Harry Piel sitzt am Nil. Gerhard Henschel

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Harry Piel sitzt am Nil - Gerhard Henschel страница 5

Harry Piel sitzt am Nil - Gerhard Henschel

Скачать книгу

Liebhaber Julius in einen »Taumel der Nächte« gestürzt habe: »Die hinreißende Kraft und Wärme ihrer Umschließung war mehr als mädchenhaft; sie hatte einen Anhauch von Begeisterung und Tiefe, den nur eine Mutter haben kann. Wenn er sie im Zauberschein einer milden Dämmerung hingegossen sah, konnte er nicht aufhören, die schwellenden Umrisse schmeichelnd zu berühren, und durch die zarte Hülle der ebnen Haut die warmen Strömen des feinsten Lebens zu fühlen.« Und selbst die Apotheose der körperlichen Liebe findet nur einen verhaltenen Ausdruck: »Alles ist beseelt für mich, spricht zu mir und alles ist heilig. Wenn man sich so liebt wie wir, kehrt auch die Natur im Menschen zu ihrer ursprünglichen Göttlichkeit zurück. Die Wollust wird in der einsamen Umarmung der Liebenden wieder, was sie im großen Ganzen ist – das heiligste Wunder der Natur; und was für andre nur etwas ist, dessen sie sich mit Recht schämen müssen, wird für uns wieder, was es an und für sich ist, das reine Feuer der edelsten Lebenskraft.«

      Um die Nerven, die von solchen Erklärungen aufgepeitscht wurden, kann es nicht zum besten gestellt gewesen sein. Der Berliner Theologe Daniel Jenisch sah sich sogar dazu veranlaßt, Schlegels Lebensgefährtin Dorothea Veit, die er als Vorbild der Lucinde ansah, öffentlich zu verspotten: In seinem Buch »Diogenes Laterne« publizierte er ein selbstverfaßtes »Billet=doux der geschiedenen Madame Veit, jüdischer Nazion, nunmehr halbverehelichten Friedrich Schlegel, an Herren Friedrich, Schlegel, über seinen Roman, Lucinde«, und vermerkte in einer Fußnote: »Madame Veit, welche Herr Friedrich Schlegel in Berlin kennen lernte, und die deshalb von ihrem bisherigen Ehemanne, nach einjähriger Ehe, geschieden ward. Das Gelächter über den Roman Lucinde, verbunden mit dieser Geschichte, war in Berlin allgemein.« Bereits in diesen einleitenden Worten wird die Absicht deutlich, schmähend in ein fremdes Privatleben einzugreifen, und was dann folgt, als satirisches »Billet=doux«, ist ein Dokument deutscher Geistesgeschichte, das seinesgleichen sucht:

      Theurer, auch mitten im Unmuth geliebtester Hellene meines Herzens! Kein leichtes Nebelgewölk hat die Erscheinung deines Romans auf meiner Stirne verbreitet: wie Juno möcht’ ich zürnen, wie Ajax möcht’ ich rasen; wenn ich bedenke, wie schnöde du, in diesem Werk deines göttlichen Genies, unser beyder Blößen vor den schauenden Augen des ehrsamen teutschen Lesepublikums aufgedeckt! Und warlich! kein Kritiker wird uns, wie Gott der Herr dem Adam und der Eva, Röcke von Fellen machen, um unsre Blößen zu bedecken. Ists doch, als wenn du uns beyde, die schönsten Augenblicke des göttlichen Beyschlafs feyernd, und in dem Allerheiligsten der Religion der Liebe, der ganzen Welt, mit Rubensscher Grellheit und Wahrheit des Pinsels, hast vor Augen mahlen wollen.

      Wahr ists! Du kennst die geheimsten Falten meines Koischen Gewandes, zu teutsch, Hemde genannt: ich bin, in so manchen holden Stunden, deine lenden=nackte Spartanerin. Aber warum dies alles dem Publikum sagen und mahlen? Warum mich dem Gespött und dem Fingerzeigen der Berliner und Berlinerinnen preisgeben?

      Jenisch tat hier genau das, was er angeblich so verächtlich fand: Er zog etwas, das ihm hätte heilig sein sollen, in den Schmutz, er delektierte sich an Blößen und nackten Lenden, und er gab eine Frau, deren Lebenswandel ihn nichts anging, dem Gespött preis, um einem Mann zu schaden, dessen freimütigem Bekenntnis zur Göttlichkeit der Wollust er nichts anderes entgegenzusetzen hatte als eben jene Schmähkritik an der Sittlichkeit »der geschiedenen Madame Veit, jüdischer Nazion«.

