Breiter bis wolkig. Bernd Neuschl

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Breiter bis wolkig - Bernd Neuschl Lindemanns

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auf den Kaufbeleg und verstaue Gerät Nummer zwei im Kofferraum. Dann gehe ich mit dem Kaufbeleg in den Laden zurück, stelle den letzten Aktionsfernseher auf den Einkaufswagen und laufe, ohne zu bezahlen, direkt zur Geschenkeverpackung. Ich habe es eilig und merke nicht, dass der Filialleiter mit einem dampfenden Kaffeebecher gerade aus seinem Büro stolziert kommt.

      Es ist seine erste Stelle als Marktleiter. Er ist quasi in der Probezeit und entsprechend aufgeregt. Wir stoßen zusammen und die braune Brühe schwappt über die Verpackung von Fernsehgerät Nummer drei.

      „Oh, das tut mir leid“, entschuldigt sich der Chef. Ich merke sofort: Hier ist der Kunde noch König.

      „Ui, das ist jetzt aber doof“, jammere ich los. „Das ist ihr letztes Gerät und ich brauche es dringend für ein Kinderheim in Ungarn. Aber die sehen das gar nicht gern, wenn da Kaffee darauf ist. Was sollen die bloß von Deutschland und seinem Marktführer für Unterhaltungselektronik denken?“

      „Ich kann Ihnen leider keinen Rabatt gewähren, weil das Produkt so oder so schon ein einmaliges Sonderangebot ist.“ Der Marktleiter kratzt sich nervös am Kopf und bekommt rote Flecken, die optisch wunderbar zur Farbe seines Anzugs passen. Sein Gesicht erhellt sich. „Hier. Für Ihren nächsten Einkauf hoffentlich bei uns. Hahaha.“

      Er überreicht mir einen Rabattgutschein über 50 Prozent und wischt mit Ärmel seines Sakkos den Kaffee von der Verpackung.

      „Sollte das Gerät Schaden genommen haben, dürfen Sie es selbstverständlich zurückgeben.“ Er tätschelt mir noch beschwichtigend die Schulter.

      Das läuft ja wunderbar, denke ich mir und setze meinen Robin-Hood-Streifzug Richtung Geschenkeverpackungsservice fort. Am Tresen angekommen, setze ich ein unschuldiges Lächeln auf.

      „Ich Schussel. Da bin ich wieder. Wie soll mein Neffe den Star Wars-Film ohne Fernseher anschauen? Bitte auch einpacken.“

      Die Angestellte lässt sich nicht aus dem Konzept bringen. „Kann ich bitte den Kaufbeleg sehen?“ Sie deutet auf Gerät Nummer drei. Triumphierend zeige ich ihr den Kassenbeleg von Gerät Nummer zwei, das bereits sicher in meinem Kofferraum verstaut ist. „Ab Produkten über 100 Euro müssen wir die Seriennummern überprüfen“, erklärt sie mir.

      Mist, das wars. Mit Adleraugen studiert sie erst den Kassenzettel und dann die Verpackung.

      „Oh, ich sehe gerade, die Ziffern der Seriennummer auf der Verpackung sind ja ganz unleserlich. Igitt, sind das Kaffeeflecken?“

      „Ja, das war ich“, schaltet sich der Filialleiter stolz ein. „Das hat alles seine Richtigkeit. Jetzt verpacken Sie das Ding und gut ist.“

      Fünf Minuten später manövriere ich Fernsehgerät Nummer drei zum Ausgang. Abzüglich des Verlustes von heute Morgen bin ich jetzt stolzer Besitzer von zwei Geräten zum Preis von einem. Nachdem ich mit dem Fernseher eine Runde über den Parkplatz gedreht habe, schiebe ich ihn zügig zum Serviceschalter zurück und verlange den Filialleiter.

      „Entschuldigen Sie“, beginne ich gespielt genervt, „aber ich habe mir das anders überlegt. Wer garantiert mir, dass das Innenleben des Gerätes keinen Kaffee abbekommen hat? Nachher fliegen uns die Kondensatoren um die Ohren, das ist mir zu riskant.“

      „Sie haben völlig recht, ich wäre genauso umsichtig wie Sie“, beschwichtigt mich der Marktleiter.

      Ohne große Widerstände bekomme ich 499 Euro bar auf die Hand. Stolz und glücklich fahre ich nach Hause.

      Fragen Sie mich bitte nicht, ob ich jetzt einen Gewinn gemacht habe. Bilanztechnisch ist in Sachen ausgleichender Gerechtigkeit die schwarze Null von entscheidender Bedeutung.

