Sauerland Live. Reiner Hänsch
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Und ihre Befehle sind unsinnig.
„Steffi, das bringt doch nichts. Hier und da mal ein Ästchen, so kommen wir doch nicht weiter. Sieh dir doch mal an, wie das alles hier explodiiiert!“
Doch sie lässt sich nicht beirren und verfolgt weiter ihre Strategie der kleinen Schnitte. Ganze drei Stunden haben wir jetzt schon in dieser grünen Hölle verbracht, und ich schiele ab und zu mal sehnsüchtig zum Liegestuhl hinüber. Heute hätten wir wirklich mal tolles Wetter zum Lesen, Abhängen, Grillen ...
Steffi greift jetzt doch wieder aktiv in das Geschehen ein und versucht gerade, eine der dicken Schlingpflanzen vom Gartenhaus zu lösen, als wir sie plötzlich „Au!“ rufen hören.
„Was ist?“, fragen wir beide gleichzeitig und stehen schon neben ihr, um irgendwie zu helfen.
„Ach, weiß nicht. Was gestochen. Egal“, sagt sie und zerrt weiter wütend und ohne Erfolg an den dicken Ranken aus dem versunkenen Inkareich.
Dann kommt der erste Tropfen. Na, endlich.
„Es regnet, es regnet“, verkündet Max voller Erlöserfreude, als ob wir das nicht selbst bemerkt hätten.
Und dann steht Max‘ Freund Lukas plötzlich vor uns. Viel zu früh, aber er ist da. Er starrt auf Max, wie der gerade Unkraut und Äste in die Schubkarre wirft.
„Wie uncool“, sagt Lukas, „Gartenarbeit.“
Natürlich ist Max das peinlich und er hört sofort mit seiner Arbeit auf.
„Hallo Lukas“, sage ich, „schon da?“
Er starrt immer noch angewidert auf die Gartengeräte und auf die Menschen, die sie bedienen.
„Ja, Max hat uns heute mal etwas geholfen. Musst du das nicht auch manchmal?“
Lukas schüttelt nur den Kopf, als wäre schon die Frage eine Zumutung.
„Nä!“
Naja, vielleicht wird er später mal der 1. Vorsitzende des Kleingärtnervereins und züchtet die dicksten Kartoffeln.
Der Regen wird stärker und ich sage mit einem Blick nach oben und ernster, endgültiger Stimme: „Also gut, das war’s dann“, und werfe auch mein Joch ab. Alle Werkzeuge in die Schubkarre und ab in die Garage damit. Eine dicke Blase wächst an meinem Handballen. Es sind halt nur zarte Schreiberlingfinger und keine schwieligen Mörderhände.
Steffi wirft noch einen letzten unsicheren Blick auf unser Vormittagswerk und scheint mit allem nicht so recht zufrieden zu sein. Ich auch nicht. Dann flüchten wir alle gemeinsam ins Haus, die Tropfen werden dicker und kommen schneller.
Der Regen ist jetzt richtig heftig geworden und ich wünsche mir, dass er eine ganze Woche lang anhält.
„Bin gleich fertig“, sagt Max zu Lukas und verschwindet schnell nach oben, um sich umzuziehen.
„Ihr wollt doch jetzt nicht mit den Fahrrädern los“, sagt Steffi, aber Max meint nur „Ach, die paar Tropfen“, und nach ein paar Minuten ist er wieder da, sagt „Tschüss!“ und ist dann mit Lukas weg. Irgendwann wird er mal ganz aus dem Haus sein.
Und dann sehen wir uns traurig an, unser Leben zieht an uns vorüber und wir beginnen, unsere Wunden zu lecken. Ich bekomme trotz heftiger Weigerung von Steffi ein paar Pflaster auf die blutigen Stellen am Arm, sie sticht mir entschlossen die Blase am Handballen auf und entfernt mir eine ganze Menge Brombeerstacheln aus dem Arm. Die blutige Schramme an der Stirn bekommt sogar ein kleines Mullpolster mit einem sehr großen Pflaster.
