Reformierte Theologie weltweit. Группа авторов

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keine Argumentier-Theologie sein will. Dialektik ist immer mehr als das ordentliche Logische, auf die Wirklich­keit gerichtet. Kierkegaard nannte es ‹existenzielles› Denken. Existenz­denken. Denn die Personen von Dostojewski werden nicht ausgedacht, auch nicht zu Ende gedacht […], sondern das Geheimnis ihrer Existenz wird so tief wie möglich ausgeschöpft. Dort irgendwo auf dem Boden der Wirklichkeit hat man dann eine Chance, etwas von Gottes Offen­barung zu sehen. Ungefähr so will auch Barth theologisieren […].» (VW 3, 620)

      4.4 Praktische Ausrichtung

      Der niederländische Theologe Gerrit Neven hat in seiner Dissertation über Noordmans dessen Theologisieren als «scientia practica» typisiert, was dem vierten von Gerrish genannten Punkt entspricht.22 Gerrish be­hauptete, dass der reformierte Theologe nicht nur Gedanken produziert, sondern auch «wohldurchdachte Handlungen». Alle theologische Arbeit von Noord­mans᾿ ist darauf ausgerichtet, Orientierung für Probleme des Gemeindelebens und für Situationen, in denen Christen sich befinden, zu geben. Er schreibt gleichsam mittels eines Umweges über historische Un­tersuchungen auf die kirchlichen und sozialen Verhältnissen hin. Diese auf das konkrete Leben gerichtete Arbeitsweise ist tief in seiner pneu­ma­tologischen Sichtweise verankert. Das Evangelium bleibt toter Buchstabe, bis es ins Leben aufgenommen ist und dort wirkt. Es geht darum, dass Menschen einen Weg gezeigt bekommen, wie sie im Leben Anschluss an Weg und Werk des Heiligen Geistes bekommen. Das gibt der Arbeit von Noord­mans einen stark pädogogischen Einschlag. So lie­fert er zum |62| Beispiel eine Sicht des Lebens als «Teilen» in einer Bespre­chung des Buches «Terre des Hommes» des Autors und Piloten Antoine de Saint-Exupéry. Dieser erzählt von seiner Rettung nach einer Notlan­dung in der Wüste, die ihm wegen Wassermangels beinahe das Leben gekostet hätte. In dieser Situation lernt der Autor, dass Leben Teilen bedeutet. Noord­mans notiert dazu:

      «Das Leben ist ein Symposion, ein Konvivium, das mit viel leichteren Tönen gespielt werden muss. Selbst das Wasser in der Wüste – so der Autor – ist es nicht selbst. Denn warum sollten wir es dann mit so viel Freude teilen? ‹Le plaisir véritable est le plaisir de convive.› Das Lä­cheln, womit die Retter es herantragen! Dabei fühlte der Autor sich glücklich!» (VW 4, 487)

      4.5 Diener des Wortes: «Reden wie aus Gott»

      Bei diesem letzten Punkt scheint das Wesentlichste der reformierten Identität angesprochen, nämlich, dass man jemand ist, der für Gott in der Welt spricht. Und das, weil er oder sie nicht anders kann. Hier steht die gan­ze Existenz der Person auf dem Spiel. Von den Bemerkungen von Gerrish ausgehend, fällt mir Noordmans᾿ Typierung der Existenz des Pas­­to­ren/Theologen ein: die Existenz einer homuncio quispiam (VW 5, 379; 6,20), ein aus dem Staub gezogener Mensch, der etwas von Gott zu er­zählen hat. Und der dies kann wegen der Erfahrung der Freiheit in seiner durch Christus gerechtfertigten Existenz. Dies sind Worte, die Noord­mans von Calvin entlehnt. Es geht in dieser Zeichnung der Exis­tenz um Echtheit. Um einen Menschen, der so spricht, dass aller Schein verschwun­­den ist. Es ist ein Reden, in dem – mit einem Lieblingsaus­druck von Noord­mans gesprochen – Gott die Grenze ist. Es geht nicht darum, der Welt Informationen über Gott zu geben. Es geht darum, für Gott in der Welt zu leben und zu reden; mit Gott und dank Gott.

      Gerrish verweist im Zusammenhang mit dem fünften Punkt auf Jer 20,9. Noordmans führt den Text in einer Predigt zu einem Pauluswort in 2Kor 2,17 ebenfalls an. Dieser Text besagt: «Wir jedenfalls sind nicht wie die vielen, die das Wort Gottes zu Markte tragen; lauter und klar, aus Gott und vor Gott, reden wir – in Christus.»

