Chimära mensura?. Группа авторов

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Dachses, einer Otter oder eines Mauerseglers zu schlüpfen, stürmt die Bestsellerlisten.17 Man kann einen „Gottesdienst für Mensch und Tier“ besuchen18 oder seit ein paar Jahren beim Institut für Theologische Zoologie in Münster studieren.19 Desweiteren reicht ein Gang in eine Buchhandlung, um weitere der unzähligen Veröffentlichungen, oder der Blick in Verlagsankündigungen, um Anzeigen wie eine auf mehrere Bände angelegte „Ökologiegeschichte“ zu finden, in der es heißt:

       „Als aktiv Handelnde ihrer eigenen Geschichte sind Klima, Berge, Gewässer, Pflanzen, Tiere mehr als die Randerscheinungen, als welche sie üblicherweise wahrgenommen werden: Sie haben aufgehört, bloß Staffage zu sein in der Geschichte der Menschheit. Sie reagieren in dieser Geschichte auf menschliches Tun und lassen uns keine Fehler durchgehen.“ 20

      Wird hier „uns“, also allen Menschen, armen, reichen, großen, kleinen, behinderten, von rassistischen Diskriminierungen oder von Homophobie betroffenen Personen, „durch die Blume“ mit Revanche gedroht? Oder hat man es eher mit einem apokalyptisch grundierten Raunen zu tun? Knüpfen Veröffentlichungen in diesem Geiste an die Narrative des „tiefenökologischen“ bzw. „biozentrischen“ Denkens an, deren radikalere Vertreter Menschen schon mal als „Krebsgeschwür“ am Planeten Erde bezeichnet haben oder auch Tötungen als Mittel gegen eine angebliche Überbevölkerung nicht ausschlossen?21 Man wird sehen.

      Jedenfalls wird inzwischen im blühenden akademischen Feld der Human-Animal Studies (HAS) einträchtig sowohl das „sozialistische“22 als auch das „nationalsozialistische Tier“23, der „Zoo der Anderen“24, d.h. das tierische „Wettrüsten“ des ost- und westberliner Zoos im Kalten Krieg, aber auch der „Hunde“- bzw. „Tiersoldat“25 zum Gegenstand von meist tiefsinnigen historischen Untersuchungen gemacht. Mit Blick auf Pferde und die Onkomaus, eine gentechnisch modifizierte Hausmaus, wird die „für westliche moderne Gesellschaften konstituierende Differenz und damit einhergehende Asymmetrie zwischen Menschen, Tieren und Maschinen […] infrage gestellt“.26 Eine Vertretreterin der HAS formuliert die verbreitete Infragestellung folgendermaßen:

       „In sum, posthumanist ontology can be seen as various relationships that connect us in complex networks […] advocate for alternative ontology that rejects western dualisms such as fact and value, human and nonhuman, along with nature and culture, and rather looks to emphasize relations between entities.” 27

      Mit Verweis auf ein Theaterstück von Raymond Roussel, in dem ein Regenwurm eine zentrale Rolle spielt, „der Musik auf einer Zither spielt, indem er seine Exkremente über die Saiten fallen lässt“28, erarbeitet ein Autor eine ganze „Kulturgeschichte des Wurms [aus], seiner Rolle in der romantischen Kunstphilosophie und seiner Handlungsmacht in ästhetischen Prozessen“.29 Dabei ist nicht nur auch wieder von angeblichen „Mensch-Tier-Kollaborationen bei der Herstellung von Kunstwerken“ die Rede, sondern gar von einer „Ikonografie von Scheiße“ und davon, wie „Scheiße und Kultur in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellt“ seien.30 Abschließend sei erwähnt, dass es auch das Plädoyer für die Entwicklung einer Philosophie des Polypen gibt.31

      Die geschilderte Gemengelage und die nicht einmal in Umrissen skizzierten Trends trugen offenbar zur Entstehung einer Konstellation bei, in der ernsthaft Fragen aufgeworfen und debattiert wurden, ob der Deutsche Schäferhund eine Mitschuld an der Nazi- und SED-Diktatur gehabt haben könnte oder Schäferhunde als „Napfsoldaten“ Täter oder doch die eigentlichen Opfer der deutschen Teilung gewesen seien. Überlegungen dieser Art, vorgetragen auf einer Konferenz und veröffentlicht in einer Fachzeitschrift, sind 2016 als „Schäferhund-Hoax“ bekannt geworden und haben vor allem der Geschichtswissenschaft eine unangenehme Diskussion beschert, die u.a. auf einem Workshop im Oktober 2016 an der Technischen Universität Berlin geführt wurde.

