Die Wiedergutwerdung der Deutschen. Eike Geisel

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Die Wiedergutwerdung der Deutschen - Eike  Geisel

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behauptete Anteilnahme am Schicksal der irakischen Bevölkerung ist indes nicht so selbstlos, wie sie sich gibt. Diese Sympathie verrät unmissverständlich, dass es sich bei ihr um einen vorausschauenden Rückblick handelt: am Irak soll nicht vollstreckt werden, was den Deutschen bereits widerfahren war. Mit dem beständigen Hinweis der Demonstranten, dass Deutschland aufgrund seiner eigenen Geschichte eine besondere und weltweite Verantwortung für den Frieden habe, soll vor allem eine deutsche Errungenschaft der jüngeren Geschichte vergessen gemacht werden: dass nämlich der einzige deutsche Beitrag zur Zivilisation im 20. Jahrhundert darin besteht, den Krieg als Mittel der Politik eben nicht abgeschafft, sondern im Gegenteil ihn als Sachwalter der Humanität überhaupt erst möglich gemacht zu haben.

      Die Juden Israels gelten als quantité négligeable – bes­tenfalls, oder aber als die eigentlich Schuldigen, wie man es bei Krippendorff nachlesen kann. Er übersetzt die irakische Propaganda in die Sprache der deutschen Betroffenheit. Wenn Saddam Hussein tönt, was die Etikette Krippendorf verbietet, dass nämlich die Juden das Unglück der Araber seien, dann heißt das im Jargon der moralischen Nachrüstung des Antisemitismus: »Das ist der Sturm, zu dem die Politik des Staates Israel den Wind gesät hat. Man stelle sich vor, Israel würde sich noch heute bedingungslos aus den besetzten Gebieten zurückziehen ...«

      Bedingungslos – das hätte er gern. Außerdem müsse die deutsche Friedensbewegung »unzweideutig darauf bestehen, dass die rigide, arrogante, ja ›rassistische‹ israelische Politik einen wesentlichen Anteil an der Popularität des brutalen Saddam Hussein« habe.

      Ähnlich argumentierte vor einem halben Jahrhundert eine andere Bewegung, die unzweideutig darauf bestand, dass die rigiden jüdischen Kaufhausbesitzer einen wesentlichen Anteil an der Popularität des Führers hatten. Der hat ja bekanntlicherweise dann die Kaufhäuser abgeschafft und den Sozialismus eingeführt. Krippendorff setzt, wenn er die Politik Israels qualifiziert, das Adjektiv rassistisch in Anführungszeichen. Was will er damit sagen, wenn er dieses Wort mit Samthandschuhen anfasst, wo er es doch wörtlich meint? Bedauert er, dass die Nürnberger Gesetze nicht mehr gelten, denen zufolge nur Deutsche Rassisten sein durften? Will er den Leser darauf vorbereiten, dass, sollte er künftig einmal mit Anführungszeichen von der »jüdischen Verschwörung« schreiben, diese dann auch wirklich gemeint sei. Tatsächlich sind diese diakritischen Zeichen Signale der Kumpanei zwischen dem Autor und dem Publikum, sie sind Lidschläge eines einvernehmlichen Zwinkerns: wir wissen schon, was gemeint ist.

      In einer 1987 im Spiegel erschienenen Eloge auf die Protestbewegung hatte sich Krippendorff an einer Diagnose versucht, die eher einer Selbstbezichtigung gleichkam: »Die deutsche Sprache, ein sichereres Indiz für veränderte Kultur als alle politische Analyse, ist nicht mehr dieselbe wie noch vor zwanzig oder gar hundert Jahren: Sie ist flexibel, schöpferisch, unbotmäßig, fantasievoll geworden.«

      Vor allem flexibel, so legt sein antiisraelisches Pamphlet in der taz nahe, wenn es um Ursache und Wirkung, und phantasievoll, wenn es um die Wahrheit geht. Im triefigen Mitleidston schreibt er über den »ganz und gar friedlichen, passiven Widerstand der Palästinenser«, als hätten diese nicht schon genug an den Schlägen der Besatzungsmacht zu leiden, sondern auch noch einen Tritt der deutschen Friedensbewegung nötig, mit dem sie, die doch allen Grund haben, nicht mit weißen Armbinden, sondern mit Steinen in der Hand sich zu wehren, auf das Niveau ihrer deutschen Anwälte herabgedrückt werden sollen.

      »Ein Deutscher ist ein Mensch«, notierte Adorno einmal, »der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben.« Krippendorffs Bekenntnis ohne Wenn und Aber zu Israel nimmt sich aus wie das Plädoyer des Advokaten in der »Fledermaus«, der sich dem schlecht vertretenen Klienten gegenüber mit den Worten verteidigt: »Ich wollte Sie nicht beleidigen, sondern verteidigen«. Er hat sich, wie Augstein auch, nur über Kritik von außen geärgert, darüber, dass ein frecher Jude sich in der taz über die Dämlichkeit der Friedensbewegung auslassen durfte. Von einem, der nicht ihren Stallgeruch teilen will, lassen sich Krippendorff und die anderen, »die wir mittendrin stehen«, doch nicht den mühsam erworbenen moralischen Antisemitismus vermiesen. Und wie Augstein so fordert auch Krippendorff die Juden auf, sie sollten gefälligst die besseren Menschen sein.

