Liebe auf den zweiten Blick. Doris Lott
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So habe ich unter anderem in einigen „Tatorten“, im „Polizeiruf 110“ und in der „Soko Köln“ mitgewirkt. Ich hatte das Glück, schon seit zwei Jahren in der Fernsehserie „Die Fallers“ mitzuspielen. Die Rolle der Margarete Markhardt-Siegel, die mit Haaren auf den Zähnen angelegt ist. Eine Frau, die mit der Tür ins Haus fällt und alle nervt, eine Grüne und engagierte Lehrerin. Einer meiner Kollegen nennt mich heute noch meinem Rollennamen nach „MKS“, was allerdings Maul und Klauenseuche bedeuten soll.
Hier fällt mir der zweitgrößte Fehler in meinem Berufsleben ein: Mein festes Engagement am Badischen Staatstheater wurde nach zwölf Jahren nicht verlängert, weil die Intendanz wechselte, und ich lehnte das Angebot ab, im ersten Stück als Gast im Schauspiel mitzuwirken. Ich wollte einen Schnitt machen.
Acht Jahre lang war ich anschließend „freischaffende Künstlerin“. Ich hatte mir geschworen, ohne jedes Hintertürchen, dass ich meinen Sohn und mich von meinem Beruf ernähren würde. Keine leichte Aufgabe. Manchmal verdiente ich in einem Monat dreimal so viel wie im Festengagement, aber es gab auch Monate, in denen ich gar nichts einnahm. Ich wurde zum Glück immer wieder vom Staatstheater und anderen Stellen als Gast für interessante Aufgaben, wie z. B. die Erzählerin im Ballett „Scheherezade“ und als Mitwirkende in fünf Opern, engagiert. Dadurch hatte ich das Glück, die ungeheure musikalische Kraft der Sänger und des Orchesters kennenzulernen. Ein sehr schönes Erlebnis!
Zu meinen Lieblingsprojekten gehörten die musikalisch-literarischen "Führungen" mit den Musikern Uli Kofler und Rainer Möhringer durch die Künstlermesse, der wir, mit dem Publikum durch die Räume wandernd, ernste, schräge, überraschende, verstörende, amüsante „Farbtupfer“ aufsetzten. Und auch meine eigenen Produktionen in der „Insel“ wie: „Neu(e)rosen „ oder „Ich bin eine Frau, holt mich hier raus“ wieder mit Uli Kofler. Beim allerersten Auftritt meines ersten Soloprogramms lachte das Publikum schon, bevor ich den Mund aufmachte, obwohl ich vorher so aufgeregt war, dass ich die roten Flecken an meinen Beinen unter einer schwarzen Strumpfhose verbergen musste.
Nicht vergesen will ich das Stadtinszenierungsprojekt in der Südstadt „Le Città invisibile“ an ungewöhnlichen Orten, wie zum Beispiel dem Automuseum in der Werderstraße. Ich dachte mir in meiner alten Isetta spannende Mafia-Geschichten aus, flocht italienische Schlager ein und immer mehr Menschen blieben stehen und ließen sich mitreißen.
Im alltäglichen Leben Lösungen zu suchen, nicht aufzugeben, neue Ziele zu setzen – dafür habe ich in meiner buddhistischen Praxis und Philosophie eine wunderbare Basis.
Einer meiner Lieblingssätze ist z. B. danach zu streben, Meister seines Herzens zu werden und sich nicht von seinem Herzen „meistern“ zu lassen.
Was für ein Geschenk, dass mir mit 6o Jahren nochmals ein Neuanfang angeboten wurde! Ich habe meine Karlsruher Wohnung zum Teil an Holger aus dem Bioladen am Werderplatz vermietet. Ich werde sie nicht aufgeben, denn ich will zurück in die mir so lieb gewordene Südstadt. Zu meinem inzwischen „geliebten“ Karlsruhe gehören natürlich besonders meine Freunde und das buddhistische Netzwerk mit vielen einzigartigen Menschen, die sich wie ich für den Frieden einsetzen.
Übrigens, auch der Blick aus meinem Küchenfenster in den Hof in der Schützenstraße gehört zu meinem Heimatgefühl. Und der Karlsruher Himmel. Ich fühle mich geborgen in dieser Stadt. Schon jetzt habe ich Heimweh nach meiner Südstadt, wenn ich in der Schweiz bin.