      Aber der Reihe nach: Begonnen hatte alles im Herbst 2014, als eine Doktorandin am Center for Metropolitan Studies der TU Berlin im Rahmen ihrer Dissertation zu einem Workshop mit dem Titel „‚Tiere unserer Heimat‘. Auswirkung der SED-Ideologie auf gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnisse in der DDR“ einlud.32 Im Call for Papers33, auf den die o.g. Doktorandin „Schulte“ reagierte, scheinen nicht nur halbgare Bezüge zu teilweise diametral gegensätzlichen Deutungsangeboten zur DDR-Geschichte durch. Ihn prägt auch ein etwas überreichlich anmutendes Selbstlob, wenn ein ziemlich weit gefasster, tendenziell allumfassender Erklärungsanspruch anklingt, wonach „die Untersuchung von Mensch-Tier-Beziehungen [...] zu einem Schlüssel für eine neuartige Gesellschaftsanalyse werden“ könne.34

      Soweit bekannt, fühlten sich mindestens zwei Personen angespornt, mit satirisch gemeinten Papers ins Rennen zu gehen. Der Berliner Zeithistoriker Florian Peters schlug einen Vortrag mit dem großspurigen Titel „Freie Liebe im Schatten der Mauer: Das staatssozialistische Mensch-Tier-Verhältnis aus der Grenzperspektive der Wildkaninchen“ vor. Peters, der auch als Autor in diesem Band vertreten ist, zog dafür ausschließlich tatsächlich verfügbares kulturhistorisches Quellenmaterial heran, vermischte aber bewusst Formulierungen zu „Eigen-Sinn“ und Agency mit solchen aus dem interpretativen Totalitarismus-Kosmos des Forschungsverbunds SED-Staat bzw. des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung (HAIT). Dass Peters diese eigentlich gegensätzlichen Interpretationsmuster in seinem Vortrag unbekümmert miteinander verband und überdies betont leger gekleidet zu dem Workshop erschien, erregte jedoch keinerlei Anstoß.

      Auch „Christiane Schulte“ und ihr Team wurde wohl aus dem Geiste dieses Call for Papers geboren. Sie bauten ihren Beitrag nach einem ähnlichen Muster wie Peters, erfanden aber Quellen und Zitate. Beispielsweise postulierte „Schulte“ eine „zentrale Bedeutung der Human-Animal Studies für die neuere Totalitarismusforschung“, weil sie „den Nachweis einer tierischen Eigenlogik, vielleicht sogar eines ‚Eigensinns‘ im Sinne von Alf Lüdke, die Grenzen des Totalen aufzeigen“ könne. Der Text ist eine einzige Aneinanderreihung von Oxymora wie: „Gerade im Sinnbild des DDR-Totalitarismus, den Grenzanlagen an der Mauer“, zeige sich die Unmöglichkeit der totalen Kontrolle über Mensch und Tier.35 Der Workshop umfasste insgesamt acht Vorträge, die auf der Basis von vorab zirkulierten Papers diskutiert wurden. So wie an anderer Stelle völlig ernstgemeint die Handlungsmacht eines Regenwurms erforscht wird, so fragten die beiden nach der Agency von Häschen und Hunden. Ironischerweise fanden sich die Satiriker sogar gemeinsam auf einem Panel wieder, wo sie ihre Beiträge unter der Überschrift „Grenztiere“ unter das akademische Publikum brachten.

      Anett Laue, von der gleichfalls der Call for Papers stammte, schrieb im Tagungsbericht, in dem sie neben ihrem eigenen Beitrag36 gerade auch die beiden Wissenschaftsparodien herausstellte, Peters habe versucht, „die besondere Bedeutung der Kaninchen für die DDR-Gesellschaft herauszuarbeiten“. Die Grenzkaninchen seien zur „Projektionsfläche zahlreicher künstlerischer Auseinandersetzungen“ geworden, was ihre „Relevanz [...] für die DDR-Gesellschaft“ belege. „Schulte“ wiederum habe „weitreichende Kontinuitäten“ totalitärer Staatsgewalt „aufgedeckt“ und eindrucksvoll die These belegen können, „dass trotz des eingeschränkten Handlungsspielraums der ‚Kettenhunde‘, jene durchaus „eigensinniges Verhalten“ an den Tag“ gelegt hätten, das dem Grenzregime zuwidergelaufen sei. Auf dem Podium sei „eine Debatte über die DDR-Gedenkkultur“ geführt worden. Im Tagungsbericht heißt es dazu: „So gibt es in Berlin etwa einen Erinnerungsort für die Grenzkaninchen. Die zahlreichen Grenzhunde haben hingegen (noch) keinen Eingang in eine umfassende Erinnerungskultur der innerdeutschen Grenze gefunden.“ Daran habe sich „eine eingehende Diskussion über Schäferhunde als ‚Mittäter‘“ angeschlossen, über deren Erträge sich der Tagungsbericht aber ausschweigt.

      In der Abschlussdiskussion wurden die Schulteschen „Napfsoldaten“ noch einmal zum Thema: Das „Beispiel des Deutschen Schäferhundes“ habe exemplarisch belegt, dass die DDR-Historiographie „durch einen diachronen Forschungsansatz profitieren“

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