Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen. Selma Lagerlöf

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Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen - Selma Lagerlöf

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      Der große weiße Gänserich war nun ganz sicher, daß die Anführerin ihn unter keiner Bedingung mitnehmen werde. Er war deshalb höchst erstaunt, als sie sagte: „Du beantwortest die an dich gestellten Fragen ja recht mutig, und wer Mut hat, kann ein guter Reisegefährte sein, wenn er auch im Anfang ungewandt ist. Hättest du nicht Lust, ein paar Tage bei uns zu bleiben, damit wir sehen können, was du leisten kannst?“

      „Das ist mir sehr angenehm,“ erwiderte der Gänserich äußerst vergnügt.

      Hierauf streckte die Anführerin den Schnabel aus und sagte: „Aber wen hast du denn da bei dir? So einen habe ich noch nie gesehen.“

      „Es ist mein Gefährte,“ sagte der Gänserich. „Er ist sein Lebetag Gänsehirt gewesen und kann uns möglicherweise auf der Reise nützlich sein.“

      „Ja, für eine zahme Gans mag das ganz gut sein,“ antwortete die wilde. „Wie heißt er?“

      „Er hat verschiedene Namen,“ sagte der Gänserich zögernd. Er wußte nicht, wie er sich aus der Klemme ziehen sollte, denn er wollte nicht verraten, daß der Junge einen menschlichen Namen hatte. „Ach, er heißt Däumling,“ sagte er plötzlich.

      „Ist er aus dem Geschlecht der Wichtelmännchen?“ fragte die Anführerin.

      „Um welche Tageszeit geht ihr Wildgänse schlafen?“ fragte der Gänserich hastig und versuchte so um die Antwort auf die letzte Frage herumzukommen. „Um diese Zeit fallen mir immer die Augen von selbst zu.“

      Man sah wohl, daß die Gans, die mit dem Gänserich sprach, sehr alt sein mußte. Ihr ganzes Federkleid war eisgrau, ohne dunkle Streifen. Ihr Kopf war größer, ihre Beine gröber und ihre Füße mehr zertreten als die der andern. Die Federn waren steif, die Schultern knochig, der Hals mager. Alles dies kam vom Alter. Nur ihren Augen hatte dieses noch nichts anzuhaben vermocht, sie glänzten heller und sahen jünger aus als die Augen aller andern.

      Jetzt wendete sie sich sehr feierlich an den Gänserich. „So wisse denn, Gänserich, daß ich Akka von Kebnekajse bin, und die Gans, die zu meiner Rechten fliegt, ist Yksi von Vassijaure, und die zu meiner Linken ist Kaksi von Nuolja. Wisse auch, daß die zweite rechts Kolme von Sarjektjåkko und die zweite links Neljä von Svappavaara ist, und daß hinter ihnen Viisi von Oviksfjällen und Kuusi von Sjangeli sind. Und wisse auch, daß die sechs jungen Gänse, die ganz zuletzt kommen, drei rechts, drei links, ebenfalls Hochlandwildgänse aus den besten Familien sind. Du darfst uns nicht für Landstreicher halten, die mit jedem, der ihnen in den Weg kommt, Kameradschaft schließen, und du darfst nicht glauben, daß wir mit jemand unsre Schlafstelle teilen, der nicht sagen will, aus welchem Geschlecht er stammt.“

      Als die Anführerin Akka auf diese Weise sprach, trat der Junge hastig vor. Es hatte ihn betrübt, daß der Gänserich, der so keck für sich selbst gesprochen hatte, so ausweichende Antworten gab, als es sich um ihn handelte.

      „Ich will nicht geheim halten, wer ich bin,“ sagte er. „Ich heiße Nils Holgersson, bin der Sohn eines Häuslers, und bis zum heutigen Tage bin ich ein Mensch gewesen, aber heute morgen – –“

      Weiter kam der Junge nicht, denn niemand hörte mehr auf ihn. Kaum hatte er gesagt, daß er ein Mensch sei, als die Anführerin drei Schritte und die andern noch weiter zurückwichen. Und sie reckten alle die Hälse und zischten ihn zornig an.

      „Du bist mir doch gleich verdächtig vorgekommen, als ich dich hier auf dem Strand sah, und jetzt mußt du dich schleunigst entfernen, wir dulden keine Menschen unter uns,“ sagte Akka von Kebnekajse.