„St. Gallen“, hat mir eine Freundin erklärt, „das ist nur ein dreijähriger Ausflug für dich.“ Das tröstet mich. In Karlsruhe möchte ich nämlich lieber alt werden!
„True love“
Günther und Georg
Im Theaterfoyer strömt mir eine heiter gestimmte Menschenmenge entgegen, festlich gekleidet und in anregendem Gespräch vertieft. Händel-Festspiele 2016. Die Frau an der Garderobe im Kleinen Haus klärt mich auf: „Teseo“, sagt sie und lächelt. „Die sind alle ganz begeistert.“
Ich bin auf dem Weg zu einem französischen Gastspiel und gönne mir noch vor der Vorstellung ein Gläschen Sekt. Plötzlich steht Georg neben mir. Er sieht erschöpft aus.
„Wo ist Ihr Freund?“, frage ich und habe das Gefühl, dass irgendetwas anders ist als sonst.
Georg und Günther sind ein theaterbegeistertes Paar. Keine Premiere im Kleinen oder Großen Haus, ohne die beiden Freunde. Wo der eine ist, findet man auch den anderen.
„Was ist passiert?“
„Mein Freund ist am 11. November verstorben“, sagt Georg. „Ich wollte noch so viel für ihn tun. Er wünschte sich z. B., dass das Schränkchen, in dem er viele kleine Dinge seit seiner Kindheit aufbewahrte, aus dem Keller wieder in die Wohnung zurückkommt. Ich hätte es ihm hochtragen sollen. Und dann seine Autogrammsammlung, auf die er so stolz war, die auch noch im Keller lagert. Hätte ich ihm die kleinen Wünsche nicht noch erfüllen können?“
„Jeder Tod hinterlässt Vorwürfe“, sage ich.
Hat Georg nicht alles getan, was man für einen Freund, mit dem man 31 Jahre lang zusammengelebt hat, tun kann?
Mir fällt die erste Begegnung mit seinem Partner Günther ein, als ich in der Markgrafenschule vor einer Klasse mit Ausländerkindern aus meinem Buch „Anton, der Eisbär“ vorlas. Günther J. wie er geschrieben werden wollte (mit „J“ für seinen Opa Johann), betreute die Kinder und wir alle ließen uns begeistern von dem kleinen Anton aus dem Karlsruher Stadtgarten. Wie gut der Lehrer doch mit seinen Schülern umging.
Seit dieser ersten, näheren Begegnung wechselten wir manchmal, wenn wir uns im Theater trafen, ein paar Worte miteinander. Günther sparte nicht mit Kritik, aber manchmal war auch seine Begeisterung für die Aufführung einer Oper, eines Balletts oder Schauspiels mitreißend. Georg, der junge Freund, hielt sich bei solchen Gesprächen meist zurück, auch dann, wenn die beiden umringt waren von ihren Freunden.
„Manchmal musste ich ihm aber auch widersprechen, ganz einfach, um ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen“, schmunzelt Georg.
Oft ergab sich daraus ein munteres Hin und Her, was dann für alle Zuhörer eine riesen Gaudi war.
„Der Günther wollte immer das letzte Wort haben. Der konnte reden ohne Ende, und er war ja auch gescheit und gebildet, hat in Heidelberg und Wien an der Universität studiert, u. a. bei dem Mediavistik-Papst Wapnewski, und konnte stundenlang über das mittelhochdeutsche Nibelungenlied sprechen und daraus auch rezitieren.
Für mich war er ein Sprachgenie mit seinem „Queens Englisch“, wie er das nannte, denn er hat längere Zeit in London gelebt und dort auch am Opernhaus „Covent Garden“ hospitiert. Er sprach gut Französisch und dank seiner Lateinkenntnisse ganz passabel Italienisch. Ja, die Italiener, die standen seinem Herzen ganz nahe. Italien über alles. Sogar die Eier waren dort besser als in Deutschland, nicht nur die Tenöre und die großen Sängerinnen. Wir haben sie fast alle in Natura gehört. Aber die Griechin Maria Callas, die Callas, war seine große Liebe, er bewunderte sie unendlich. Er war darin einem Freund aus Heidelberger Tagen, dem vor einigen Jahren verstorbenen Filmemacher Werner Schroeter, eng verbunden.
Die Italiener mochten ihn, wenn er mit seinem Veroneser Akzent ihr Loblied sang. „Mio passoporto e tedesco, ma mio cuore e italiano!“