Breiter bis wolkig. Bernd Neuschl

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Breiter bis wolkig - Bernd Neuschl Lindemanns

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einer kräftigen Grundreinigung unterziehen?“

      „Nicht ganz, aber mein Schwager muss das Zeug schleunigst loswerden, weil es Lagerplatz wegnimmt. Ben, bitte, er verscherbelt 80 Zehnerpackungen Klopapier um acht Euro, den Liter Desinfektionsmittel um einen Euro.“

      „Also, ich sage mal so. Wir haben jetzt Ende 2019. Sollte es 2020 irgendwann einen Engpass an Klopapier und Desinfektionsmittel geben, würde ich sofort zuschlagen. Aber wie selbst du als Österreicher hören kannst, habe ich eben zwei Mal den Konjunktiv verwendet. Also: Nein. Und jetzt schleich dich.“

      Freundlich, aber bestimmt schiebe ich Rudi aus dem Haus raus und gehe zurück ins Schafzimmer.

      Dort fische ich die Strumpfhose erneut erfolgreich aus dem Staubbeutel heraus, klopfe sie nur ab und unterziehe sie mit dem Föhn einer umgekehrten Behandlung. Nicht saugen, blasen heißt jetzt das Motto. Die Strumpfhose jedenfalls ist danach ohne Makel und Esther merkt nichts.

      April 2020. Zwei Lektionen habe ich gelernt.

      Erstens: Wenn dir jemand an der Haustüre skurril wirkende Geschäfte vorschlägt, dann sei mutig und investiere. Ich stehe gerade im fünften Supermarkt und suche händeringend nach Toilettenpapier und Desinfektionsmittel. Rudi, so habe ich gehört, hat mit seinem Schwager von der exorbitanten Gewinnspanne durch die Hamsterkäufe in Italien eine Nudelfabrik gekauft.

      Das Zweite, was ich lernen durfte: Ameisen überleben Staubsauger. Erst als Esther die Strumpfhose angezogen hatte, lösten sich nach und nach ihre kräftigen Kiefer aus der Schockstarre, mit der sie sich im Seidenstoff verhakt hatten, um mit ihren scharfen Kauwerkzeugen alsdann einen Generalangriff auf Esthers Beine zu starten.

      Das Vorstellungsgespräch soll deshalb eine Katastrophe gewesen sein. Esther hat den Job als Leiterin der größten Kita von Köln trotzdem bekommen. Der Personalausschuss bestand überwiegend aus Verfechtern der Waldorf-Pädagogik. Man habe noch nie jemanden derart leidenschaftlich und ehrlich bewegt seinen Lebenslauf tanzen sehen. Esther soll schmerzgeplagt derart durch den Wind gewesen sein, dass sie – um die Ameisenattacke zu kaschieren – auch noch sämtliche schrägen Vorschläge von Holgers Gruppennamen für die neue Einrichtung in den Raum geworfen hat. Der zuständige Dezernent soll sehr angetan gewesen sein. Jedenfalls hört man es ab und zu vom Hof der Kita laut erschallen: „Die Volldeppen und Hosenscheißer gehen nach dem Freispiel in den Turnraum.“

      Ich bin doch nicht blöd

      Berthold Auerbach hat einmal gesagt „Der brave Mensch grämt sich weit mehr über ein Unrecht, das er getan hat, als über ein solches, das ihm angetan wurde.“

      Wahre Worte. Davon kann ich ein Liedchen singen. Immerhin haben meine Eltern dieses Jahr entgegen der Tradition zum ersten Mal davon abgesehen, mir an Weihnachten Spielzeug zu schenken, „weil du ja jetzt diese Freundin hast“, wie meine Mutter leicht schnippisch, fast gekränkt bemerkte.

      Was soll ein Mann in meinem Alter auch schon mit der großen Ritterburg von Playmobil, wie sie letztes Jahr unterm Baum gethront hat, anfangen? Ich glaube kaum, dass meine Freundin Esther Lust darauf hat, die Weihnachtsfeiertage mit prunkvollen Pferden und rustikalen Raubrittern im Miniaturformat zu verbringen.

      Obwohl, meine Eltern haben es sich nicht nehmen lassen, Esther eine Prinzessin von Playmobil zu schenken und Esther hat das Spiel mitgemacht und sich tierisch gefreut, weil da noch ein Einhorn dabei war.

      Der Rest der Geschenke war zum Glück funktional: Esther und ich wohnen seit zehn Monaten zusammen. Von ihren Eltern haben wir ein exklusives Raclette-Set für zwölf Personen geschenkt bekommen, den Raclette-Käse inklusive. Gerät und Käse waren aber bereits Mitte November käuflich erworben, in Geschenkpapier verpackt und ungekühlt gelagert worden. Bis zur Bescherung hatte der Käse folglich ein eigentümliches Eigenleben entwickelt, das sich beim Auspacken vor allem olfaktorisch entfaltete. Von meinen Eltern haben wir einen Gutschein bekommen. 500 Euro. Für Unterhaltungselektronik.

