Bahnfahring. Thomas C. Breuer

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Bahnfahring - Thomas C. Breuer Lindemanns

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wir uns an diejenigen Fahrgäste, die wegen der Verspätung in Siegburg versehentlich in diesen Zug gestiegen sind. Nächste Fahrtmöglichkeit nach Frankfurt ab Köln wäre um 10:38 h.“

      Die südlichen Nachbarn sind auch nicht schlecht: Rapperswil, Schweiz: „Meine Damen und Herren, wegen starker Besetzung müssen wir Sie bitten, auch im Gepäckwagen Platz zu nehmen.“

      In der Münchner S-Bahn: „Wir wünschen einen guten Weiterflug.“

      Und im vollen Zug bei Anfahrt auf den Frankfurter Hauptbahnhof: „Wenn Sie nach vorne durchgegangen wären, hätten Sie auch einen Sitzplatz gefunden.“

      „Dieser Zug endet hier. Wir verabschieden uns von allen Fahrgästen, die dort aussteigen.“

      Oder auch: „Bitte alle aussteigen, der Zug verendet hier.“

      An diese hier aber kommt keine ran: „Eine Durchsage für Herrn Pommer: Ihre Frau wird wahrscheinlich am nächsten Bahnhof aussteigen!“

      Walzehuusebähnli

      Es ist ungemütlich, Februar halt. Parallel zum Gleis die vierspurige Autobahn, die den Geräuschpegel dominiert. Dahinter eine Lärmschutzwand, Böschung, der kleine Rhein, Österreich am anderen Ufer. Das Bähnli sieht aus, als wäre es einst aus einem Kinderkarussell desertiert und seither nicht so recht glücklich geworden. Es bietet nur eine Klasse, und die hat Klasse, und zwar aus Holz. Der Wagenführer muss etwa dreißig Meter von einer Bedienerplattform zur anderen bewältigen. Wer auf die Railbar hofft, hofft vergeblich, obwohl die etwa 24 Sitze schnell bedient wären. Die eher kurze Fahrzeit von sechs Minuten bergauf (und neun zurück), also eher wie beim Kinderkarussell, sollte man lässig ohne Proviant überstehen. Vor allem sollte man nicht müssen müssen, es wäre schade um die Aussicht. Obwohl die Bahn die ersten Meter, nachdem sich der Wagen eingeklinkt hat ins Zahnradsystem, gleich hinter der Racing-Garage, als U-Bahn unterwegs ist.

      Gemsengleich gewinnt der Wagen an Höhe, schon sind wir raus aus dem Tunnel, nun rasch den Kopf gedreht, voilà, der östliche Teil des Bodensees, Bregenz, Lindau, Friedrichshafen, alles ganz nah und doch beruhigend weit weg. Höher und höher geht es, an sich wäre es an der Zeit für Sauerstoffmasken. Das ist das klassisch urschweizerische Erlebnis: Natürlich könnte man es sich drunten im Rheintal gemütlich machen, den Bürgern von Rheineck, Altstätten oder Buchs gelingt das schließlich auch. Doch dann stehen sie vor einem Massiv und denken bei sich hin: Da sollten wir dringend eine Bergbahn hochklöppeln, um mal zu sehen, was die Appenzeller von Ausserrhoden so treiben, besser, man hat ein Auge auf diese Menschen. Umgekehrt denken die Ausserrhoder: Besser, wir hängen da mal so ein Adlernest ins Gestein, dann können wir die da unten besser beäugen, von oben herab, man weiß ja nie. Also haben sie ein Zweitausendseelendorf an den Steilhang geklatscht, wie Reisterrassen, nur halt mit Häusern. Sie nennen es „Balkon über dem Bodensee“, und der schwebt 300 Meter über dem Rheintal und sie sind stolz, leben sie doch in einem der wenigen Dörfer mit eigener Bahnlinie. 1,96 Kilometer sind das, damit erreicht man zwei Drittel des Zugnetzes von Laos. Vom Frühstücksraum des Hotels sieht es aus, als würde die Bahnlinie drunten im Tal in der wirklichen Welt von Autobahn und Rhein ins Unendliche verlängert.

      Die Rückfahrt. Das Bähnli steht einsam und verlassen im Bahnhof Walzenhausen Grand Central Metroplex. Wie von Zauberhand – zehn Minuten vor der Abfahrt – springt das Licht an. Der Wagenführer erscheint: „Sie hätten ruhig schon einsteigen können! Hinten ist der Gepäckraum!“, sagt er freundlich und schnappt sich meinen Koffer. Keine Ahnung, ob das zum täglichen Service gehört oder ob ich heute morgen so alt aussehe, wie ich mich fühle (und tatsächlich auch bin). Als Nächstes kontrolliert er die Billette, bevor er sich an seinen tatsächlichen Arbeitsplatz begibt. Das ist so, als würde die Flugbegleiterin auf dem Pilotensitz Platz nehmen bzw. der Pilot den Tomatensaft bringen. Ich erfreue mich noch an dem Schild „Das Betreten des Geleises ist verboten!“ und schon setzen wir uns in Bewegung. Das Arbeitsaufkommen erscheint übersichtlich, vorsichtshalber haben sie aber vorne unter dem Fenster einen Fahrplan angebracht.

