Reformierte Theologie weltweit. Группа авторов

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beginnt damit, aber ohne uns weiter etwas davon zu erzäh­len. Sie sagt nur, dass alles gut war. Damit haben wir dann einen Mass­stab in Händen, um zu erkennen, dass alles gefallen ist […].» (VW 2, 245f.)

      Im Reden über Neuschöpfung wird unterstrichen, dass erst in der Nähe des Gekreuzigten offenbar wird, was Schöpfung ist. Noordmans nennt die Worte Jesu am Kreuz «Schöpfungsworte». Sie reden von einer Welt, die ex nihilo geschaffen wird. Ein Mörder wird eingeladen ins Paradies. Theologisch ist hier gesagt, dass der erste Satz des Glaubensbekenntnis­ses, nämlich: «Ich glaube an Gott dem Schöpfer», vom zweiten her aus­ge­legt werden muss. Mit dieser Umstellung stellt sich Noordmans gegen ein un­fruchtbares Ursprungsdenken und gegen eine ungebrochene Schöp­­fungs­theologie, wie er sie im Neocalvinismus von Abraham Kuyper antraf. Diese Umstellung ist laut Noordmans aufgenommen in einer tri­nitarischen Bewegung: «Die Evangelien verkündigen uns ein neues trini­tarisches Werk, und von Golgotha her sehen wir die Schöpfung besser als vom Paradies her.» (VW 2, 412)

      Wenn man sehen will, was geschieht, wenn ein Theologe mit einem Schöp­fungsbegriff arbeitet, der seine Bedeutung vom Kreuz her be­kommt, dann muss man Noordmans᾿ Meditationen lesen (VW 8). Dort sieht man den Begriff «wirken». Sein Schöpfungsbegriff (lies: seine Neu­in­ter­pretation des altkirchlichen Dogmas) ermöglicht Noordmans eine neue Perspektive auf den Text der Bibel. Noordmans liest diese Texte auf die Zukunft hin. Er zeigt das Schöpferische im Text. Als Beispiel sei hier hingewiesen auf eine Meditation zu Gen 12,1 mit dem Titel «Der fah­rende Ritter». Der fahrende Ritter ist Abraham, dessen Profil hier ge­zeichnet wird im Vergleich mit Don Quichotte aus Cervantes’ Roman (vgl. meine Be­merkungen oben in 4.3). Noordmans unterstreicht Abra­hams Umher­streifen und seine Grosszügigkeit gegenüber seinem Neffen Lot. Wir hören: |66|

      «Abrahams Leben richtet sich vollständig auf das andere Land, das Gott ihm zeigen wird. Eigentlich lesen wir von ihm keine Lebensge­schichte. Es ist vielmehr eine Geschichte seines Glaubens. Als Lebens­geschichte kannst du mit einer Kugel hindurchschiessen. Ganz anders als bei seinem Enkel Jakob. Wir kennen Abrahams Leben nur als ein Skelett. Er tut nichts anderes, als sich zu trennen. Sich trennen von sei­nem Vater, von seinem Neffen Lot (Gen 13,9), von Hagar (Gen 21). Was sind das für leere Räume, die dazwischen entstehen? Wie soll man sie nennen? […] Abraham hatte seinen Frieden damit. Er war sich der Dynamik dieser leeren Räume in seinem Leben bewusst. Er wusste, dass Gott leere Räume braucht, um schaffen zu können, und dass es sich mit dem Glauben genauso verhält. Darin fand er den Mut, sich immer wieder zu trennen. Abraham wird der Vater der Gläubigen genannt. ‹Der Glaube aber ist die Grundlegung dessen, was man er­hofft, der Beweis für Dinge, die man nicht sieht› (Hebr 11,1). […] Ab­raham blieb in der Leere, d. h. im Glauben […].» (VW 8, 183f.)25

      Die erzählte Geschichte weist uns nicht zurück in eine Urzeit, sondern nach vorn zum Leser in der eigenen Zeit. Die Geschichte erzählt von einer Möglichkeit des Menschseins, einem Menschsein, das durch Treue be­stimmt ist. So setzt die Geschichte den Leser auf die Spur dessen, was gut ist und Zukunft hat.

      Auch diese Meditation ist Traditionsbildung. Man spürt hier Noord­mans᾿ Liebe zur Romantik. Diese äussert sich in der Aufmerksam­keit für die Partikularität. Man findet das vor allem in Noordmans᾿ Hin­weisen auf konkrete Ereignisse in der erwähnten Genesisgeschichte: den (nicht an­genommenen) Schuhriemen (Gen 14,23); das Nichtgebundensein eines Menschen an Zeit und Raum. Aber Noordmans bleibt nicht im Ro­man­ti­­­schen stecken. Inmitten dieser Konkretheit steht die Entdeckung, was Glauben ist: Leben in der Leere, offen für die Stimme, die spricht. Diese Leere ist von Gott. Und damit steht sie der nihilistischen und exis­ten­tia­lis­ti­schen Leere entgegen, in der der Leser sich befindet. Es ist eine Erzäh­lung |67| darüber, wie das neue Menschsein zustande kommt, und da­mit sagt sie noch einmal etwas Wichtiges zum Thema reformierte Identi­tät.

