Breiter bis wolkig. Bernd Neuschl
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Breiter bis wolkig - Bernd Neuschl страница 2
Und dieser Holger ist es auch, der die glorreiche Idee hat, mich bei einem Speed-Dating anzumelden. Was soll schon schiefgehen? Da ich ohnehin vorhabe, am Sonntagabend die Abschlussvorstellung einer Gastproduktion des Hippie-Musicals „Hair“ zu besuchen, kann ich auch schon zwei Stunden früher los.
Es ist Sonntagmittag und ich sitze mit sieben anderen Versagern in einem Café am Rheinufer. Meine Konkurrenten sind entweder schüchterne Muttersöhnchen, alberne Nerds oder verlebte Draufgänger. Die munter dreinblickenden Muttersöhnchen sind am besten gekleidet. Meine Mutter hätte sich indes sicherlich gefreut, wenn ich zu ihr und Vater in die City gezogen wäre. Ich habe aber lieber unserem alten Siedlungshaus in Lechenich westlich von Köln den Vorzug gegeben. Nach einem überraschenden und recht ansehnlichen Lottogewinn im immerhin unteren sechsstelligen Bereich hatten meine Eltern nämlich beschlossen, ihr Häuschen auf dem Land für eine Eigentumswohnung in der Stadt zu verlassen. Als ich anbot, das Haus in Schuss zu halten, waren sie heilfroh, den Familiensitz weder vermieten noch verkaufen zu müssen.
Heute würde ich bei dem Speed-Dating hoffentlich eine neue Weggefährtin finden. Die jungen Frauen kommen und die sieben einsamen Herzen neben mir werden nervös. Es sind nur vier Damen, das bedeutet, vier von uns Verlierern würden rein rechnerisch leer ausgehen.
Der Veranstalter stellt sich als Tom vor, erklärt noch einmal die Regeln und die Nerds neben mir machen sich eifrig Notizen: Bei übereinstimmender Sympathie würden gegen eine Gebühr von jeweils 79 Euro die Kontaktdaten ausgetauscht werden. Mögen die Spiele beginnen.
Mir fällt sie sofort auf, weil sich ihr sonniges Lächeln von dem der anderen abhebt. Auf dem Herz, das auf ihrem modischen Oberteil klebt, steht Esther O.
„Hallo Estero“, scherze ich und sie muss ehrlich schmunzeln.
Ihre blauen Augen funkeln mich verschmitzt an und entpuppen sich als atemberaubender Kontrast zu ihren kurzen dunkelbraunen Haaren, die sie modisch frech frisiert hat. Noch mehr aber berührt mich die zarte Klangfarbe ihrer hellen Stimme.
Ich erfahre, dass sie so ungefähr Ende 20, Anfang 30 sei und als Erzieherin in einer Kölner Kita mit kirchlichem Träger arbeite. Halleluja.
Ich erzähle ihr von mir. Wir sind uns auf Anhieb sympathisch.
Die zehn Minuten vergehen wie im Flug und Tom läutet ein Glöckchen als Signal zum Weiterziehen. Ich habe aber nur noch Augen für Esther und schaue schnell weg, wenn sich unsere Blicke „zufällig“ treffen.
Was mir die anderen Frauen erzählen, höre ich überhaupt nicht. Das Spektakel ist vorbei und Tom erklärt zum dritten Mal, dass wir bis Montagabend Zeit haben würden, einen Sympathietreffer bei ihm zu melden. Bei Übereinstimmung seien schließlich 79 Euro für die Kontaktdaten fällig.
Esther unterhält sich noch mit einer Bedienung. Ich stehe extra langsam auf und ziehe meine Jacke umständlich an, damit ich Esther nach draußen begleiten kann. Dann werde ich aber jäh von einem dieser Single-Deppen angequatscht, der mich fragt, ob ich noch Lust hätte, einen saufen zu gehen.
Genervt lehne ich ab mit der ehrlichen Begründung, gleich noch einen Termin zu haben. Ich sehe, dass Esther das Café verlässt. Ohne mich. Ich schaue auf die Uhr. In 20 Minuten beginnt die Vorstellung von Hair. Holger hatte mir vorab berichtet, bei dieser selbst für Köln skandalösen Gastinszenierung reite eine nackte Frau auf einem Shetlandpony über die Bühne. Noch ein Grund mehr für mich, die Show anzusehen. Ich habe nämlich schon lange kein Shetlandpony mehr gesehen.
