Reformierte Theologie weltweit. Группа авторов

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nach 1945 wären an Niesels Tun gut zu überprüfen.

      Die bereits genannten Arbeitsgebiete überschritt Niesel durch seine Mitarbeit im Zentralaus­schuss des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) und im Reformierten Weltbund. Höhepunkt seiner ökumenischen und kirchen­politi­schen Karriere waren zweifelsohne die Jahre 1964 bis 1970, in denen er als Präsident des Reformierten Weltbundes die Welt bereiste. Diese Jahre waren freilich aber auch schon der Beginn einer Ent­frem­dung vom zeit­genössischen Refor­miertentum: Die Frankfurter Gene­­­­ral­­versammlung hatte 1964 noch den weltbekannten Calvin-Forscher und tapferen Kir­chenkämpfer zum Präsidenten des Reformierten Weltbundes gewählt, und als solcher hat er in diesen Jah­ren sein Amt ausgefüllt, indem er nicht müde wurde, auf das theologi­sche Erbe der Bekennenden Kirche und die reformierte Tradition hinzuweisen. Doch in den 1960er Jahren wurden die gesellschaftspoliti­schen und globalen Fragen nach wirt­schaftlicher Gerechtigkeit und Frieden auch im Reformierten Welt­bund immer dringli­cher. Niesels Verdienste um die Verschmelzung der Presbyterianer und der Kongrega­tionalisten zu einem Weltbund 1970 in Nairobi wurden überschattet von kräftigen Dissonanzen.36

      Als Niesel Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre seine kirchlichen Ämter niederlegte, gab es viel Lob. Aber alle Würdigungen zu seinem 70., 75. und 80. Geburtstag lassen doch er­kennen, dass Niesels Person, seine Theologie und sein Führungsstil anachronistisch geworden wa­ren. Es |81| kommt wohl nicht von ungefähr, dass seine Kirchenkampf-Erinnerun­gen37 von der Fertigstellung bis zur Publikation fast vier Jahre benötigten. Einigermassen unzeitgemäss erscheint dann auch Niesels «theologisches Testament», eine Vorlesungsreihe 1978 in Japan unter dem Titel «Lobt Gott, den Herrn der Herr­lichkeit. Theologie um Gottes Ehre».38 In diesem letzten Buch vertritt Niesel politisch und kirchlich zwar durchgängig «progressive» Positionen, aber dem Buch haftet ein repristinierender Ton an, indem immer wieder auf Schrift und Bekenntnis rekurriert, nein: ge­pocht wird. – Wenige Wochen nach seinem 85. Geburtstag ist Wilhelm Niesel am 13. März 1988 in Königsstein im Taunus gestorben und im re­formierten Dörflein Schöller nahe Wuppertal beerdigt worden.

      3. Kirchen- und konfessionspolitische Argumentationsmus­ter

      Konfessionelle Selbstbestimmung diente bei Niesel vor allem der Frage nach dem, was denn Kirche sei. Dass Niesel später so vehement für die Abendmahlsübereinkünfte von Arnoldshain und Leuenberg und für die EKD als Kirchengemeinschaft – und nicht etwa nur als ein mehr oder minder losen Bund von Landeskirchen – eintrat, findet seinen Grund nicht zuletzt in den im Kirchenkampf erkämpften Positionen. Es ging gerade nicht um konfessionelle Quisquilien, sondern um die Existenz und das Sein der Kirche. Bereits in der ersten gewichtigen Äusserung der Re­formierten im Frühjahr 1933 markieren die Düsseldorfer Thesen mit ei­nem Zitat der Berner Thesen von 1528 die grundsätzliche Bedeutung der Aus­einandersetzungen: «Die heilige christliche Kirche, deren einiges Haupt Christus ist, ist aus dem Wort Gottes geboren, in demselben bleibt sie und hört nicht die Stimme eines Fremden.»39 Die bekenntniskirchli­chen Refor­mierten |82| verweigern sich einem konfessionell-strategischen Denken nach Machtanteilen innerhalb einer organisatorisch neu zu ord­nenden Kirche. Sie wollen nicht Anpassung, sondern Reformation, gehen deshalb auch nicht nur auf die veränderten gesellschaftlich-politischen Verhältnisse ein, sondern greifen in ihren Argumentationen weiter in die Geschichte des Protestantismus zurück.

      In einem Vortrag vor der Ersten freien reformierten Bekenntnissynode im Januar 1934 in Barmen40 stellt Niesel fest, dass es einfach mit einem Bekenntnispostulat in der gegenwärtigen Lage nicht getan sei; andere Trennungen hätten sich aufgetan, reformatorisch-bibeltreue Kirche versus Neuprotestantismus oder deutschchristliche Häresie. Deshalb gälte: «Die Na­men lutherisch und reformiert sind heute [1934] zu Vokabeln gewor­den, die nichts sagen, wenn sie nicht erläutert werden.»41 In den Unions­ki­r­chen gab es ja bereits ein Miteinander von lutherisch, reformiert und uniert bekennenden Gemeinden. Und da sich über die Konfessions­grenzen hinweg ein neues, unter Umständen sogar gemeinsames Beken­nen abzuzeichnen begann, ging es um die «Kernfrage»: «Ist unsere Kir­che, der wir angehören, Kirche, oder ist sie es nicht? Dürfen wir in ihr die Kirche Jesu Christi glauben oder nicht?»42