      „Es ist doch wohl nicht möglich,“ versuchte der Gänserich zu vermitteln, „daß ihr Wildgänse euch vor einem so kleinen Wesen fürchtet. Morgen soll er gewiß nach Hause zurückkehren, aber über Nacht werdet ihr ihn doch unter euch dulden müssen. Keiner von uns könnte es verantworten, einen solchen kleinen Kerl sich in der Nacht allein gegen Wiesel und Fuchs verteidigen zu lassen.“

      Die Wildgans kam wieder näher heran, aber man sah deutlich, wie schwer es ihr wurde, ihre Furcht zu bezwingen. „Ich bin gelehrt worden, mich vor allem, was Mensch heißt, zu fürchten, einerlei ob klein oder groß,“ sagte sie. „Aber wenn du, Gänserich, dafür einstehen willst, daß uns dieser hier nichts Böses tut, dann mag er über Nacht dableiben. Ich fürchte jedoch, unser Nachtquartier wird weder dir noch ihm passen, denn wir begeben uns auf das schwimmende Eis hinaus und schlafen dort.“

      Sie dachte wohl, der Gänserich werde bei dieser Ankündigung unschlüssig werden. Er ließ sich aber nichts merken. „Ihr seid sehr klug und versteht es, einen sichern Schlafplatz auszuwählen,“ sagte er.

      „Aber du stehst mir dafür ein, daß er morgen nach Hause zurückkehrt.“

      „Dann muß auch ich mich von euch trennen,“ sagte der Gänserich, „denn ich habe ihm versprochen, ihn nicht zu verlassen.“

      „Es steht dir frei, zu fliegen, wohin du willst,“ entgegnete die Anführerin.

      Damit hob sie die Flügel und flog auf das Eis hinaus, wohin ihr eine Wildgans nach der andern folgte.

      Der Junge war betrübt darüber, daß aus seiner Reise nach Lappland nichts werden sollte, und überdies fürchtete er sich vor dem kalten Nachtquartier. „Es wird immer schlimmer, Gänserich,“ sagte er. „Und das erste wird sein, daß wir da draußen auf dem Eise erfrieren.“

      Aber der Gänserich war guten Mutes. „Das hat keine Gefahr,“ sagte er. „Sammle jetzt nur in aller Eile so viel Stroh und Gras zusammen, als du zu tragen vermagst.“

      Als der Junge beide Arme voller dürren Grases hatte, faßte der Gänserich ihn mit seinem Schnabel am Hemdkragen, hob ihn auf und flog aufs Eis hinüber, wo die Wildgänse, den Schnabel unter einen Flügel gesteckt, schon standen und schliefen.

      „Breite jetzt das Gras auf dem Eis aus, damit ich etwas habe, worauf ich stehen kann, um nicht anzufrieren. Hilf du mir, dann helfe ich dir auch,“ sagte der Gänserich.

      Der Junge tat, wie ihm geheißen war, und sobald er fertig war, ergriff ihn der Gänserich noch einmal am Hemdkragen und steckte ihn unter seinen Flügel. „Hier liegst du warm und gut,“ sagte er und drückte den Flügel an, damit der Kleine nicht herunterfallen sollte.

      Er war so in Flaum eingebettet, daß er nicht antworten konnte; aber warm und schön lag er, und müde war er, und im nächsten Augenblick schlief er.

       Inhaltsverzeichnis

      Es ist eine bekannte Tatsache, daß das Eis trügerisch ist, und daß man sich nicht darauf verlassen kann. Mitten in der Nacht veränderte die vom Lande losgelöste Eisdecke auf dem Vombsee ihre Lage, so daß sie an einer Stelle den Strand berührte. Und da geschah es, daß Smirre, der Fuchs, der damals auf der östlichen Seite des Sees im Park von Övedskloster wohnte, auf seiner nächtlichen Jagd dies sah. Smirre hatte die Wildgänse allerdings schon am Abend gesehen, jedoch nicht erwartet, einer von ihnen beikommen zu können. Jetzt lief er schnell aufs Eis hinaus; als er aber den Wildgänsen schon ganz nahe war, glitt er plötzlich aus, und seine Krallen kratzten auf dem Eise. Davon erwachten die Gänse, und sie schlugen mit den Flügeln, um sich in die Luft zu erheben. Aber Smirre war ihnen zu hurtig. Er machte einen Satz, gerade als schleudere ihn jemand vorwärts, ergriff eine Gans am Flügel und stürzte

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