Ich sitze im Theatersaal und der Platz neben mir ist frei, obwohl die Veranstaltung ausverkauft ist. Auf den hölzernen Rand der gepolsterten Rückenlehne ist ein kleines Messingschild angeschraubt, auf dem „Stuhlpatin E. Osterfeld“ eingraviert ist. Das Programmheft verrät mir, man könne für 120 Euro im Jahr eine Stuhlpatenschaft erwerben und erhalte dafür exklusive Vorzugstickets für eine Premiere oder Dernière mit Gratisgarderobe inklusive Pausensekt. Das Saallicht verdunkelt sich und die Stuhlpatin scheint offenbar verhindert zu sein. Wahrscheinlich hängt sie auf der Toilette fest. Erst als das Musicalorchester rockige Beats fabriziert, nimmt eine Frau neben mir Platz. Die Inszenierung ist wirklich witzig und das Lachen neben mir kommt mir bekannt vor. Ich habe plötzlich keine Augen mehr für das Shetlandpony, das gerade auf der Bühne samt nackter Reiterin erscheint. Esther sitzt neben mir. Ich versinke in meinem Sitz und überlege die ganze Zeit gezielte Inhalte für ein intelligentes Pausengespräch. Ich könnte mich aber auch alternativ vor dem Aufleuchten des Saallichtes in den Orchestergraben stürzen.
Die Pause beginnt und ich studiere angestrengt das Programmheft, das ich mir vors Gesicht halte. „Na, Brille vergessen?“ Esther boxt mich frech auf den Oberarm. Ich lasse das Faltblatt fallen und lache gespielt überrascht: „Esther! Lange nicht mehr gesehen.“
„Ich habe dich gleich an deiner Lache erkannt“, erwidert sie und in ihren Backen entstehen diese süßen winzigen Lachgrübchen.
Mir fehlen die Worte. Ich deute auf das Schild an ihrer Rückenlehne. „Jetzt weiß ich, wie du mit vollem Namen heißt. Frau Osterfeld. Oder bist du gar keine Stuhlpatin?“
„Doch, seit zwei Jahren. Seit ich mit meinem Ex Marco aber nicht mehr zusammen bin, machen die Theaterbesuche weniger Spaß.“
Ich werde mutig und höre mich sagen „Naja, eigentlich könnten wir uns die 79 Euro vom Speed-Dating sparen und gleich unsere Nummern austauschen.“
„Lass uns das bei einem Gläschen Sekt diskutieren“, lächelt sie mich an und läuft in das Foyer. Mir wird heiß und ich habe das Gefühl, in meinem Bauch seien tausende Kokons mit Schmetterlingen geplatzt, die nun schwerelos durch mein Innerstes Richtung Herz und Verstand flattern.
Beim Sektschlürfen haben wir nur Augen für uns. Während des zweiten Teils sitzen wir etwas enger aneinander und bei dem finalen Hit „Let the Sunshine in“ streife ich umständlich und ungelenk ihre Hand. Standing Ovations. Beim Schlussapplaus sehe ich dann auch die nackte Frau auf dem Pony.
Es ist Laura. Meine Ex aus Hamburg. So wurde aus der Möchtegern Miss Tagesschau eine Miss Tittenschau. Ich bin nur kurz verwirrt, klatsche aber einsam weiter, selbst als alle anderen schon längst den Saal verlassen haben. Nicht, dass ich noch an Laura hängen würde. Ich frage mich nur, was ihr neuer Freund Lukas davon hält, dass sie sich vor so vielen fremden Menschen derart hängen lasst.
„Komm jetzt, so großartig war die Show auch wieder nicht“, feixt Esther fröhlich und wir begeben uns zur Garderobe.
Dort helfe ich Esther in ihren Mantel. Ihre Haare streifen meine Nase, mit ihrem herrlichen Duft inhaliere ich alles Glück dieser Welt ein. Wir gehen noch am Rheinufer spazieren. Ich bin selig und aufgeregt zugleich. Selbst die langgezogenen Containerschiffe erscheinen mir romantisch, wie sie wie verliebte Wale den Rhein mit weichen Wellen Richtung Nordsee durchpflügen.
Wir stellen fest, dass Esthers Bahn aufgrund einer Signalstörung ausfällt. Ohne Hintergedanken biete ich ihr an, sie nach Hause zu fahren.
Vor ihrer Wohnung angekommen, steigt sie nicht aus und wir unterhalten uns noch zwei Stunden über Gott und die Welt. Schließlich fällt ihr Blick auf die Uhr und ich bin enttäuscht, weil ich merke, dass sie gehen möchte. Sie steigt aus, aber bevor sie die Tür zuschlagen kann, rufe ich panisch: „Halt, wir haben vergessen, unsere Nummern auszutauschen.“
Sie nimmt einen Zettel, notiert Zahlen darauf, beugt