      »Ich habe mir vor einigen Stunden durch Schlegels Lucinde den Kopf so träumelich gemacht, daß es mir noch nachgeht«, schrieb Friedrich Schiller im Juli 1799 an Johann Wolfgang von Goethe und kritisierte das »Fratzenhafte« des Werks, in dem er einen »Gipfel moderner Unform und Unnatur« erkannte. Goethe erwiderte, er habe schon viel darüber reden hören: »Jedermann liest es, Jedermann schilt darauf, und man erfährt nicht, was eigentlich damit sey.« Der junge Polemiker Johannes Daniel Falk, der es zu wissen glaubte, sagte Schlegel nach, er habe »mit den das Heiligste und Ehrwürdigste der menschlichen Gesellschaft bezeichnenden Wörtern, Liebe, Scham, Unschuld, Religion«, einen unwürdigen und zügellosen Mißbrauch getrieben. Man könne es dem Staate nicht übelnehmen, wenn er den Verfasser der »Lucinde« umstandslos »als einen Irreredenden an die Behörde ausliefert, der die Vorsorge am Verstande schadhaft gewordener Mitbürger obliegt«, weil er für die Verwahrlosung aller guten Sitten eintrete: »Ist ein Zustand otahitischer Schamlosigkeit das Höchste, das Wünschenswürdigste der Menschheit?«

      Man müsse Falk in seinem Kampf gegen »dieses Ungezücht« aufmuntern und ehren, schrieb Johann Gottfried Herder im Oktober 1800. Im selben Jahr erschien das anonyme Pamphlet »Drey Briefe an ein humanes Berliner Freudenmädchen über die Lucinde von Schlegel« mit der Vorbemerkung: »Ist es dem Herausgeber erlaubt, hier seinem Herzen Luft zu machen, und sein philosophisch=ästhetisches Glaubensbekenntnis abzulegen: so schwört er einen ewigen und dauernden Haß dieser frechen Rotte eingebildeter Gäuche und niedriger Lüstlinge, diesen Verwirrern der Moralität und Kunst, deren Grazien betrunkene Bachantinnen, deren Apollo ein zügelloser Marsyas ist, die mit Füßen treten Tugend, Schaam, Bürgerglück, Fleiß und gute Sitten, der Faulheit, dem Müßiggange und der geilen Liederlichkeit Lobreden halten, um ihre an sich elenden Produkte pikant zu machen.«

      So gifteten die Tugendwächter, die etwas Unflätiges witterten, aber nicht in der Lage waren, den Ursprung des Gestanks, der ihnen in die Nase stach, zu lokalisieren. 1870 fällte der Literaturwissenschaftler Rudolf Haym ein Verdammungsurteil über Schlegels Werk: »Eine absurde Verwirklichung der ästhetischen Doctrin ihres Verfassers, ist es zugleich eine rücksichtslose Ausstellung seiner persönlichsten Erfahrungen, eine litterarische Ausnutzung von Lebens- und Liebesverhältnissen, die er als unentweihtes Geheimnis zu behandeln gegen sich und andere die Pflicht gehabt hätte.« Dem Philosophen Wilhelm Dilthey schwante im selben Jahr etwas »unsäglich Widriges«, als er die »Lucinde« las, und er kam zu dem Urteil, daß die dichterische Ausführung »einen exzentrischen und unsittlichen Grundgedanken in den Schlamm des Gemeinen« ziehe. »Und dann schleuderte man gegen dies Werkchen durch die Jahrzehnte immer wieder die Vokabeln: Ekel, moralischer Frevel, schamlose Sinnlichkeit. Ein berühmtes Lexikon belehrte noch das zwanzigste deutsche Jahrhundert, daß dies Buch in kühler Schamlosigkeit’ gemacht sei. Und in einer Kulturgeschichte, die zur Zeit der Weimarer Republik die Historie der Lüsternheit in Bild und Schrift behaglich ausbreitete, wurde noch einmal Friedrich Schlegels ›lüsterner‹ Roman angeprangert« (Ludwig Marcuse).

      Aber wie frustriert wäre der junge Julian Barnes gewesen, wenn er den Nimbus gekannt hätte, der diesen Roman umgab, und dann eine getreue Übersetzung in der elterlichen Bibliothek entdeckt hätte. Den Ruf einer heißen Wichsvorlage hatten Schlegels »Lucinde« nur die übelwollenden Kritiker eingetragen. So erging es 1857 auch Gustave Flauberts skandalumwittertem Roman »Madame Bovary«: »Ich werde der Löwe der Woche werden«, stellte Flaubert damals fest, »alle Weibsbilder von Rang reißen sich die ›Bovary‹ aus den Händen, um Obszönitäten darin zu suchen, die sie nicht enthält.«

       *

      1809 rief Heinrich von Kleist in seiner Ode »Germania an ihre Kinder« zum Vernichtungskrieg gegen die Franzosen auf:

      Alle Plätze, Trift’ und Stätten

      Färbt mit ihren Knochen weiß;

      Welchen Rab und Fuchs verschmähten,

      Gebet ihn den Fischen preis;

      Dämmt den Rhein mit ihren Leichen;

      Laßt, gestäuft von ihrem Bein,

      Schäumend um die Pfalz ihn weichen,

      Und ihn dann die Grenze sein!

      Denn das Weltgericht frage nicht nach den Gründen. In diesen »alle Menschlichkeit schändenden Versen«, schrieb Kurt Eisner 1911, werde der Haß »zur Besessenheit eines Irren«, aber

Скачать книгу