Rotzverdammi!. Reiner Hänsch
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Ja, das kann ich verstehen. Kommen wir also zur nächsten Absonderlichkeit: dem G.
Ist ein Sauerländer zum Beispiel in Finnentrop, einem hübschen, kleinen sauerländischen Städtchen, geboren, so verkündet er dies nach hartnäckigen Nachfragen mit: „aus Finn’ntrop chebürtich“. Rrrichtig. Kein G, wie man es in „gebürtig“ zweimal erwarten sollte, sondern ein CH ertönt an der Stelle, wo eigentlich das G sein sollte. Am Ende sowieso, das machen alle (Könich – Honich – färtich). Aber am Anfang, da ist es etwas ganz Besonderes. G gibt es gar nicht im Sauerländischen, „chibt et char nich’“. Das G ist im Laufe der letzten zehntausend Jahre der sauerländischen Sprachentwicklung wahrscheinlich einfach nicht mehr weiterbearbeitet worden, weil es sich nicht lohnte, und es ist so auf der Stufe eines rauen CH hängengeblieben. Einem CH wie in „doch“ ungefähr. Kratzig. Aber nicht so ganz wie in „doch“, etwas weiter vorne in den Rachen wird es gelegt. Ist eben einfacher so. Aber ein Fluchzeuch fliecht. Vorne kratzt es, hinten nicht - wie in „frrrech“.
Jaaa. Jaaa. So is dat!
Aber so ganz wegfallen soll es dann doch nicht. Wäre ja schade drum, wo es doch nun schon mal da ist. Nein, es wird da eingesetzt, wo wir eigentlich ein fröhliches J haben sollten. Zu schwer? Also, getz hömma chut zu… Wenn der Sauerländer verkünden will, dass zum Beispiel der große Johannes mit der gelben Jacke jetzt gleich zum Jugendgottesdienst geht, heißt das auf Sauerländisch: „Der chroße Gohannes mit der chelben Gacke cheht getz chleich zum Gugendchottesdienst.“ Nicht schlecht, was?
Getz abba!
Das ist nämlich noch lange nicht alles. Sicherlich kennen auch einige von Ihnen den netten kleinen Ort Meschede im Sauerland. Seltsamerweise besinnt sich der Sauerländer bei Worten mit SCH auf jeden einzelnen Buchstaben ganz genau. Er macht sich unverständlicherweise die nicht unerhebliche Mühe und nimmt quasi das S-C-H von Meschede sämtlich in alle seine Einzelteile akribisch auseinander. Er spricht also erstmal das S. Aber nicht ganz so, wie wir es tun, mit der Zunge recht gerade, kurz hinter den leicht geöffneten Zähnen, sondern er biegt die Zungenmitte ein wenig nach oben und bildet einen kleinen Kanal, durch den die Luft strömt, bis es bald schon ein leises Pfeifen wird… Muss man lange für üben.
Lassen Sie’s lieber.
Dann kommt logischerweise das C, und das wird separat und sauerländisch stur ausgesprochen wie ein K! Und das H, naja, das hört man ja nicht.
Also heißt die Stadt Meschede, vom Sauerländer ausgesprochen, „Messkhede“. Auch nicht schlecht, oder? Man muss das aber wissen, sonst kommt die Botschaft des Sauerländers nicht bei uns an. Oder eben nicht richtig an, woll.
Dat sacht er auch cherne, der Sauerländer.
„Woll.“
An allen Ecken und Enden. Meistens an den Enden. Das kann man praktisch an jeden Satz anhängen, wenn man meint, er sei noch nicht lang genug, oder wenn man das Gesagte unterstreichen oder auch in Frage stellen will. Mit einem „woll“ kann man auf jeden Fall nichts falsch machen. „Woll“, manchmal auch in den Sonderformen „wonnich“ oder nur „wo!“, passt immer und sollte man zur Sicherheit auch immer parat haben und auf jeden Fall mal hinten dran hängen, woll?!
Weitere sprachliche Besonderheiten wie der sauerländische Genitiv („meine Frau ihr Auto“) und das an das Englische angelehnte “am Machen sein”, also die berühmte “-ing-Form” („er is chrade am Auto wasskhen, sie is am Essen machen”) seien hier nur am Rande erwähnt.
