Reformierte Theologie weltweit. Группа авторов

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und diese dann auch in theologischen Disputen zu verteidigen oder zu |36| relativieren, aber es gibt in keiner Tradition ein Wahrheitsprivileg, weil wir von uns aus weder einen Zugang zur Wahrheit noch eine Verwal­tungshoheit über die Wahrheit haben.37 Das hat durchaus weitreichende Konsequenzen etwa für die Ökumene bis hinein in den heute so wichtig gewordenen interreligiösen Dialog, wenn Barth so konsequent die Wahr­heit auf der Seite Gottes belässt und sie davor schützt, zu einer Disponib­len des Menschen zu werden. Sie bleibt im Horizont der Erwählung Got­tes und verschafft sich darin Geltung, dass Gott eben auch heute erwählt, beruft und sendet38 – nicht zur Traditionsweitergabe, sondern zum Zeug­nis von der befreienden Versöhnung, durch welche der Mensch aus den Bindungen der alten Welt entnommen ist, so dass er den von diesen Bin­dungen nach wie vor ausgehenden Ansprüchen im aufrechten Gang ent­gegentreten kann.

      Wenn Barth 1923 in seinem Vortrag auf der 19. Hauptversammlung des Reformierten Bundes in Emden die Reformierten dazu aufruft, das Zeugnis der Schrift doch erkennbarer in die Mitte ihres Selbstverständnis zu rücken, möchte er davor warnen, «die Frage der Lehre […] als ‹ir­gendwie› schon gelöst […] vorauszusetzen»39. Traditionalismus ist – poin­tiert gesprochen – mangelnde Ernsthaftigkeit, weil der in ihm liegende theo­logische Narzissmus der theologischen Aufmerksamkeit und Er­wartung im Extremfall so enge Grenzen setzt, dass es nur noch zur Selbst­bestätigung kommt. «Mit der Liebe des Antiquars, […] des religiö­sen Heimatschützlers, des Freundes reformierter Art, weil sie reformiert ist, kann gerade der reformierten Kirche auf keinen Fall gedient sein.»40 Viel­mehr konzentriert Barth die ganze reformierte Tradition auf die an­haltende konstitutive lebendige Beziehung zum seinerseits lebendigen biblischen Zeugnis: Es «gibt […] streng genommen keine reformierte Tra­dition |37| ausser der einen zeitlosen: dem Appell an die offene Bibel und an den Geist, der aus ihr zum Geiste redet.»41 Nur wenn der prinzipiell sekun­däre Charakter der theologischen Lehre konsequent im Bewusstsein steht, hat dieser Appell eine Chance, ernst genommen zu werden. «Ein Dogma im strengen hierarchischen Sinn kennt die reformierte Kirche also gerade nicht.»42 Und so verwundert es auch nicht, wenn Barth später in den Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik die Methode der Dogmatik vor allem in diesem grundsätzlichen Sich-Offenhalten gegenüber dem theologischen Altbesitz sieht43.

      Damit wird wohlgemerkt nicht die theologische Lehre diskreditiert44, wohl aber ihre Dogmatisierung im Sinne einer Festschreibung. Sie be­kommt im Gegenteil eine ungleich anspruchsvollere Aufgabe, weil sie sich nicht auf den bereits erworbenen Errungenschaften ausruhen kann, sondern erst dann an ihr Ziel kommt, wenn sie sich als je neu zu formu­lierende Antwort auf das heute gehörte Wort Gottes artikuliert. Indem wir damit aber nicht bei Null anfangen, sondern auch die Bibel immer schon mit den Augen unserer Konfession lesen, weist Barth im Zeichen des fünften Gebots auf die Ehre, die wir unseren Müttern und Vätern – also der theologischen Tradition – zu erweisen haben, denn ohne sie wä­ren wir nicht, was wir sind. Ohne Schaden kann niemand einfach an der theologischen Tradition vorbeigehen.45 Wolfgang Lienemann weist zu Recht darauf hin, dass kaum ein Theologe so häufig wie Barth «immer wieder aufs Neue die Bekenntnisse der Kirche ausgelegt hat»46. Anstelle eines Bedingungsrahmens für die Theologie sind sie für Barth vor allem der die Theologie sprachfähig machende Orientierungshorizont für eine möglichst genaue Benennung von Entscheidungen, welche die Kirche in |38| ihrer Geschichte bereits zu bestehen hatte. Inwieweit sie allerdings tat­sächlich Autorität beanspruchen können, kann nicht kirchenrechtlich geregelt werden, sondern wird sich in ihrer für heute zu erprobenden Erschliessungskraft beim Verstehen des biblischen Zeugnisses erweisen. Wenn Barth vor dem theologischen Zitat warnt, dann nicht weil er an­nimmt, dass wir heute alles besser sagen können. Es kommt vielmehr darauf an, dass wir es uns von niemand abnehmen lassen können, die Antwort selbst zu sagen. Gerade weil es nicht einfach zur allgemeinen Verfügung steht, was Gott gesagt hat und sagt, sondern jeweils neu ge­hört werden muss, gilt es auch menschlich und d. h. im Horizont all der Unzulänglichkeiten, mit denen das Menschliche nun einmal behaftet ist, jeweils neu zu sagen47, was es als das Wort Gottes zu hören gibt und dies dann gegebenenfalls auch zu bekennen: Wir, hier, jetzt – dies.

