Bahnfahring. Thomas C. Breuer

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Bahnfahring - Thomas C. Breuer Lindemanns

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ist Engelberg, mit einem kleinen Park, dessen Sitzbänke allerdings Rätsel aufgeben: Wieso müssen diese in einer sichtlich wohlhabenden Gemarkung von privaten Gönnern gesponsert werden? Nebenbei nicht meine einzige Frage: Ob es denn in Engelberg eine jüdische Hochschule gäbe, begehre ich wenig später von der österreichischen Bedienung zu wissen, weil ich reichlich Sommerfrischler mit Yamulken und Schäfchenlocken auf den Gassen sehe. Näin, sagt sie, aber im Sommer kämen immer viele jüdische Urlauber. Im Winter weniger, eher im Sommer. Aha.

      Ich sitze in einem Straßencafé, über dessen Eingang großspurig „Ihr Treff in Engelberg“ prangt, dabei trifft sich hier gerade keiner mit niemandem. Das Café ist integriert in einen umfassend scheußlichen Hotelneubau der 80er-Jahre mit wannenförmigen Balkonen, vermutlich von einem cracksüchtigen Architekten aus dem Vorstadtfrankreich entworfen. Ich habe mich mit dem Rücken dazu gesetzt, spendiert diese städtebauliche Ungeheuerlichkeit doch dreierlei: 1. Schatten, 2. Schatten und 3. natürlich Schatten. Meine sonnenverbrannte Haut besteht darauf. Der ebenerdige Hochsitz erlaubt ausgiebige Blicke auf das Treiben in den Gassen, auf den greisen Bergführer beispielsweise, der einer wild gestikulierenden Gruppe von Amerikanern voranschreitet. Einer von ihnen fuchtelt vage in Richtung Berge: „Is that where we’re going?“, der Führer schüttelt den Kopf: „Not so high up!“ Damit keine Zweifel aufkommen, flattern Dollarnoten aus seinem Hutband wie bei den Stripperinnen in West Hollywood aus den Slips. Und so schieben sie los, um sich endlich einen Pennälerwunsch zu erfüllen und den Mt. Titlis zu besteigen. Allmählich beginne ich zu begreifen, warum Luchse so scheu sind. Der Pfiff der Lok vom Bahnhof her tönt wie ein empörtes Murmeltier, aber ich gebe noch eine Stunde zu, will ich doch dem genius loci auf die Spur kommen und herausfinden, warum ausgerechnet hier Stephan Eicher so elysische Alben aufnehmen konnte. Vielleicht ist der Sommer dafür weniger geeignet, seine Musik klingt vielmehr kühltemperiert spätoktobrig, off season on 3.300 ft.

      Ich denke angestrengt nach, als mich folgendes Plakat ablenkt: „Vollmond, Zeit der Gefühle. Dann nichts wie los zum Bürgenstock. Tauchen Sie mit dem bekannten Astrologen Andreas Borbas in die Welt der Gestirne ein. Lassen Sie sich über die Bedeutung des Vollmondes – die schamanische Reise zum Mond – die Meditation – den Urschrei – die magischen Momente informieren und machen Sie aktiv mit.“ Ob man da auch inaktiv mitmachen kann, and who the fuck is Andreas Borbas? „Gesucht wird die Mondgöttin vom Bürgenstock. Preis: Abendprogramm incl. Fahrt mit dem Hämmetschwand-Lift CHF 49.00“ Is that where we’re going? Not so high up! Warum nur Bürgenstock und nicht gleich Mt. Titlis? Nicht zu fassen, der erste aktenkundig gewordene Fall einer esoterischen Misswahl. Dabei wird an Audrey Hepburn, die hier eine Art zweiten Wohnsitz hatte, auch die schönste Mondgöttin nicht herankommen. Gleich neben dem Mondplakat ein weiteres, weniger aufwändiges: „Klassä-Traffä. Ich wett Dich wider äynisch g’seh! Klassentreffen 1900 – 1980.“ Hier in Engelberg sind also noch andere, generationenübergreifende Dinge machbar, nicht nur profane Platteneinspielungen. Anscheinend bevorzugen es die Götter noch immer, in den Bergen zu residieren. Der Name Engelberg ist nicht unpassend. Das Hotel Hess, in dem Herr Eicher so wunderbar musizierte, wurde nebenbei am 31. März 2001 abgerissen. Da kann ich lange angestrengt nachdenken.

      Ohnehin Zeit, ein paar Meta-Ebenen runterzukommen. Zum optimalen Absturz jeder Stimmungslage könnte Josef Mengele beitragen, der in Engelberg noch 1956 seinen Urlaub verbrachte, völlig unbehelligt. Wobei die Frage gestattet sei: Wovon hat der zu jenem Zeitpunkt eigentlich Urlaub gemacht? Bei der Abfahrt hält es mich kaum auf den Sitzen, aber nicht aus schierer Begeisterung. Sinkflug nach Nidwalden, Erdanziehungskraft einmal anders. Mein Laptop hat es noch eiliger als ich, wieder auf den Boden zu kommen und strebt auf der Gepäckablage in einsamer Fahrt talwärts. Früher hat man diesen Zug „Schüttelbecher“ genannt. Barmixer aus der Region Vierwaldstättersee konnten hier ihre Abschlussprüfung ablegen. Ich schaue mich im Abteil um, wer für den Posten der Mondgöttin in Frage käme und werde nicht so recht fündig.