„Steffi, hör auf damit. Das ist doch völlig übertrieben!“
Aber sie lässt sich nicht aufhalten. „Das kann sich entzünden“, sagt sie. Früher, als Kinder, hätten wir so eine blutige Macke als „Loch im Kopp“ bezeichnet. Das war so ziemlich das Schlimmste, was einem Achtjährigen passieren konnte. „Der Alex hat ’n Loch im Kopp!“ Mit solchen Sensationsmeldungen wurde man dann von der ganzen Kinderbande zuhause bei den entsetzten Eltern blutüberströmt abgeliefert.
Ich lasse es also geschehen, muss schon wieder lächeln und freue mich, dass ich so eine fürsorgliche, liebe Frau habe.
Während sie mich also sehr professionell und gewissenhaft verarztet, entdecke ich dafür bei ihr eine erstaunliche Menge Mücken- oder sogar Bremsenstiche. Ihr ganzer Arm ist voller roter, teilweise von ihr schon aufgekratzter, dicker Hügel. Einer sitzt direkt neben der Blutblase am Daumen, der ziemlich gefährlich aussieht. Die Schwellung hat die Hand bereits unappetitlich verformt und sieht gar nicht gut aus. Da spielt ihr verbeulter Arm schon fast keine Rolle mehr.
Und dann entdecke ich noch etwas sehr Interessantes an ihr.
„Oh, da sitzt eine Zecke“, stelle ich mit Erschrecken aber auch so was wie dem begeisterten Interesse eines Insektologen fest. „Da in der Armbeuge, siehst du? Der kleine schwarze Punkt da. Das ist eine Zecke. Die hat sich da festgebissen. Am liebsten gehen sie in Armbeugen oder Achselhöhlen. Sie suchen die Wärme, weißt du. Das dauert jetzt ein paar Tage und dann ist sie groß wie ein Sahnebonbon, weil sie sich …“
Doch Steffi ist schon aufgestanden und zieht sich die Regenjacke an.
Der Arzt in der Notaufnahme des Mescheder Krankenhauses kann uns aber weitgehend beruhigen. Das an der Hand war sicher eine Hornisse – Steffi reißt bei dieser Insektenbenennung die Augen auf und droht fast vom Behandlungsstuhl zu kippen.
„Nicht schlimm“, sagt der Arzt aber, und die Zecke ist auch schnell entfernt. Und ob das jetzt mit dem Zeckenbiss tatsächlich zu einer Borreliose, so mit Hirnhautentzündung, Herz- oder Gehirnbefall und Nervenlähmungen führt, das kann man erst in ein paar Tagen oder auch Wochen sagen. Dabei lächelt der Herr Doktor uns beruhigend an und macht uns noch ein wenig Mut.
Abends wagen wir noch dann mal einen gemeinsamen Blick durch die fest verschlossene Terrassentür und den prasselnden Regen in unseren finsteren Dschungel, an dem sich bis jetzt eigentlich noch nichts sichtbar verändert hat, und ein Gefühl der Machtlosigkeit überkommt uns. Schaffen wir es wirklich nicht, der grünen Hölle Herr zu werden. Wird das Grün uns letztlich erledigen? Kommt der Wald näher?
Macbeth?
„Schürmann!“, sage ich mit entschlossenem Blick in den Garten.
„Was?“, fragt Steffi, die mit ihrem dicken Verband an der Hand und den düsteren Prophezeiungen einer möglicherweise sehr ungesunden Zukunft sowieso keine Rosenschere mehr führen könnte. Vielleicht nie mehr.
„Wir rufen Schürmann an, den Gärtner.“
Steffi nickt geradezu dankbar.
Die Männer sind ziemlich früh am Morgen schon da, werfen lachend ihre Zigarettenkippen in unsere Hortensien, als sie aus dem Lieferwagen der Gärtnerei Schürmann aussteigen und klopfen sich gegenseitig krachend auf die Schultern. Sie scheinen uns gar nicht zu bemerken, sind aber voller Tatendrang und guter Dinge. So sieht es jedenfalls aus. Sie machen einen recht munteren Eindruck. Solche Männer brauchen wir. D-MAX.
Herr Schürmann, der Anführer dieser wilden Horde, nähert