Und bevor man es am Ende noch vergisst: Es gibt da auch noch den Akkusativus Sauerlandus, der bei direkten Personenbenennungen oder auch meistens bei direkten Beleidigungen angewandt wird, nicht selten in Verbindung mit dem personenbezogenen Dativ: „Jemandem einen … sein“.
Zu schwer? Nein. Passen Sie auf.
Also, zum Beispiel sacht man: „Dä Häbätt, nä, dat is mir ’n dummen Sack, woll!“ Also, bitte merken, ganz wichtig: Er ist mir einen dummen Sack, einen blöden Hund, einen fiesen Doofmann und so weiter. Aber manchmal nich’ nur dä Häbätt.
Ach ja, die Sauerländer, dat sin’ mir so welche…
Abba getz cheht et los!
1
Onkel Willi
„Rotzverdammi!
Dat hat ja chrad nomma chut chechangen.
Wat biss du mir doch ’n dösigen Tuppes, du!
So ’n Heiopei wie du hat mir chrade noch chefehlt.
Dat chibb’s doch char nich’.
Ochottochottochott!“
Das haben Sie nicht verstanden?
Das kann eigentlich kein Mensch verstehen.
Ich aber kenne diese Sprache noch aus einem anderen Leben,
ganz weit weg und ganz, ganz lange her,
als ich selbst noch ein ganz anderer Mensch war.
Tja, so was hört man nur, wenn man sich ganz weit rauswagt. Wie weit bin ich eigentlich schon? Ich stehe mit meinem Wagen mitten auf einer kleinen Dorfstraße. Ganz idyllisch so weit. Rechts und links jeweils ein malerisches, bäuerliches Gehöft mit wuchtigen Sockeln aus grauem Felsgestein, darüber Fachwerk, schwarz-weiß, und dahinter kitschig schöne, hügelige Weiden, Wälder und Äcker. Und direkt vor mir, mitten auf der Straße, zappelt, zetert und flucht ein kleines, runzeliges, grünes Männchen, das dieses vollkommene Bild sehr eigenwillig belebt und dem dieses abenteuerliche Wörtergewusel soeben aus seinem knallroten, furchigen Gesicht gepoltert ist. Nach oben hin wird dieses Gesicht abgerundet durch eine rustikale, grüne, sagen wir mal, agrarwirtschaftliche Kappe mit Schirm. Sozusagen eine Agro-Kappe, denn der kleine, alte Mann ist wütend. Mit seinen dazu farblich fein abgestimmten grünen Gummistiefeln stampft er in seiner Wut mehrfach heftig auf den welligen Asphalt der geflickten Straße und ich sehe ihm an, dass er gleich platzt.
Er ist wütend auf mich.
Jetzt stiefelt er direkt auf mich und mein Auto zu, eine Art Dreizack bedrohlich in der Hand schwingend. Ein riesiger brauner Höllenhund begleitet ihn laut bellend. Ich schließe schnell das Wagenfenster, drücke die Türknöpfe herunter und der alte Mann funkelt mich jetzt durch das hoffentlich sichere Fensterglas sehr, sehr böse an. Weder er noch der Bluthund haben eigentlich einen Grund, so böse zu sein, denn ich habe schließlich meinen Wagen gerade noch rechtzeitig vor den blöden … was sind das da? … Hühnern mit quietschenden Reifen zum Stehen gebracht. So viel Aufregung kann weder ich noch mein Auto vertragen. Wir sind beide Oldtimer.
Ich verrate es Ihnen gerne, ich bin neunundvierzig. Sie erfahren es ja doch. Dieses Jahr ist es aber dann so weit und der unangenehme Fünfzigste droht. Allerdings noch von Weitem, denn jetzt ist erst März und ich habe im Dezember Geburtstag. Kleine Galgenfrist also noch.
Und ich sehe auch, wie ich selbst meine – und deshalb müssen Sie mir auch nicht glauben –, noch ganz ordentlich aus. Immer ein wenig im Kampf mit ein paar überflüssigerweise an der Hüfte angesiedelten Pfunden. Na, und die Haare – immer noch recht lang, aber schon ganz schön grau – weichen unaufhaltsam und unbeirrbar zurück. Der Hinterkopf hat sogar schon eine unverschämte, kreisrunde, kahle Stelle und über der Stirn