      Die Dame auf dem Sitzplatz gegenüber lauscht einer dieser Entspannungskassetten, den Lautstärkeregler bis zum Anschlag hochgefahren. Der Kopfhörer ist halb verrutscht, so dass das Gequäke deutlich zu verstehen ist. Worte wie „Ruhe“ und „Tiefe“ und „Mitte“ übertönen sogar Fahrgeräusche und machen mich zunehmend hibbelig, zumal es zwischendrin völlig unmotiviert zimbelt. Selbst die Verursacherin blickt zusehends unentspannter drein. Zeit, sich den existenziellen Fragen des Universums zu widmen: Was machen wohl die ganzen Skilehrer jetzt im Sommer? So viele Badeanstalten und Seen kann es im ganzen Land nicht geben, als dass sie da ihr Auskommen als Bademeister finden könnten.

      Von den Bergen herab beobachten Luchse in den Wäldern ratlos das Treiben im Tal. Tags darauf schreibt der Tagesanzeiger: „Während eines Jahres versuchte die kantonale Jagdverwaltung Zürich in Zusammenarbeit mit Jägern, am Albis einen Luchs zu fangen. Erfolg hatten sie nicht, nur ein Fuchs landete in der Falle.“ Lesen konnte der wohl nicht, ohnehin muss die Analphabetenrate unter der einheimischen Tierwelt katastrophal sein, was sich fatal auf die Aussterbequote auswirkt. Vielleicht sollten sie ausgestopfte Luchse aussetzen, denen kann nichts passieren. Um die einsamen Bergdörfer in den Seitentälern des Engadins gänzlich vor dem Aussterben zu bewahren, werden dort seit einigen Jahren wieder Menschen angesiedelt, mit großem Erfolg. Man hat ihnen Sender umgehängt, um wissenschaftliche Erkenntnisse über ihre Aktivitäten zu gewinnen.

      Cisalpino: In memoriam „Schieflage“

      Stück für Stück hat sich die „Italianità“ aus unserem Leben hinausgeschlichen. Mit der Einführung der geschlossenen Wassersysteme im Zugverkehr verschwand der legendäre Toilettenhinweis „Durante le fermate nelle stazioni e vietato servirsi della ritarata.“ Ritirata – eine Vokabel, an der man sich berauschen konnte. Apropos Rausch: Erst kürzlich hat die italienische Polizei 165.467 Liter Wein beschlagnahmt. Diese Menge reicht aus, um mehr als 220.000 Flaschen von 0,75 Litern Inhalt zu füllen, davon größere Mengen vom Brunello di Montalcino; keiner weiß, wie viele davon Gerhard Schröder in seinem Weinkeller stehen hat. Ohnehin missriet die Toskana-Fraktion recht schnell zur Toskana-Fraktur. Auf dem Papstthron saß lange genug einer von uns, aber Miro Klose war der letzte Deutsche in der Serie A. Vielleicht ändert sich das ja, wenn die Hälfte der Italokicker erst einmal wegen Spielmanipulationen im Knast sitzt.

      Wir im Süden hatten Glück. Bis 2006 zumindest, denn dank des Cisalpino fing Italien bereits in Stuttgart an, Stoccarda Centrale, volle sechs Stunden vor Erreichen der Grenze. Der Pendelzug schnürte an den Bahnsteig, mit seiner gedrungenen Stirn und dem blau-grünen Band der Ferrovie Statale, und kaum hatten einen die Türen, so sie denn aufgingen, Zugang gewährt, war man in Bella Italia. Letzte Momente voller Leidenschaft, am Bahnsteig wie im Zug, nicht nur bei den Liebenden, sondern auch bei denjenigen, die Gepäck zu verstauen hatten. Die zur Verfügung stehenden Stellflächen waren keineswegs ausreichend für Umzüge, selbst wenn es nicht wenige Reisende unverdrossen versuchen.

      Niemand hat uns darauf vorbereitet, dass das schon die guten Jahre waren auf der sog. „Gäubahn“. Wie war das damals? Eine Zeitreise, eine Reise ins Glück? Nicht nur ein vages Versprechen, no, no, einige Jahre begann Italien tatsächlich auf Gleis 7, binario sette a Stoccarda. Der Speisewagen wirbt als rollende Lounge mit azurblauen Sitzgelegenheiten – azzuro! – um Kundschaft, anschmiegsam wie ein Kaschmirpullover aus Piacenza. Dazu die Ansagen des Restaurantbetreibers: „Dameunde’Erre ...“ Dies ist die wohl weltweit einzige Lokalität, wo zwischen der italienischen und deutschen Sprache kein nennenswerter Unterschied auszumachen ist. Überhaupt atmen die Ansagen internationales Flair: „My name is Rüthlisberger!“, meldet der Zugchef mit schweizerischem Zungenschlag. Die Betreibergesellschaft ist übrigens in Zürich beheimatet. Richtigen Espresso servieren sie hier, capisce, wenn la macchina funktioniert, und die Kaffeesahne, die man natürlich nur bis Chiasso inklusive in den kleinen Schwarzen schütten darf – in Italien wird man für derlei Frevel an die Stadtgrenze eskortiert – heißt panna caffè, obwohl im Bayernland produziert, und bei den total authentischen Plastikzuckersäckchen handelt es sich um den Original-Italo-Zucker von Novarese Zuccheri, was glauben Sie? Sie bieten panino primavera an, primavera bedeutet bekanntlich Frühling, ein weiteres Versprechen, die Hörnchen hat womöglich

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