      Wir haben uns jedenfalls sehr über die finanzielle Mitgift zum Einzug ins neue Heim gefreut, schließlich brauchen wir zur neuen Couch einen neuen Fernseher. Ich zum Seriengucken und Esther zum Einschlafen.

      Beim Auspacken des Gutscheins sind meinem Vater die Tränen gekommen. Entweder waren es Freudentränen oder es war des Geldes wegen.

      Jetzt ist bereits Ende März, Ostern steht vor der Tür und ich habe den Gutschein immer noch nicht eingelöst. Entweder liegt es am Wert, dass ich mich von ihm nicht trennen möchte, oder an der Tatsache, dass das betreffende Fachgeschäft für Elektronikartikel nur mit dem Auto zu erreichen ist und das auch nur mit halbstündiger Fahrzeit. Heute ist Samstag und Esther hat wie an jedem Wochenende ein sensationelles Frühstück auf den Tisch gezaubert.

      Wir essen. Ich frage mich, wie sie es schafft, das Ei zu köpfen, zu salzen, parallel dazu an einem Croissant zu knabbern, eine Banane zu schälen, Kaffee zu trinken und gleichzeitig ihr Smartphone und die Zeitung zu studieren. Wenn ich in solchen Momenten ihre Hände flink wie vielbeschäftigt hantieren sehe, meine ich stets, hinter der Zeitung sei ein achtarmiger Oktopus mit Pferdeschwanz zugange. Zeitgleich hat sie mich im Blick. In solchen Momenten nenne ich sie immer liebevoll „Mein Tintenfisch-Chamäleon“. Tatsache: Mit dem einen Auge mustert sie die Reklame, mit dem anderen hat sie mich im Blick.

      „Ben, hast du heute etwas Bestimmtes vor?“

      „Nein, eigentlich nicht.“

      „Der Media Markt hat neue Fernsehgeräte im Angebot.“

      Bedeutungsvoll raschelt sie mit der Zeitung und hält mir die Anzeige unter die Nase: „Das wäre doch was, 60 Zoll, Hyper-HDD für 499 Euro.“

      „Dann bleibt uns vom Gutschein meiner Eltern nur noch ein Euro übrig“, stelle ich enttäuscht fest.

      „Na und? Du kannst dir ja vom Rest ein Überraschungsei kaufen.“

      „Gibt es die auch mit Tintenfischen?“, frage ich spöttisch und ernte damit einen Tritt ans Schienbein.

      „Ich habe für Montag Elektrosperrmüll angemeldet“, wechselt Esther schnell das Thema. „Stell den alten Fernseher raus und kaufe endlich einen neuen. Und dann besorgst du noch den neuen Star Wars-Film für mein Patenkind. Du hast hoffentlich nicht vergessen, dass wir morgen zum Geburtstagskaffee eingeladen sind. Und lass die DVD auch gleich schön verpacken, wir haben nämlich kein Geschenkpapier mehr im Haus. Ich könnte zwar welches kaufen, aber bis ich vom Friseur komme, hat das Geschäft schon zu.“

      Die Informationsdichte dieser Befehlskette ist für mich etwas hoch, deshalb nicke ich nur und sehe zu, dass ich Land gewinne. Ich wuchte den alten Fernseher auf den Gehweg. Es dauert keine zwei Sekunden, da hält auch schon ein weißer Sprinter vor unserer Einfahrt. Wie mir das Kennzeichen verrät, sind es zwei Männer aus Ungarn, die hier flink wie zwei Grashüpfer aus der Fahrerkabine hopsen und mit schnellen Schritten auf mich und das altersschwache TV-Gerät zuspringen. Während der eine sich ständig nervös umdreht und die Umgebung inspiziert, deutet der andere erst auf mich, dann auf den Bildschirm. Im Gegensatz zu seinem Kumpel hat er die Ruhe weg. Zwischen seinen Lippen verglüht gerade ein Zigarettenstummel.

      „Der Gerät mitfahren im Auto dürfen?“, fragt er mich mit akzentreicher Gelassenheit. Dabei fährt er sich mit der einen Hand durch seinen schwarzen Schnauzbart, mit der anderen Hand wischt er sich über seine fleckige Latzhose.

      „Logisch, greifen Sie ruhig zu.“

      Ich bin froh, das Teil nicht von der Haustüre neben die Einfahrt schleppen zu müssen. Die Herren würden den Flimmerkasten

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