      Mit knapp fünfzehn Stundenkilometern lassen wir uns herab, der Tacho würde allerdings bis 45 km/h reichen. Die Armaturen sehen so aus, als wären sie von den Herren Brown und Boveri noch persönlich eingebaut worden. Ein weiteres schönes Schild: „Türnot-Entriegelung“, die beiden Wörter stehen untereinander, so sieht es verheißungsvoller aus: Hier kann man ggf. seine Türnot entriegeln lassen. Im Tunnel, der Wagenführer meint wohl, da merkt es keiner, gibt er Gas, legt einen Stundenkilometer drauf, wir rasen, aber das ist noch gar nichts, kaum haben wir uns unten bei der Garage ausgeklinkt, tickt die Tachonadel unerbittlich weiter, 18, 20, 22, 25 Kilometer, jetzt 27 – aber die Schallgrenze von dreißig erreicht sie nicht. Halt: Die branchenübliche Formulierung lautet wohl: „Die Tachonadel zittert!, ja, sie zittert, und noch während man diesen Gedanken nachhängt, hat sie sich auch schon wieder eingekriegt, denn jetzt steuern wir entschlossen den Bahnhof von Rheineck an, mittlerweile, wunderbare Metamorphose, als S26 der St. Galler S-Bahn.

      Rigibahn und Schüttelbecher

      Akkurat blau-weiß lackierte Triebwagen. Der Zugführer trägt einen weiß-blau gestreiften Kittel, mit dem auch ein Metzger nicht auffallen würde. Das Wetter ist schwer einzuschätzen, zumal es sich in den Bergen alle zehn Minuten ändert. Wir setzen uns in Bewegung. Mit mir eine helvetische Reisegruppe, dem Dresscode nach Pädagogen. Vor einiger Zeit durfte ich vor vierhundert Vertretern dieser Gattung im Kanton St. Gallen auftreten, die auf einer Tagung über Kultur und Erziehungsauftrag diskutierten. Mein Vorredner war Jean Grädel vom Theater an der Gessnerallee in Zürich, der u.a. erzählte, wie sie früher in Theaterkreisen darüber gelästert hätten, dass man Lehrer stets an ihrer Kleidung erkennen könne. Bei uns Künstlern, erlaubte ich mir im Anschluss auszuführen, verhielte sich das natürlich komplett anders. Egal was, Hauptsache es bewegt sich zwischen hellschwarz und dunkelschwarz. Meine Reisegefährten müssen aber tatsächlich Lehrer sein, sie haben sich in die hintere linke Ecke des Raumes verkrochen – wie Schüler.

      Dazu gesellen sich ein paar versprengte Einheimische, die sich zu ihren Arbeitsplätzen in Gastronomie oder Landwirtschaft expedieren lassen. Man kennt sich, aber in der Schweiz kennt man sich generell. Begegnen sich Eidgenossen im Ausland, haben sie mit affenartiger Geschwindigkeit gemeinsame Bekannte ausgemacht, die helvetische Version des Beschnupperns. Auf der Rigibahn haben wir es mit wettergegerbten Hinterwäldlern zu tun, aber was heißt das schon, Hinterwäldler habe ich überall getroffen, sie kommen rum in der Welt, nicht wenige von ihnen leben in New York, Berlin oder San José. Sowieso: Ist das Leben als Vorderwäldler einen Deut besser? Interessanter? Hier und jetzt jedenfalls bin ich der einzige „Usländr“, ein „fremder Fötzel“.

      Spektakuläre Wasserfälle, von bald venezolanischer Grandeur, vor allem der vorm Pfederntunnel ist geradezu beängstigend, insofern hat der Dauerregen der letzten Tage sein Gutes gehabt. Vor die atemraubendsten Ausblicke aber haben vorausdenkende Köpfe den Mischwald gepflanzt, damit die Menschen nicht abheben oder Herzinfarkte bekommen vor lauter Glückseligkeit. Auch die Baustellen entlang der Piste dienen lediglich dazu, die Stimmung nicht allzu saumselig geraten zu lassen. Denn, wohin das Auge schaut, verstellt die Endung -li den Blick. Gerade ist es die Firma Käppeli, die draußen mannhaft ihr Entromantisierungsprogramm durchzieht. Sie bietet zur Fahrgastbelustigung einen Bagger auf, der sein Standbein einfach nach hinten klappen kann. Gute Performance. Am Fruttli auf 1.150 Metern steigt die Schaffnerin auf den Gegenzug um, der einen Güterwagen mit ca. 15 fein säuberlich aufgereihten Milchkannen hinter sich herzieht, m. E. ein bisschen arg dick aufgetragen. Das nächste -li kommt bei Klöster-. Dass überall Autos an den Haltepunkten stehen, nimmt der Reise etwas von ihrer Einzigartigkeit. Dieses Tripli ist eindeutig agrarischer und somit schweizerischer als vergleichsweise die Gornergratbefahrung. Das mag daran liegen, dass ich früh dran bin, es ist halb zehn, die Touristen müssen ja erst von sonst woher herbeigeschafft werden. Vielleicht bin ich einfach ein Alpenignorant, der nicht weiß, dass man Gipfeln nie vor 12 Uhr mittags seine Aufwartung macht. Jedenfalls hänge ich hoch droben tief drin in

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