      Fazit: Mit seinem pneumatologischen Ansatz hat Noordmans einen wich­tigen Beitrag zum Durchdenken des Themas «Reformierte Identität» ge­liefert. Wie erwähnt ist in seinem theologischen Denken die Anthropolo­gie in der Pneumatologie aufgenommen. Reformierte Identität heisst: dyna­­mische, geistgewirkte Identität. Sie entsteht in der Glaubensent­schei­­­dung, mitten im Leben – die aktive Seite. Sie zeigt die schöpferische Wir­kung des Gotteswortes im Leben des Menschen und der Welt – die passive Seite. Der pneuma­tolo­gische Ansatz besagt, dass der Mensch viel mehr ist als eine (aristotelisch/cartesianisch verstandene) Selbstreferen­tia­lität, weil er im Kraftfeld des Geistes existiert, Christus anhaftend: kö­nig­lich, prophetisch, priesterlich. Reformierte Identität heisst beteiligt sein an der Neuschöpfung, der Umsetzung aller Dinge – der Geburt von Gottes Welt.

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II. Reformierte Identität im Kontext von Natio­nalsozialismus und Kaltem Krieg

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      Reformierte Identität im Kirchenkampf und im Kalten Krieg: Wilhelm Niesel (1903–1988)*

      Hans-Georg Ulrichs

      1. Wilhelm Niesel: Repräsentant des deutschen Reformier­tentums in globalen Kontexten

      Nur wenige Wochen vor seinem Tod im Jahr 1988 erhält Wilhelm Niesel zu sei­nem 85. Geburtstag einen offi­ziellen Ge­burtstagsgruss der deut­schen Refor­mi­erten durch den da­maligen Modera­tor des Reformierten Bundes, Hans-Joa­chim Kraus: Niesel «hat uns bewusst gemacht, was ‹re­formiert› heisst: Das Wort, das Wort und nichts als das Wort!»2 Dieser Gruss spiegelt möglicher­weise mehr das Selbstverständnis des Geehrten wider als die Wertschätzung, die ihm gewiss auch zukam – und na­tür­lich haben sich die Reformierten auch unter Niesels Führung mit zahlrei­chen an­deren Din­gen |72| beschäftigt als mit dem «Wort» allein. Auf jeden Fall lässt dieser Geburtstagsgruss ahnen, dass Niesel bereits zu Leb­zeiten über Jahrzehnte hin als die Per­soni­­­fi­­­zierung des reformierten Pro­tes­tan­­tis­mus in Deutsch­land galt und in der Retrospektive als der ein­flussreichste Re­präsentant dieser Konfession zu identifizieren ist. Durch sein ökume­ni­sches Enga­ge­ment auf globaler Ebene und seine bald füh­rende Mitarbeit im Re­for­­mier­­­­ten Weltbund (RWB), die von seiner Präsi­dentenzeit 1964–1970 gekrönt wur­de, wurde diese Einschätzung auch weltweit geteilt. Kaum jemand galt in der reformierten Weltfamilie in der zweiten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts als so reformiert wie Wilhelm Niesel. Bezeichnender­wie­­se schrieb etwa nach Nie­sels Ehrenpromotion 1954 der Dekan der theologischen Fakultät Aber­deen an Niesel, er sei in Schottland will­kommen, «weil Sie die refor­mier­ten Brüder aus ganz Deutschland würdig repräsentieren».3 Und so wurde aus dem «Eisernen Wilhelm», wie er respektvoll in Deutsch­land ge­nannt wurde, der «Welt-Wilhelm».4

      Niesel ist eine bemerkens­werte Figur innerhalb der neueren refor­mier­­ten Kirchengeschichte, deren Weg zu kennen für die Beurteilung dieses zur Rede stehenden protestan­tischen Formats erhellend ist.

      Niesel verdiente sich durch seine wissenschaftlichen Arbeiten und die persönliche Nähe zu Karl Barth seine theologischen Sporen kurz vor dem und im «Dritten Reich» und sammelte kirchenpolitische Erfahrungen – freilich bis hin zu lang anhaltenden «Traumatisierungen» – während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Führend tätig und da­mit auch konfessionspolitisch prägend wurde Niesel trotz seines relativ jungen Alters gleich nach 1945, also in einer «durch einen eisernen |73| Vorhang ge­trennten Welt»5, die er – gerade wohl auch als geborener Ber­­li­­­ner – schmerzhaft wahrnahm. Die totalitären Diktaturen und dann die in Ost und West zerrissene Welt liessen in ihm die Gewissheit wachsen, dass die Menschen

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