      Schon 1942 hätten sie diese Ermahnung missachtet, indem sie die Deportationen nicht mit einem Sitzstreik abgewendet hätten, schrieb Krippendorff in der taz zwei Tage, bevor er als Israelexperte debütierte: »Man stelle sich vor, die Kolonne der Hunderte und Tausende auf dem Weg zu den Güterbahnhöfen hätten sich schlicht hingesetzt – hätten Polizei, SA, Wehrmacht und SS es gewagt, im Angesicht aller deutschen Zuschauer diese Menschen zusammenzuschlagen und sie Körper für Körper, widerstandslos und doch mächtig, auf Lastwagen zu verfrachten?«

      Ein einziges jüdisches Teach-In, und Goebbels hätte einpacken können; ein einziges jüdisches Sit-In, und die Deutschen hätten sich in eine Bürgerrechtsbewegung verwandelt. Doch offensichtlich fehlte den Juden die Zivil­courage, die sie gleichzeitig auch noch den Zuschauern ihres Elends beibringen sollten. Weshalb sie also nicht nur an ihrer eigenen Vernichtung schuld, sondern auch für den fehlenden Widerstand bei den Deutschen verantwortlich sind. Zwischen der Diagnose des selbstverschuldeten Massenmords und der Feststellung der »arrogant-heroischen Selbstmordpolitik des Staates Israel« besteht ein innerer Zusammenhang. Beides sind Wunschvorstellungen eines Judenreferenten von heute.

      Die Extreme berühren sich, hieß es einmal. Angesichts des Ineinander von herrschender Meinung und Kritik an ihr, angesichts der Nähe von Augstein und Krippendorff muss es jedoch heißen: was sich berührt, wird extrem.

      1991

       Sein Name ist ein Ärgernis

       Zur Kampagne des deutschen Feuilletons gegen Marcel Reich-Ranicki

      Meine Damen und Herren,

      wären die militärischen Verschwörer vom 20. Juli erfolgreich gewesen und nicht die Alliierten, dann würden wir uns weder heute Abend hier einfinden können, noch gäbe es den Anlass zu dieser Veranstaltung. Es gäbe keine Medienkampagne gegen den Literaturkritiker, und zwar deshalb nicht, weil es Marcel Reich-Ranicki nicht gäbe, jedenfalls nicht in Deutschland.

      Die letzten Juden Europas, derer die Nazis damals noch habhaft werden konnten, wurden gerade in die Gaskammern gejagt, da verständigten sich die Verschwörer auf einen älteren Plan zur Lösung der Judenfrage. Denn auch sie wollten eine Judenfrage lösen. Die Juden sollten aus Europa nach Kanada oder Südamerika verfrachtet werden. Dieser Plan war in Eichmanns Schublade verschwunden, nachdem die Nazis sich entschlossen hatten, es sei besser, die Juden umzubringen, statt sie zu verjagen. Die Juden, oder was von ihnen übrig war, sollten weggeschafft werden, denn die Welt, so die Auffassung der Verschwörer, käme nicht eher zur Ruhe, bis nicht eine globale »Neuordnung der Stellung der Juden« erreicht sei. Auch deutsche Offiziere fänden dann endlich wieder den inneren Frieden, den die Ermordeten gestört hatten. Durch ihre Abschiebung nach Übersee hätten die Juden keine Gelegenheit mehr, Anlass der moralischen Kränkung der Soldatenehre zu sein. Wie sehr Juden in ihrer Eigenschaft als Kandidaten der Ermordung durch SS und Wehrmacht deutschen Offizieren zusetzten, welch unerträgliche Belastungen die Opfer den Tätern aufluden, ja wie geradezu die Täter sich opferten, wenn sie Tote herstellten – von dieser Selbstlosigkeit zeugt nicht nur jene berühmte Rede Himmlers, der 1944 davon gesprochen hatte, dass deutsche Soldaten trotz all dieser Zumutungen anständig geblieben seien. Von General Speidel, dessen Name für die Kontinuität von Wehrmacht und Bundeswehr steht, ist aus dem Jahr 1950 die Auskunft überliefert, dass in Wahrheit nicht die Opfer, sondern die Vollstrecker des Verbrechens gelitten hatten. Über den hingerichteten Mitverschwörer General Carl-Heinrich von Stülpnagel, der an der Ostfront einen »vermehrten Kampf gegen das Judentum« befohlen hatte, über Stülpnagels Einordnung und frühes Leid erklärte Speidel: »Bei seinem hohen ethischen Grundgefühl empfand er das Amoralische des Systems als ständiges seelisches Martyrium.« Damit

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