchen in einen Einkaufswagen gelegt. Zusammengerollt wie ein Hündchen.«

      Lundquist zuckte zusammen. Torres Vergleiche waren ihm zu blumig und auf tierische Vergleiche reagierte er heute allergisch.

      Sie hatten den Bereich für die abgestellten Einkaufswagen erreicht.

      Scheinwerfer leuchteten diesen Teil aus.

      »Der Fotograf ist schon fertig. Der Rechtsmediziner kommt gerade. Dr. Jussi Andersson, glaube ich. Dort!« Torres fleischiger Finger deutete auf eine untersetzte drahtige Gestalt, die mit energischem Schritt näher kam.

      Sven nickte.

      Sein Blick kroch über die surreale Szene, die sich ihm bot.

      Hinter sich hörte er Lars kräftig ausatmen.

      Sie war deutlich zu groß für ihr letztes Bett gewesen.

      Der Täter hatte den Körper auf eine rote Fleecedecke gebettet, den Stoff an Ellbogen und Knien etwas hochgezogen, als wolle er verhindern, dass sich der Draht schmerzhaft in ihre Extremitäten drücken konnte. Doch bis zur Stirn hatte die Unterlage nicht gereicht. Sven bemerkte, wie sich das Gewebe der Stirn durch die Gitter quetschte. Blutansammlungen verfärbten bereits die Wange und den Arm, auf dem der Kopf gelegen hatte. Bläulich und geschwollen sah dieser Bereich aus. Er zwang sich, jede Einzelheit zu erfassen, ignorierte das flaue Gefühl in der Magengegend, das ihn an Tatorten regelmäßig überfiel. Die grellen Lampen zerrten jedes Detail gnadenlos deutlich hervor. Die fahle Haut des Mädchens, ihre nackten mageren Beine unter dem bunten Rock, das hochgerutschte T-Shirt über der vollständig entwickelten Brust, die sorgfältig unter dem Kopf gekreuzten Arme, die langen Haare, die seitlich über das Gesicht fielen. Vielleicht hat der Täter sie mit Absicht so drapiert, damit er nicht in die Augen der Kleinen sehen musste, überlegte Lundquist. Hatte er den Mord bedauert, sich seiner Tat wegen geschämt? Hör auf, maßregelte er sich selbst, es ist viel zu früh, darüber Spekulationen anzustellen.

      »Keine Schuhe?«, fragte er dann mit belegter Stimme.

      »Nein.

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