      Was wird damit gesagt? Ich zitiere ein kurzen Abschnitt aus einer Predigt Noordmans᾿: |63|

      «Wenn wir durch die Türen eines Menschenherzes eintreten, dann können wir von Zimmer zu Zimmer gehen, zurück und zurück. Und wenn wir dann nach dem, was dort verborgen liegt, suchen, dann kann kein Philosoph oder Gelehrter das finden. Dann liegt da Gottes Wesen als die Quelle, woraus alles fliesst. Wer kann beschreiben, was für ein herrlicher Trost es ist, wenn von dort her die Worte kommen. So fühlte Jeremia sie kommen, als er sagte, dass er sie wie ein Feuer in seinem Innern fühlte (Jer 20,9). Reden wie aus Gott, bezeugen […]. Und auch wenn alles nicht so gewaltig ist: Bei den Aufrichtigen kann doch dieselbe Erfahrung gemacht werden, dass ihre Worte aus Gott ge­redet sind. Solche Worte sind rein, fein und lauteres Gold. Es braucht nicht hoch zu sein, aber es muss echt sein» (VW 7, 161; Her­vor­­­hebung A.vdK.).

      Lässt sich mit diesen fünf Annäherungen an Noordmans mit Hilfe von Gerrishs «reformierter Geisteshaltung» etwas anfangen für ein Profil re­formierter Identität im 21. Jahrhundert? Zuhörend zu denken; sich kritisch zur Tradition zu verhalten, aufmerksam dafür zu sein, dass das Heil des Evangeliums nicht verkürzt wird; sensibel zu bleiben für die Einsichten, die durch Zeitgenossen in anderen Welten von Kunst und Literatur arti­kuliert werden; praktisch zu sein im Sinne eines Tastens danach, wo im Leben selbst das Evangelium hörbar wird; und Echtheit im Reden für Gott in dieser Welt zu suchen. Alle diese Kennzeichen haben ihren Grund in dem, was Gerrish im Korintherkommentar Calvins gezeigt hat: Christus anhaften. Wir haben gehört, dass dies für Noordmans eine erkenntnisthe­oretische Dimension hat: In der Nähe des Gekreuzigten wird offenbar, was Menschsein ist. Im Folgenden meine letzten Bemerkungen zu Noord­mans᾿ theologischen Reflexionen zu diesem zentralen Punkt.

      5. Noordmans’ Beitrag zur Theologie des 20. Jahrhunderts: der kritische Schöpfungsbegriff

      Jeder von Noordmans verfasste Text ist ein Beispiel von Traditionsbil­dung im Kontext des 20. Jahrhunderts. Der innovativste Punkt dieser Tra­di­tions­bildung ist, wie gesagt, Noordmans᾿ Erneuerung des Schöp­fungs­­be­griffes. In diesem Begriff konzentriert sich seine Aufmerksamkeit auf das |64| Wirken des Geistes als Spiritus Creator. Noordmans führt ein neues theologisches Denken ein, in dem die Schöpfungslehre, die Lehre vom Heil in Christus und die Lehre von der Neuschöpfung im Verständ­nis des Wirkens des Geistes gründen. In diesem Wirken des Geistes ist das Kritische und Schöpferische des Gotteswortes in der Welt wirksam. Der Schöpfungsbegriff hat Noordmans zufolge seine Herkunft nicht in einer Erfindung (er ist nicht «thetisch»), sondern in einem Urteil (es ist «kri­tisch»).23 Schöpfen ist, so Noordmans, nicht etwas herstellen, sondern scheiden.

      Gott ist kein Töpfer, weil er Gefässe herstellt und modelliert, sondern weil Er scheidet zwischen dem einen und dem anderen Gefäss (Röm 9,21). Schöpfen ist Scheiden, kein Formen. Gott ist Geist, und Er wirkt durch Urteile. (VW 255)24

      Der kritische Schöpfungsbegriff besagt, das Gott in dieser Welt das Dä­monische und das Humane auseinanderhält (was in menschlicher Ethik immer durcheinandergerät) und auf diese Weise das Menschenleben zu Gottes Zukunft, zu Gottes Reich, führt und darin bewahrt. Neuschöpfung im Geist ist damit keine Restauration (wie im Neocalvinismus), sondern ein neues Werk Gottes im Geist. Die Arbeit des Geistes ist göttlicher Un­terricht, um Menschen zu lehren, was Schöpfung ist. Dieser Unterricht fängt Noordmans zufolge in der Nähe des Kreuzes Jesu Christi an.

      In «Neuschöpfung» sieht man, wie Noordmans die Schöpfung als ei­nen Lichtpunkt rund um das Kreuz beschreibt und damit ein urchristli­ches Motiv aufnimmt, das den Akzent der Reformation auf der theologia crucis verstärkt. Gleichzeitig vermeidet er damit, dass diese – wie in der erfahrungsorientierten Theologie des 19. Jahrhunderts – auf ein Wort reduziert wird, das nur das Innere des Menschen berührt. «Christus an­haften», die grundlegende Geisteshaltung, die Gerrish bei Calvin ver­deutlichte, bekommt hier ihre tiefe Bedeutung.

      «Die Schöpfung, die die Wissenschaft behandelt, ist nicht die eigentli­che Schöpfung. Sie ist eine Abstraktion. In der wahren Schöpfung be­gegnen wir der Sünde und dem Leiden und dem Tod, die zum Jesus |65| des Apostolischen Glaubensbekenntnisses passen […] Wenn wir die Schöpfung nicht als ein abgeschlossenes Ganzes nehmen, sondern sie eng mit Christus verbinden, so wie wir das Evangelium mit dem

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