Der Mensch als Rohstoff. Christian Blasge

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Der Mensch als Rohstoff - Christian Blasge

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möchte ich anhand eines Beispiels aus Der Circle einen Bezug zur Gegenwart herstellen. So verstörend und dystopisch die erzählte Geschichte auch wirken mag, sie enthält wesentliche Elemente, die den Status quo einer technisch modernen, aber gedankenlosen Gesellschaft wie der unseren beschreiben. Die hierarchische Struktur des Circle erinnert bewusst an die Führung beim Suchmaschinengiganten Google: Auch dort haben drei Personen die Geschicke eines der größten Unternehmen der Welt gelenkt und tun es jetzt in einem noch größeren Zusammenhang.33 2015 wurde das für viele noch unbekannte börsennotierte Unternehmen Alphabet Inc. gegründet. Alphabet ist eine Dachorganisation, bestehend aus neun Tochterfirmen, von denen Google den prominentesten Teil darstellt. Die Schwerpunkte der einzelnen Unternehmen liegen in den Bereichen der Glasfasernetze, der Bio- sowie Gentechnik, des Verkehrsmanagements, der Thermostaten, der Überwachungskameras und der Investitionsgeschäfte. Von besonderem Interesse dürfte die Abteilung X sein, die mit ihrer Forschung zu »disruptiven Ereignissen« auf den Weltmarkt abzielt. Der Begriff der »Disruption« meint Unterbrechung, Störung und Unordnung. Er beschreibt in einem Wort das Motto des bedeutendsten Technologieparks der Welt: Silicon Valley. Es handelt sich um eine Methode, mit welcher man mit voller Wucht in bestehende Geschäftsmodelle eindringt und letztlich Konkurrenten vom Markt verdrängt. Der Journalist Christopher Keese schildert die Glorifizierung dieses Begriffes nach seiner eigenen Erfahrung auf einer entsprechenden Konferenz folgendermaßen:

      Zurück zur Abteilung X von Alphabet: Dort wird an Projekten gearbeitet, deren Realisierung als sogenannte »Moonshots« alles bisher Dagewesene übertrumpfen soll. Bisher sind nur einige Forschungsvorhaben öffentlich bekannt, aber selbst die in der Öffentlichkeit diskutierten dürften das gewaltige Potenzial offenlegen. So befasst sich das ambitionierte »Project Loon« mit der Versorgung sämtlicher Regionen auf dieser Welt mit Internet. Zu diesem Zweck sollen solarbetriebene Ballone in der Stratosphäre in 20 km Höhe zum Einsatz kommen, um den Großteil der Landesfläche mit LTE-Signalen zu versorgen.

      Zwar beteuert Google – das scheint die nächste Parallele zum fiktiven Circle zu sein – stets altruistische Motive: Der Internetzugang soll Millionen Menschen in Afrika und Asien Zugang zu Bildung und Freiheit ermöglichen, so Mike Cassidy, Hauptverantwortlicher des (Wohlfühl-)Projekts. Dahinter verbergen sich jedoch Geschäftsinteressen des Konzerns. Denn je mehr Menschen Zugang zum Internet erhalten, desto mehr kommt die hauseigene Suchmaschine zum Einsatz. Durch die digitalen Fußabdrücke, die die Besucher im Netz hinterlassen, werden sie (ungewollt) Empfänger personalisierter Werbung über passende Produkte – mit Anzeigen von Google-AdWords. Kurz: Jede Internetkonsumentin hinterlässt Daten, die kommerziell weiterverarbeitet werden. Project Loon kann eine Nation im Worst-Case-Szenario in die Abhängigkeit von einem Monopol treiben, das prinzipiell über Druckmittel verfügt, Preise zu diktieren, steuerliche Privilegien einzufordern oder sogar bei politischen Entscheidungen mitzumischen.

      Grundsätzlich sollte man sich bei der Markteinführung einer neuen Technologie als verantwortungsvoller Konsument die Frage stellen, ob überhaupt ein Bedarf für dieses Produkt besteht und wie sich das eigene Verhalten durch die Nutzung langfristig verändern könnte. Unsere Haltung sollte also eine prinzipiell kritische sein. Man stelle sich im Blick auf die Nutzung von Google Glass – mit besonderer Berücksichtigung der Beliebtheit von Datingportalen und den damit verwandten Applikationen für Smartphones – folgendes hypothetisches Szenario vor:

      Sie sitzen in einem Café, trinken genüsslich eine heiße Schokolade und blättern in der Tageszeitung – nichts ahnend, dass Sie in diesem Moment von einem Benutzer der Google Glass »gescannt« werden. Dieser verfügt über eine Software, die ihm mithilfe eines Gesichtserkennungsprogramms Auskunft über den Beziehungsstatus der jeweils »ins Visier genommenen« Person gibt. Da die meisten, vor allem jüngeren Menschen in den Sozialen Medien ihren Beziehungsstatus offenlegen und für die Gesichtserkennung genügend Bildmaterial hochladen, dürfte einem schnellen Suchergebnis nichts im Weg stehen. Nach der Analyse werden Sie – und bei noch effizienterer Software gleich alle Personen – im Blickfeld schemenhaft mit Farben umrahmt. Die Farbe Grün könnte beispielsweise für »alleinstehend«, Gelb für »in einer Beziehung« und Rot für »verheiratet« stehen. Aus den Sozialen Netzwerken gewonnene Zusatzinformationen über hetero- bzw. homosexuelle Vorlieben, Hobbys oder den ausgeübten Beruf dürften Ihrem »Jäger« ausreichend Datenmaterial für eine anschließende Nutzenkalkulation zur Verfügung stellen: Nimmt er das Risiko einer Zurückweisung (und damit

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