      Das habe ich auch Esther so erzählt. Sie meint, ich sei trotzdem ein Ladendieb. Viel schlimmer in ihren Augen jedoch ist, dass ich die glänzenden Nuancen ihrer neuen Haarfarbe nicht bemerkt habe. Kein Mann ist in der Lage, ein elegantes Kastanienbraun von einem sinnlichen Haselnusston zu unterscheiden.

      Abends kann ich nicht einschlafen. Mir wird klar, ich habe Mist gebaut.

      Auerbach hatte Recht: Der brave Mensch grämt sich weit mehr über ein Unrecht, das er getan hat, als über ein solches, das ihm angetan wurde.

      Und weil ich ein braver Mensch bin, werde ich am Montag in den Media Markt fahren und die Angelegenheit klären.

      Vorher aber hole ich mir mein Eigentum, Gerät Nummer eins, aus der Asservatenkammer der Polizei zurück. Schließlich habe ja ich den Fernsehapparat beim Entpacken und Verladen auch an den entlegensten Stellen mit meinen Fingerabdrücken als mein Eigentum markiert.

      Da soll mir einer erst einmal das Gegenteil beweisen. Und außerdem habe ich ja jetzt endlich einen Kassenzettel vorzuweisen.

      Ich bin doch nicht blöd.

      Alaaf und Miau

      Samstag. Mein erster Arbeitstag als Dirigent. Kaum zu glauben. Es ist Karneval in Köln und ich muss arbeiten. Habe Angst, heute Abend die Musikkapelle im Kölner Sartory-Saal bei einer Prunksitzung leiten zu müssen. In der Musikbranche kennt jeder jeden, da kann es schon einmal vorkommen, dass Profis aus dem Orchestergraben grelle Karnevalsveranstaltungen akustisch veredeln müssen.

      Erwartungsvoll sitze ich im Büro des Musicalproduzenten Marc Elton. Er beachtet nicht mich, sondern tippt wichtigtuerisch auf seinem Tablet herum. Im Hintergrund läuft heißer Latin-Jazz.

      Ich räuspere mich rhythmisch zur Musik. Marc beachtet mich immer noch nicht. In diesem Business ist jeder mit jedem per Du. Das ist also Marc, mein neuer Chef. Ich beobachte ihn. Leicht beleibt und schwer verlebt. Garantiert hat er seine Haare dunkler getönt. Immerhin haben das mit Brillanten bestückte Brillengestell, sein maßgeschneidertes Sakko aus Samt als auch seine lässigen Sneakers die gleiche Farbe. Mintgrün. So künstlich wie sein Lächeln. Das aufdringliche Aftershave raubt mir den Atem.

      „Ben, schön dass du an Bord bist.“ Marcs Gebiss glänzt plötzlich mit den Platinschallplatten hinter seinem Schreibtisch um die Wette, ehe er mit dem stotternden Staccato einer AK47 regelrechte Informationssalven auf mich abfeuert, die von seinem basslastigen Lachen zyklisch unterbrochen werden: „So. Bevor wir im Frühjahr mit ,Hairspray’ und im Jahr darauf mit ,Bodyguard’ so richtig loslegen, habe ich sozusagen eine kleine Bewährungsprobe für dich als unseren neuen, zweiten Kapellmeister. Hahaha. Unser Chefdirigent möchte über Karneval lieber feiern und hat wie jedes Jahr Urlaub eingereicht. Und. Das. Ist. Deine. Chance: Wir spielen am Rosenmontag eine kleine Gala für unseren Hauptsponsor. Baulöwe Roland Specht. Der ist wiederum ein ausgesprochener Karnevalshasser und froh, der zivilisierten Zwangsbelustigung mit einem Ausflug in die Welt des Musicals entgehen zu können. Nichts Wildes. Hahaha. 80 Gäste. Beginn für dich ist 21 Uhr, vorher sind Reden und ein Essen angesagt. Bla, bla, bla. Das ganze Elend startet im Bürgerhaus Stollwerck. Meine Sekretärin Sandy, du hast sie ja eben bereits kennengelernt – hahaha – gibt dir die Adresse. Geprobt wird am Rosenmontag 11 Uhr in der Philharmonie, denn da haben die Schlagwerker ihr ganzes Geraffel.“

      Ich nicke stumm. Klingt einfach.

      Marc reicht mir das geplante Programm.

      „Sponsor Specht möchte ausschließlich englische Musicalhits. Das machst du mit links. Hahaha. Kitsch-Balladen aus ,Phantom der Oper’, ,Les Misérables’, ein paar Hits aus ,Hair’, Evergreens aus ,Grease’ und ,Mamma Mia’ und zum Finale Afro-Glamour mit ,Der König der Löwen’ et cetera peng peng. Die Orchesterbesetzung steht auf Seite zwei. Noch Fragen?“ Er wirft mir

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