      Von den reformierten Aufbrüchen im 16. Jahrhundert ist von ihren Vertretern zu lernen, nun auch selbst wieder zum Anfänger zu werden.48 Alles, was durch etwas anderes als das Wort Gottes bewahrheitet wird, wird schwerlich den Anspruch erheben können, das Wort Gottes zu sein – nicht die Lehrautorität der Kirche steht zur Debatte, sondern die Aner­kennung der Autorität Gottes, die sich eben auch heute in seinem leben­digen Wort Geltung verschafft.49 In dem für die reformierte Tra­dition charakteristischen Schriftprinzip geht es schlicht und folgenreich darum, «sich eine so zufällige, kontingente, menschliche Grösse wie die Bibel allen Ernstes zum Zeugnis von Gottes Offenbarung, diese an sich profane zur Heiligen Schrift werden zu lassen».50 In einer neuen Erfassung des recht verstandenen «Schriftprinzips» sieht Barth ausdrücklich «den einzi­gen ernsthaften Programmpunkt einer reformierten Theologie für die nächste Zeit. Es wird, soweit es sich hier um ein menschliches Tun über­haupt handeln kann, darum gehen, die Kategorie der Offenbarung wieder denken und unter diesem Gesichtspunkt die Bibel Alten und Neuen Tes­taments wieder lesen zu lernen.»51 |39|

      In der Konzentration auf das Wort Gottes steht auch die Freiheit der Theologie zur Debatte, und das schliesst für Barth die Befreiung des in­zwischen von der eigenen Tradition domestizierten Reformiertentums mit ein – er nennt die Orthodoxie, den Pietismus, die Aufklärung und Schleiermacher als die vier Ecksteine seines Gefängnisses52 (was hier nicht weiter ausgeführt werden kann). Die Befreiung zielt auf die anspruchs­volle Freiheit des ersten Gebots. Christliche Freiheit und auch die Freiheit der Kirche gehen unmittelbar mit dem Gebotsgehorsam gegenüber die­sem Gebot zusammen, wobei es bedeutungsvoll bleibt, dass der Gott, der von dem Gebot als der Befreier Israels aus der Gefangenschaft in Ägypten gepriesen wird, der heute lebendige Gott ist, der sich durch den Heiligen Geist in der biblischen Bezeugung immer wieder neu vernehmbar zu machen verheissen hat. Es gilt, all die inzwischen zur Selbstverständlich­keit verkommenen Versuche der Gefangennahme Gottes zu beenden, durch welche sich der Mensch als Regisseur und Dramaturg seiner Reli­giosität zu behaupten versucht, ohne sich dabei von dem circulus vitiosus, in dem er sich dabei faktisch bewegt, irritieren zu lassen. Der sich selbst ausgelieferte Mensch bleibt auch in seinen Befreiungsversuchen ein Ge­fangener seiner selbst – wirkliche Befreiung, eben auch von seinen An­strengungen zur Selbstbefreiung, kann ihm nur von aussen eröffnet wer­den. Hier behält das erste Gebot seine fundamentale Bedeutung.53

      3. Von der Mitte aus offen in alle Richtungen

      Eine dritte Facette von Barths spezifischem reformiertem Profil, die bisher kaum Beachtung gefunden hat, lässt sich in einer bemerkenswerten Poin­tierung der ökumenischen Sendung der reformierten Kirchen entdecken, und zwar in einem durchaus pragmatischen Horizont – Barth spricht hier von einer «strategischen» Tatsache54. Im Rahmen der Gründungsvollver­sammlung |40| des Ökumenischen Weltrates der Kirchen 1948 in Amsterdam gab es ein Treffen, in dem sich die reformierten Kirchen unter sich trafen, um sich über ihre Wahrnehmungen und Hoffnungen auszutauschen. In dieser Versammlung hält Barth eine relativ kurze Ansprache, in welcher er seine Optionen für das Verhältnis der Reformierten zum Weltrat der Kirchen zur Diskussion stellt. Nachdem Barth u. a. auf das besondere öku­menische Potential des calvinischen Denkens hingewiesen hat, ver­sucht er den versammelten Reformierten die ökumenische Gesamtlage des Weltrates vor Augen zu rücken. Er tut das in der Absicht, die Auf­merksamkeit einmal von den gewiss sehr unterschiedlichen Motivations­lagen, mit denen die Kirchen aufgrund ihrer jeweiligen lokalen Erfahrun­gen nach Amsterdam gereist sind, auf die Gesamtsituation der zer­split­­terten «Kirchen» – Barth notiert den Begriff in Anführungszeichen – zu lenken, um dann den reformierten Kirchen eine Rolle ans Herz zu legen, welche nicht an Partikularinteressen, sondern an einer möglichst realisti­schen Wahrnehmung der Gesamtlage orientiert ist.

      «Wenn ich die ganze Fülle der hier vertretenen ‹Kirchen› überblicke, dann sehe ich einen rechten und einen linken Flügel: am äussersten rechten Flügel unsere Freunde aus den orthodoxen Kirchen, für uns recht schwer zu verstehen, als ob sie in einem gewissen Nebel zu ver­schwinden drohten. Links von

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