      Besonders innerhalb der Bekennenden Kirche wurde um ein ge­mein­­­­sames Bekennen gerungen, war es doch beispielsweise bis dahin noch nicht möglich, wäh­rend der Barmer Bekenntnissynode gemeinsam das Abendmahl zu feiern. Es entstanden etwa die beiden Schriften «Was heisst lutherisch?» von Hermann Sasse (München 1934, 21936) und «Was heisst reformiert?» von Wilhelm Niesel (München 1934), und weiter­­­ge­­­hend hat man sich inner­halb der Bekennenden Kirche auch um eine Klä­­­­rung |83| des Abendmahls­verständnisses bemüht, vor allem durch Helmut Goll­witzers grosse Studie43 und die «Abendmahlssynode» in Halle 1937.44

      In seiner Schrift «Was heisst reformiert?» traktiert Niesel dann auch kaum die konfessionelle Frage, sondern klärt zahlreiche grundsätzliche ekklesiologische Fragen und schreibt die oben markierten Positionen «im heutigen Kampfe um die Kirche»45 fort. «Reformiert» im Sinne von «er­­­neu­­ert» bezieht sich stets auf die Kirche, nicht auf eine Konfession. Des­­­­­­­­­­halb fragt Niesel nach der «Regel und Richtschnur für die Erneuerung der Kir­che»: Reformiert bedeute genaugenommen «nach Gottes Wort re­for­miert». Daraus folge die unbedingte Anerkenntnis des Wortes Got­tes, «wie es uns in der Heiligen Schrift gesagt wird»46. Dabei, so Niesel, «wird […] deutlich, dass es sich beim Schriftwort letztlich um Christus han­delt»47. Auch das Alte Testament soll ganz christologisch gelesen wer­den, da es sich in beiden Testamenten um den einen Bundesgott handelt.48 In dieser Schrift wendet sich Niesel deshalb auch nicht gegen andere Kon­fessionen, argumentiert nicht konfessionell-polemisch49, sondern atta­ckiert |84| mit scharfen Worten alle Theologie und Kirchenpolitik, die nicht steil allein bei der Offenbarung ansetzt:

      «Wer die Konfession als Gestalt versteht, die […] entstanden ist und sich dann in der Geschichte ausbreitet, der weiss nicht, dass Konfessio immer das Bekenntnis der einen Kirche zu ihrem Herrn ist.»50

      Konfessionell bedeutet bei Niesel, jedenfalls dem eigenen Anspruch nach, bekennend zu sein, das heisst den Herrn der Kirche in dieser Welt beken­nend, nicht jedoch ein kirchenpolitisches Agieren für die Stärkung der eigenen Konfession im Sinne von Denomination. Gewiss trifft die Cha­rakterisierung Niesels zu: «Geist und Wirklichkeit des reformierten Be­kenntnisses prägen ihn [sc. Niesel].»51 Aber ein Konfessionalist war Niesel keineswegs: «Obschon Niesel seine reformierte Herkunft nie verleugnet hat, stehen konfessionelle Rechtfertigungen während des Kirchen­kampfes nicht im Vordergrund seines Interesses.»52

      In Niesels Vorträgen und Schriften des Kirchenkampfes stösst man – abgesehen von den Zitaten und Anspielungen auf Johannes Calvin, den Heidelberger Katechismus und wenigen «reformierten Vätern» wie etwa Paul Geyser – auf die Entscheidungen der Bekenntnissynoden. Be­sonders rekurriert Niesel aber auf Barths Werk, so etwa – um nur ein Beispiel zu nen­nen – auf die dreifache Gestalt des Wortes Gottes aus Kirchlichen Dog­matik I/1 (§4).53 Und ganz offenkundig schliesst sich Niesel auch bei der Frage der konfessionellen Selbstbestimmung den Überlegungen Barths an, die dieser, der Shootingstar am reformierten The­o­logen­him­mel, be­reits ein Jahrzehnt zuvor geäussert hatte und damit die etablierten Re­for­­mierten einiger­massen brüskiert haben dürfte.

      Zum einen ist dies Barths erster grosser Auftritt vor den deutschen Re­formierten während der Hauptversammlung des Reformierten Bundes im September 1923 in Emden. In diesem fulminanten Vortrag erklärt der junge Professor seinen vermutlich erstaunten Zuhörern, dass zeitgenössi­sche |85| Antworten auf die Frage nach «reformierter Lehre» unzureichend oder gar gefährlich seien: Ein schlichter Rückbezug auf die alten Überlie­ferungen sei die Antwort «des religiösen Heimatschützlers, des Freundes reformierter Art». Zu fordern sei aber gerade mit den «Vätern» die kriti­sche Prüfung der Lehre mit Bibel und Geist.54 Auch Niesel kritisierte «ein romantisches Reformiertentum […], das sich in der Kultivierung mancher Formen gefällt»55 und betont: nach Gottes

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